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Hilfe nach dem Schlaganfall: Auch Therapeuten sind systemrelevant.
© Kitty Kleist-Heinrich

Politiker warnen vor Ungleichbehandlung: Sorge um Therapeuten in der Coronakrise

Politiker von Grünen und CDU warnen vor Ungleichbehandlung bei den Corona-Hilfen. Auch Therapeuten seien systemrelevant und gehörten unter einen Schutzschirm.

Neben den Pflegekräften gelten sie als die Stiefkinder des deutschen Gesundheitswesens. Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden und Podologen stöhnen seit langem über hohe Ausbildungskosten und niedrige Honorare. Nun kommt die Coronakrise dazu – und obwohl den Therapeuten die ohnehin schon niedrigeren Einnahmen ebenso wegbrechen wie vielen niedergelassenen Ärzten, gibt es bislang aus der Politik keine Zusage, ihnen finanziell ähnlich unter die Arme zu greifen.

Bislang deute alles „sehr stark auf eine Ungleichbehandlung der Leistungserbringer hin“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Maria Klein-Schmeink, dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe zwar nicht definitiv ausgeschlossen, die Heilmittelerbringer ebenfalls unter den Schutzschirm der gesetzlichen Krankenversicherung zu nehmen. Auf mehrmalige Nachfrage habe er sich aber „so ausweichend geäußert“, dass damit wohl nicht zu rechnen sei.

Die Grünen-Expertin ärgert sich darüber. Therapeuten gehörten nicht in die „Holzklasse“, sie seien systemrelevant und „essentiell für die gesundheitliche Versorgung“. Und aufgrund fehlender Rücklagen seien jetzt viele „in ihrer Existenz bedroht“. Darum sollten sie nun auch wie Ärzte und Ärztinnen behandelt werden und „einen angemessenen Ausgleich für ihre Umsatzeinbußen erhalten“.

Warnung vor Ungleichbehandlung auch aus der CDU

Druck kommt auch aus Spahns eigener Partei. Er habe den Minister erst am Montag nochmal angeschrieben und ihn gedrängt, auch die Therapeuten unter den Schutzschirm zu nehmen, berichtet der CDU-Abgeordnete Roy Kühne. Er könne zwar verstehen, dass Spahn „eins nach dem anderen“ angehen wolle. Gleichzeitig hoffe er aber, dass der Minister „die Weisheit“ habe, die Gesundheitsberufe nicht komplett auseinander zu dividieren. Ungleichbehandlung sei „ein ganz schlechtes Signal für eine christlich demokratisch Partei“, so Kühne. Und die Folgen für die Menschen im Land könnten erheblich sein: Ohne finanzielle Hilfe für die ohnehin nicht mit Geld gesegneten Therapeuten sei die postoperative Versorgung, etwa nach Unfällen oder auch nach Schlaganfällen, gefährdet.

Kühne ist selber Physiotherapeut und deshalb auch politische Anlaufstelle für die Klagen der Betroffenen. Mehr als 1000 Hilferufe aus der Branche habe er bisher erhalten, berichtet er. Und Umfragen belegen die enormen Umsatzeinbrüche. In der letzten Märzwoche beispielsweise (aktuellere Zahlen gibt es noch nicht) lag der Auslastungsgrad der Heimittelerbringer-Betriebe bei gerade mal 34 Prozent, ergab eine Online-Befragung der Frankfurter Tal gGmbH. 54 Prozent der Befragten nannten die Hilfsmaßnahmen aus dem Sofortprogramm für die Wirtschaft nicht ausreichend, 12 Prozent gaben an, bereits von Insolvenz bedroht zu sein. Die Kurzarbeiterquote der Beschäftigten lag bei gut 50 Prozent.

Fehlende Überweisungen und Absagen aus Pflegeeinrichtungen

Als Hauptgrund für Behandlungsausfälle nannten 94 Prozent der Befragten eine vorsorgliche Terminabsage durch Patienten, ohne dass tatsächlich Erkrankungen vorgelegen hätten. Teilweise sei dies auch auf unglücklich formulierte oder falsche Mitteilungen von Landesbehörden zurückzuführen. Aus Gründen des Patientenschutzes wurden in 77 Prozent der Praxen Behandlungstermine abgesagt. Fehlende Verordnungen durch überlastete oder geschlossene Arztpraxen waren zu 44 Prozent ein Ausfallgrund, Absagen von Pflegeeinrichtungen zu 56 Prozent.

Tatsächlich finden medizinisch notwendige Therapien im Heilmittelbereich trotz des allgemeinen Corona-Shutdowns weiterhin statt. Die Anbieter seien „dazu angehalten, ihre Praxen offen zu halten, auch wenn viele Therapien ausfallen, verschoben oder vorerst gar nicht verordnet werden“, sagt Klein-Schmeink. Dadurch entstünden Vorhaltekosten, die nicht vergütet würden. Kleine Praxen könnten zwar die Soforthilfe und Kurzarbeitergeld für ihre Beschäftigten in Anspruch nehmen. Das reiche aber bei weitem nicht an den Schutzschirm heran, den es etwa für niedergelassene Ärzte gebe. 

Logopäden bezeichnen ihre Lage als dramatisch

Das liegt auch daran, dass die Soforthilfe gedeckelt ist. Für Praxen mit maximal fünf Beschäftigten fließen Einmalzahlungen von maximal 9.000 Euro, bei bis zu zehn Beschäftigten maximal 15.000 Euro. Für Praxen mit mehr als zehn Beschäftigten gebe es derzeit gar keine Lösung, so die Grünen-Expertin. „Der Schutzschirm hingegen würde die Umsatzeinbußen ersetzen, indem er die Differenz zum Vorjahresumsatz ausgleicht.“

Die Soforthilfen von Bund und Ländern „reichen nicht aus, um die Praxen hinüberzuretten“, klagen auch die Logopäden. Die Lage in der Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapie sei „dramatisch“, heißt es mit Ausrufezeichen in einem  „Hilferuf“, den ihre Berufsverbände dem Gesundheitsminister Ende März zukommen ließen. Einer eigenen Umfrage zufolge, an der sich die Hälfte aller Praxen beteiligten, seien in der vorausgegangenen Woche im Schnitt 77 Prozent aller Logopädie-Therapien ausgefallen. Bei über der Hälfte der Umfrageteilnehmer habe die Ausfallquote sogar 80 Prozent und mehr betragen.

Kein Anspruch auf Schutzausrüstung

Ein zusätzliches Problem ist die fehlende Schutzausrüstung. Therapeuten arbeiten häufig direkt mit Körperkontakt, viele ihrer Patienten sind alt, behindert oder haben Vorerkrankungen. „Trotzdem gibt es keinen Anspruch auf Schutzmaterialien“, kritisiert Klein-Schmeink. Zudem fehle die Information darüber, wie der Schutz auszugestalten sei. Das sei „fahrlässig“ und eine Gefährdung von Therapeuten und Patienten gleichermaßen.

In der Umfrage der Tal gGmbH gaben 51 Prozent der selbständigen Therapeuten an, dass ihnen Schutzausrüstung fehle. Jeder dritte bezeichnete die Zusammenarbeit mit den regionalen Gesundheitsbehörden als mangelhaft. Und bei den Logopäden scheint die Lage besonders dramatisch zu sein. Hier erfuhren die Berufsverbände, dass es in 84 Prozent der Praxen nicht genug Desinfektionsmitteln und Schutzausrüstung gibt.

Zum Wesen der Sprech- und Stimmtherapie gehört es nun aber mal, dass in Folge von Atem- und Artikulationsübungen „eine besonders hohe Gefahr der Tröpfchenübertragung besteht“, heißt es in dem Brief ans Gesundheitsministerium. Gleichzeitig seien „die Bewegungen von Zunge und Lippen wesentliche Faktoren für die Therapie, die mit dem Bedecken des Mundes nicht mehr zur Verfügung stünden“. Mit Videotherapie lasse sich das nicht ausgleichen. Jede zweite der befragten Logopädie-Praxen habe diese zwar im Angebot, eine solche Behandlung sei aber nur in elf Prozent der Therapien möglich gewesen.

„Ohne schnelle Hilfe werden viele kleine Praxen nicht überleben“

Wenn bei den Hilfen und der Schutzausrüstung nicht schnell nachgebessert werde, würden „viele kleine Praxen diese Krise nicht überleben“, warnt Klein-Schmeink. „Das können wir uns nicht leisten.“ Roy Kühne von der CDU argumentiert ähnlich. Wenn schon Krankenkassen-Verbände wie jener der Ersatzkassen die Notwendigkeit eines Rettungsschirms für die Therapeuten betonten, könne es nicht angehen, dass sich die Regierung dem verweigerten.

Er habe „immer noch die Hoffnung, dass da was kommt“, sagte Kühne dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health. Ein Schutzschirm für die im Gesundheitssektor ohnehin so Benachteiligten, drängt er seinen Minister, „wäre nicht nur ein wichtiges Signal, sondern auch ein ideales Ostergeschenk“.

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