Kruzifix-Pflicht in Bayerns Behörden: Söders Kreuze dienen nur der Ausgrenzung
Wenn der bayerische Ministerpräsident neue Kreuze in Bayern aufhängen lässt, sendet er eigentlich die Botschaft: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Ein Gastkommentar.
Das Kreuz ist nicht das Maskottchen unserer Kultur. Es ist vielmehr das Symbol der christlichen Religion: Es verkündet den Tod und die Auferstehung Jesu Christi. Von ihm glaubt die Christenheit, dass er Gottes Mensch gewordener Sohn sei. Das Kreuz ist ein ernstes Symbol, es stellt elementare Fragen an die menschliche Existenz: Sollen Gewalt und Hass das letzte Wort haben? Darf man gegen alle Hoffnung hoffen? Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Für die CSU ist das Kreuz hingegen, wie Ministerpräsident Söder zu beteuern versucht, ein rein säkulares Symbol, das für unsere deutsche (besser gesagt bayerische) Identität und für unsere abendländischen Werte stehe. Die Entscheidung der bayerischen Staatsregierung, nunmehr, zur kulturellen Selbstvergewisserung, in allen Amtshäusern gut sichtbar im Eingangsbereich ein solches Kreuz aufzuhängen, wirkt daher in vielerlei Hinsicht verstörend, weil diese beiden Aspekte, der religiöse und der vermeintlich säkulare nicht zusammen gehen.
Die Konservativen werden nicht müde, von der "jüdisch-christlichen" Prägung Europas und seiner Werte zu sprechen. Das Jüdische in Europa wurde über die Jahrhunderte durch das Christliche bedrängt und verfolgt. Durch die Übernahme einer Worthülse kann man diese Friktion in der Geschichte Europas weder kaschieren noch ihr gerecht werden. Das einzige Jüdische an einem Kruzifix ist, dass er, der daran hängt, selbst ein Jude war.
Religion spaltet mehr, als dass sie eint
Die Deutschen treibt nach wie vor ein Zitat des Verfassungsrechtlers Böckenförde um, dass der moderne Rechtsstaat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne. Die landläufige Interpretation dieses Zitats besagt, dass die christliche Weltanschauung, der Glauben an einen Gott, der jedem einzelnen Geschöpf Wert und Rang zuweist, diese Leerstelle füllt. Das ist falsch: Erst in einer Zeit, als mit der Europäischen Union zum ersten Mal eine wirklich säkulare Institution für die Friedenssicherung auf dem Kontinent zuständig wurde, begannen die 70 Jahre Frieden, den die christliche Religion ihren vielen Kindern in der Alten Welt bis dahin nicht schenken konnte.
Religion spaltet mehr, als dass sie eint. Unsere freiheitliche Rechtsordnung betrachtet den Menschen als Gegenstand des Rechts, ungeachtet seiner Herkunft, Religion und anderer Merkmale. Das sollten Konservative, die sehr häufig glühende Europäer sind, zu Markte tragen und nicht das Kreuz zur Schau stellen. So verhelfen sie dem Narrativ eines starken, freien Europas zur neuer Blüte. Das ist es, was an Europa überall in der Welt bewundert wird, seine Friedensordnung und sein Wohlstand. Nicht seine Religion.
Verstörend wirkt die Kreuz-Aktion der CSU auch deshalb, weil sie, aus religiöser Sicht, den Glauben mit Wucht für eine Partei und ihre Interessen vereinnahmt: Es ist etwas anderes zu befehlen, ein Kreuz möge abgehängt werden, als anzuordnen, es müssten neue hingehängt werden!
Die Reaktionen auf das Kruzifix-Urteil im Jahr 1995 waren deutlich: Dort, wo schon seit Menschengedenken ein Kreuz an der Wand hängt, wird es einen guten Grund geben, warum die Menschen, die mit dieser Wand leben, es noch nicht abgehängt haben. Hier muss man sich, zumal als Neuankommender, fügen. Man kann nicht neben einen Kirchturm ziehen und sich dann über das Geläut am Sonntag beschweren. Oder sich in einem katholisch geprägtes Dorf über einen aufgemalten Heiligen an der Dorfschule echauffieren. Aber Kreuze mit politischer Intention aufzuhängen, kommt einer schamlosen Vereinnahmung gleich, derer sich die Christsozialen hier schuldig machen.
Das Kreuz verpflichtet auch zu einer christlichen Politik
Die christliche Religion wird in Deutschland in vielen verschiedenen Weisen gelebt und praktiziert, für viele Menschen spendet das Kreuz Halt und stiftet Identität. Deutschland ist zweifelsohne in besonderer Weise vom Christentum geprägt worden. Egal, ob man Kreuze auf- oder abhängt, an diesem historischen Befund kommt niemand vorbei. Der CSU geht es mit dem Kreuz-Appell vielmehr darum zu sagen "Der Islam gehört nicht zu Deutschland”. Sie betreibt reine Ausgrenzungspolitik.
Aber Herr Söder liegt im Trend: Die Mehrheit der Deutschen, das hat Allensbach Anfang dieses Jahres herausgefunden, möchte das Christentum auch im öffentlichen Raum stärker präsent sehen. Und so verpflichtet in Bayern das Kreuz jeden, der an ihm vorübergeht, zu Gottesfurcht und tätiger Nächstenliebe. Es verpflichtet aber auch die CSU zu einer christlichen Politik, ansonsten ist die ganze Nummer nur "Balken-Sepp"-Folkore.
Alexander Görlach (Twitter) ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York.
Alexander Görlach