BGH zum Fall Gröning: Späte Gerechtigkeit für die Opfer von Auschwitz
Mit Oskar Gröning ist zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert ein früherer SS-Mann wegen Beihilfe zum Mord in einem NS-Vernichtungslager rechtskräftig verurteilt worden.
Der frühere „Buchhalter von Auschwitz“, Oskar Gröning, ist rechtskräftig wegen Beihilfe zum Mord in dem nationalsozialistischen Vernichtungslager verurteilt. Der Bundesgerichtshof lehnte die von Gröning sowie mehreren Nebenklägern beantragte Revision gegen das Urteil des Landgerichts Lüneburg ab.
Das Landgericht hatte Gröning im Juli 2015 zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er als SS-Unteroffizier in Auschwitz im Sommer 1944 bei der Ermordung von mindestens 300.000 Menschen geholfen haben soll, die meisten von ihnen waren ungarische Juden. Mit dem Schuldspruch gegen Gröning ist zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert ein früherer SS-Mann wegen Beihilfe zum Mord in einem Vernichtungslager rechtskräftig verurteilt worden. Ob der 95-Jährige in Haft muss, ist noch unklar.
Überlebende: "Darauf habe ich viele Jahre warten müssen"
Die ungarische Holocaust-Überlebende und Nebenklägerin Eva Pusztai-Fahidi, deren Eltern und Schwester in Auschwitz ermordet worden waren, zeigte sich erleichtert über die Entscheidung: „Das ist ein großer Tag in meinem Leben, auf den ich viele Jahre warten musste. Durch das Gericht habe ich nun Gerechtigkeit erfahren.“ Das habe sie unbedingt noch erleben wollen, erklärte die 91-Jährige über ihren Anwalt Thomas Walther.
Jahrzehntelang hatten ehemalige SS-Wachleute unbehelligt in Deutschland gelebt. Dabei waren im Frankfurter Auschwitz-Prozess mehrere SS-Männer wegen Beihilfe zum Mord verurteilt worden. Doch anders als von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gewünscht betrachtete das Gericht den Massenmord in Auschwitz nicht als eine einzelne Tat im juristischen Sinne, sondern suchte für jeden Angeklagten nach einer konkret nachweisbaren Tat.
Hat sich jeder, der im Dienst der SS in Auschwitz war, der Beihilfe zum Mord an den europäischen Juden schuldig gemacht? Im Jahr 1969 bestätigte der Bundesgerichtshof den Freispruch eines SS-Zahnarztes, der in Auschwitz während der „Selektionen“, bei denen die meisten Menschen sofort in die Gaskammern geschickt wurden, an der Rampe gestanden hatte. Damals erklärte der BGH, dass nicht jeder, der „irgendwie“ in das Vernichtungsprogramm in Auschwitz eingebunden war, sich „objektiv an den Morden beteiligt“ habe und für „alles Geschehene“ verantwortlich sei. Diese Entscheidung galt der deutschen Justiz später als Rechtfertigung dafür, gegen ehemaliges Wachpersonal gar nicht erst zu ermitteln.
Der 3. Strafsenat des BGH begründete in seinem am Montag veröffentlichten Beschluss zum Gröning-Urteil, warum die Entscheidung von 1969 nicht auf den Fall Gröning übertragbar ist: „Dem Angeklagten wird nicht ,alles’ zugerechnet, was in Auschwitz geschah.“ Vielmehr gehe es um die Frage, ob und wie Gröning für die Ermordung der ungarischen Juden strafrechtlich verantwortlich sei. Der BGH betont, dass Gröning sich nicht nur strafbar gemacht hat, indem er an der Rampe in Auschwitz stand. Es sei auch zutreffend, „dass der Angeklagte durch seine allgemeine Dienstausübung in Auschwitz bereits den Führungspersonen in Staat und SS Hilfe leistete, die im Frühjahr 1944 die „Ungarn-Aktion“ anordneten und in der Folge in leitender Funktion umsetzten beziehungsweise umsetzen ließen“.
Neue Suche nach SS-Wachpersonal
Die jahrzehntelange Rechtspraxis, die früheren Wachleute nicht zu belangen, fand ihr Ende erst mit dem Verfahren gegen John Demjanjuk. Der ehemalige Wachmann im NS-Vernichtungslager Sobibor war 2011 vom Landgericht München zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil wurde nicht rechtskräftig, weil Demjanjuk vor der Revision starb. Es war jedoch Anlass für die Ermittler, sich nun doch auf die Suche nach dem Wachpersonal aus den Lagern zu machen.
„Jahrzehnte gab es diese Lücke in der deutschen Justiz“, sagt die Überlebende Eva Pusztai-Fahidi. „Jetzt ist diese Lücke geschlossen. Jetzt ist alles an seinem Platz.“
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