Braunkohle-Debatte: Braunkohle als Brückentechnologie - ein teures Märchen
Braunkohle ist weder bezahlbar noch sicher. Dagegen gelänge der Ausstieg zusammen mit dem Atommausstieg und ohne massiven Verlust von Arbeitsplätzen, argumentiert der Grünen-Fraktionschef im Landtag in Brandenburg. Ein Gastkommentar
Ja, Brandenburg hatte in den letzten zwei Jahrzehnten große Erfolge beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber trotz immer neuer Rekorde bei Windenergie und Solarstrom steigt der Ausstoß des Klimakillers CO2 bei uns seit Jahren an. Dies ist paradox, ist doch der Ausbau der Erneuerbaren kein Selbstzweck, sondern wurde aus Gründen des Klimaschutzes und der erkannten Endlichkeit fossiler Ressourcen auf den Weg gebracht.
Bei einer Fortführung der Braunkohleverstromung über das Jahr 2030 hinaus wird Brandenburg sein Klimaschutzziel - die CO2-Emissionen auf 25 Millionen Tonnen pro Jahr zu senken - verfehlen. Ebenso wie der Bund können wir unsere Klimaziele nur mit Einschnitten bei der Kohleverstromung erreichen.
Mit seinem starren Festhalten an der Braunkohle untergräbt Ministerpräsident Dietmar Woidke jedoch den notwendigen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Unisono preisen Kohlekonzerne, Bergbaugewerkschaft und Regierung , Braunkohle als "Brückentechnologie" an und meinen, damit die Lösung für die Probleme der Energiewende umrissen zu haben. Doch das ist mitnichten der Fall.
Braunkohle ist gar keine Technologie, Braunkohle ist als fossiler Energieträger ein endlicher Rohstoff, einmal verbrannt, für immer weg. Rohbraunkohle besteht zu mehr als 50 Prozent aus Wasser und muss erst einmal aufwendig getrocknet werden, bevor in ineffizienten Kraftwerken pro Kilowattstunde Strom, zwei Kilowattstunden Abwärme und ein Kilogramm CO2 freigesetzt werden. Die hierfür eingesetzten Technologien sind in der Lausitz oft aus DDR-Zeiten stammende Großkraftwerke ohne Kraft-Wärme-Kopplung, die ihre immer wieder hinausgeschobene maximale Nutzungsdauer in den nächsten Jahren sukzessive erreichen werden.
Das Kraftwerk Jänschwalde emittiert in einem Jahr so viel CO2 wie 60 Länder zusammen
Eine "bezahlbare und sichere Energieversorgung" soll das Festhalten am Braunkohlestrom versprechen. Doch dessen derzeitiger Preis bildet die tatsächlichen Kosten nicht ab. Allein das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde emittierte im vergangenen Jahr so viel CO2 wie die 60 emissionsärmsten Länder der Welt. Die damit verbundenen Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschäden und deren Folgekosten wie die der Spreeverockerung, die bereits heute den Spreewaldtourismus und die Wasserversorgung von Gemeinden bedroht, sind im Preis an der Strombörse nicht inbegriffen.
Wenn die Braunkohleverstromung trotz ihrer technologischen und ökologischen Ineffizienz aktuell boomt, ist dies die Folge von Fehlanreizen. So muss Vattenfall keine Förderabgabe bezahlen, das Unternehmen profitiert von der Befreiung von der EEG-Umlage und der Ausgestaltung des Netzentgelts. Der niedrige Preis für CO2-Zertifikate tut das Übrige. Zudem sind die Kraftwerke weitestgehend abgeschrieben. Dass die Stromgestehungskosten moderner Windenergieanlagen längst mit modernen fossilen Kraftwerken konkurrieren können, wird da schnell unter den Tisch gekehrt.
Bereits jetzt drücken zudem erhebliche Überkapazitäten an fossil produziertem Strom auf den Erzeugerpreis und führen zu Hilfeschreien der Kraftwerksbetreiber. Eine Gefährdung der Versorgungssicherheit ist bei einem parallel zum Ausbau der Erneuerbaren vollzogenen, schrittweisen Kohleausstieg daher nicht zu befürchten. In Brandenburg liegt eine Milliarde Tonnen Kohle in bereits genehmigten Braunkohletagebauen, die bei sinkenden Verbrauch bis mindestens 2030 reichen wird. Da erübrigt sich jeder Neu-Aufschluss von Braunkohlefeldern.
Deutschland muss nicht nur aus der Atomenergie, sondern schrittweise auch aus der Kohleverstromung aussteigen. Beide Formen der Stromerzeugung sind Ausdruck einer Fixierung auf Grundlastkraftwerke. Das Festhalten an diesem anachronistischen Konzept ist der entscheidende Hemmschuh für die schnelle Umstellung auf die erneuerbaren Energien. Übergangsweise werden wir zwar noch auf flexible moderne Steinkohle- und Gaskraftwerke angewiesen sein. Dies gilt jedoch schon bald nicht mehr für die besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke. Als vorgebliche Garanten einer "sicheren Energieversorgung" haben sie sich bald überlebt.
Was tun, wenn der Wind nicht bläst, die Sonne nicht scheint?
Der Wind bläst nicht immer, die Sonne scheint nachts nicht, das ist richtig. Deswegen sind Veränderungen im Stromsektor unvermeidlich. So wie sich das "Energiemarktdesign" bisher an den Ansprüchen der nur beschränkt regulierbaren Grundlastkraftwerke ausrichtete, müssen sich Stromerzeugung und Verbrauch künftig vollständig an den technologischen Ansprüchen der fluktuierenden erneuerbaren Energien orientieren. Schon jetzt gibt es Tage, an denen wir unseren Strombedarf komplett mit Erneuerbaren decken könnten. Doch weil derzeit noch antiquierten Regeln herrschen, werden die Erneuerbaren bei Stromüberschuss vom Netz genommen, drängen unflexible Kohlekraftwerke sauber produzierten Strom vom Markt.
Energiewende - das ist deshalb eine viel zu harmlose Bezeichnung für die notwendigen Umbrüche in unserer Energieversorgung - wir brauchen eine Energierevolution. Windenergie- und Solaranlagen müssen mit flexiblen Kraftwerken und Speichertechnologien verbunden werden. Das bedeutet einen radikalen technologischen Wandel und bedroht zugleich das Geschäftsmodell der großen Energieversorger, die auf ihren Kapazitäten sitzen bleiben. Kein Wunder also, dass das Eintreten für den Abschied von der Kohle auf Widerspruch der Konzerne und ihrer strukturkonservativen Unterstützer stößt.
Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hat inzwischen erkannt, dass die Zeichen der Zeit gegen die Braunkohle stehen und erwägt nun aus betriebswirtschaftlichen Gründen einen Verkauf seiner Braunkohlesparte in der Lausitz, nachdem er damit Milliardengewinne gemacht hat. Anstatt das Ziel der neuen schwedischen Regierung, ihren Staatskonzern zu einem nachhaltigen Unternehmen zu entwickeln, für Brandenburg zu nutzen, befördert unsere Landesregierung die Verkaufsabsichten auch noch. Wie unverantwortlich!
Vattenfall muss im Land gehalten und das - geordnete und sozial verträgliche - Auslaufen der Braunkohleverstromung gemeinsam mit dem Konzern in Angriff genommen werden.
Die rot-rote Landesregierung muss alles daran setzen, Vattenfall in die Erarbeitung eines Plan "B" für die wirtschaftliche Entwicklung der Lausitz nach der Braunkohle einzubinden und zugleich den Umstieg auf eine komplett klimafreundliche Stromversorgung vorantreiben. Wir Grüne sind hier gerne behilflich. So zeigt eine von uns beauftragte Studie, wie Berlin und Brandenburg schon 2030 rund um die Uhr zu 100 Prozent mit Erneuerbaren versorgt werden können.
Die Hälfte der Braunkohle-Kraftwerksleistung in Brandenburg ist über 30 Jahre am Netz, fast die Hälfte der Arbeitnehmer bei Vattenfall hat weniger als 15 Jahre bis zur Rente. Für die Renaturierung der noch laufenden Tagebaue werden viele Mitarbeiter noch Jahrzehnte gebraucht. Die unter Fachkräftemangel leidende Lausitzer Wirtschaft bietet zunehmend neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Ein Zeitfenster ist jetzt offen. Die Gelegenheit, mit der Absage an den Aufschluss neuer Tagebaue die Energierevolution zu beschleunigen und den Strukturwandel in der Lausitz voranzutreiben, ist so günstig wie nie. Herr Ministerpräsident, nutzen Sie diese Chance!
Axel Vogel, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Brandenburger Landtag, antwortet im Rahmen der Kohle-Debatte auf Tagesspiegel.de auf einen Beitrag von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke.
Axel Vogel