Liberalisierung der Drogenpolitik: Hersteller sehen „gigantische Wachstumschance“ für Cannabis-Markt
Die Ampel-Parteien wollen Cannabis legalisieren. Bald könnte die Droge in lizenzierten Geschäften frei verkauft werden. Zwischen Gesundheitswarnungen und dem großen Gewinn.
Vor Jahren die Freigabe von Cannabis für medizinische Zwecke, nun die geplante Legalisierung für den Genuss: Mit den Plänen von SPD, Grünen und FDP steht Deutschland nicht nur vor einem historischen Schritt in der Drogenpolitik. Die Liberalisierung dürfte auch einen legalen Massenmarkt für die Droge öffnen, für den sich Hersteller schon jetzt warmlaufen. Die Branche wittert das große Geschäft und wirbt mit potenziellen Einnahmen in Milliardenhöhe für den Staat im Zuge der Legalisierung. Die Polizeigewerkschaft dagegen warnt, der illegale Handel könne dann erst recht aufblühen.
[Lesen sie dazu auf T+: Berliner Expertin zur Legalisierung: „Cannabis-Stores der Apotheken könnten eine gute Lösung sein“ ]
Seit 2017, als Cannabis für medizinische Zwecke wie Schmerzlinderung bei Schwerkranken erlaubt wurde, hat der Stoff in Deutschland einen Boom erlebt. Start-ups haben immer mehr legale Lifestyle-Produkte wie Hanfaufstriche, Hanfsamenöle, Hanftees herausgebracht, Influencer werben für CBD-Öle. Doch handelte es sich 2017 um wenige Tonnen medizinisches Cannabis für schwerkranke Patienten, geht es nun um viel größere Mengen: Branchenkenner schätzen den Markt für illegal verkauftes Cannabis in Deutschland auf Hunderte Tonnen pro Jahr.
Gerade bei jungen Menschen ist die Droge beliebt: Nach Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben bundesweit gut 10 Prozent der 12- bis 17-Jährigen Cannabis schon einmal konsumiert, bei den 18- bis 25-Jährigen war es fast die Hälfte (46,4 Prozent).
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Die Ampel-Parteien halten sich eine Hintertür offen
Laut Koalitionsvertrag wollen die Ampel-Parteien eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ einführen. Dadurch würde „die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet“, heißt es. Bei dem Schritt halten sich die Parteien aber auch eine Hintertür offen: Das geplante Gesetz solle nach vier Jahren auf „gesellschaftliche Auswirkungen“ überprüft werden.
Hoffnungen auf gute Geschäfte machen sich nun Firmen, die schon eine Lizenz zum Anbau von medizinischem Cannabis von der staatlichen Cannabisagentur haben: Tilray und Aurora aus Kanada sowie die deutsche Firma Demecan, die in Ebersbach nahe Dresden eine große Produktion unterhält. 2019 wurde den drei Firmen der Anbau von jährlich 2,6 Tonnen medizinischem Cannabis hierzulande erlaubt.
„Wir sind in der Lage, binnen kurzer Zeit unsere Produktion hochzufahren und parallel zum Arzneimittel Cannabis auch das Genussmittel zu produzieren“, sagte Cornelius Maurer, Geschäftsführer von Demecan. Er verspricht sich eine „gigantische Wachstumschance“. Die Legalisierung müsse aber mit Aufklärungsarbeit und Jugendschutz eng verbunden sein, meint Maurer. „Wir brauchen hohe Qualitätsstandards in der Produktion und eine kontrollierte Abgabe.“
Auch Sascha Mielcarek, Geschäftsführer von Tilray Europa, sieht mit der Liberalisierung große Geschäftschancen. Das Unternehmen produziert in einer rund 12.000 Quadratmeter großen Anlage in Neumünster (Schleswig-Holstein) tonnenweise medizinisches Cannabis. „Damit sind unsere Produktionskapazitäten bei weitem nicht ausgeschöpft“, sagt Mielcarek. Man sei „sehr kurzfristig in der Lage“, die Produktion in Neumünster kräftig zu erhöhen und nötiges Personal zu rekrutieren.
„Meilenstein in der Drogenpolitik“
Die Legalisierung könnte die Droge nicht nur aus dem Schwarzmarkt holen, sondern dem Staat auch hohe Einnahmen beschweren, meint der Deutsche Hanfverband, der von einem „Meilenstein in der Drogenpolitik“ spricht. Dem Fiskus bringe eine Liberalisierung über zusätzliche Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge sowie Einsparungen bei Strafverfolgung und Justiz einen finanziellen Vorteil von mindestens 4,7 Milliarden Euro pro Jahr, hieß es jüngst in einer Studie des Ökonomen Justus Haucap für den Verband.
Allein durch eine Cannabissteuer würden dem Staat demnach jährlich 1,8 Milliarden Euro zufließen. Haucap, der an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf forscht, rechnet mit 27.000 neuen Arbeitsplätzen in der Cannabiswirtschaft. „Die Verbotspolitik bei Cannabis ist gescheitert und konnte den Drogenkonsum nicht eindämmen“, meint er. Gerade weil Cannabiskonsum gesundheitsschädlich sein könne, solle der Schwarzmarkt unter staatliche Aufsicht.
Konservative Politiker lehnen die Legalisierung von Cannabis, das der Hirnleistung schaden kann, ab. Die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) warnt vor einem Dammbruch für die Drogen- und Suchtpolitik. Das Signal, Cannabis sei gesellschaftsfähig, sei gefährlich. Schätzungsweise fast jeder zehnte Cannabiskonsument werde abhängig, heißt es im Jahresbericht der Drogenbeauftragten.
Der illegale Handel werde aufblühen, warnt die Polizeigewerkschaft
Kritik äußert auch die Deutsche Polizeigewerkschaft. „Durch die Gewinne, die der Handel und der Staat erzielen wollen, wird Cannabis erheblich teurer“, sagte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt. „Der illegale Handel mit billigeren Produkten wird aufblühen, denn in Apotheken können dann nur Wohlhabende ihren Bedarf decken, Kinder, Jugendliche und Geringverdiener werden weiter zum Dealer um die Ecke laufen.“
Die Koalition erwecke den Eindruck, mit einem Cannabis-Kontrollgesetz die Dinge in den Griff zu bekommen, moniert Wendt. „Das ist reines Wunschdenken, zumal der Bund weder für Kontrollen, noch für Jugendschutz zuständig ist.“ Gerade das in Sachen Cannabis liberale Beispiel Niederlande habe gezeigt, dass illegaler Anbau und Handel, Einfuhr und Vertrieb gestärkt werde und kriminelle Banden sich gewaltsame Auseinandersetzungen um Marktanteile leisten würden.
Der Branchenverband Cannabiswirtschaft sieht das anders. Der Koalitionsvertrag sei eine gute Basis für Reformen, meint Präsident Stefan Meyer. „Legalisierungsfehler anderer Länder sollten in den anstehenden Prozessen möglichst vermieden werden.“ (dpa)
Alexander Sturm