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Wer das christliche Kreuz in den Nationalfarben anmalt, versteht die christliche Lehre nicht. Eine Pegida-Demonstration in Dresden.
© Hannibal Hanschke,Reuters

Gehört der Islam zu Deutschland?: Die verlogene Botschaft der Trotz-Christen

Deutschland sei durch das Christentum geprägt, sagen Trotz-Christen. Sie wollen stolz auf einen Glauben sein, den sie weder kennen noch praktizieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Es gibt ein neues Phänomen, aber noch kein Wort dafür. Oder vielleicht doch? Wie wäre es mit „Trotz-Christentum“? Dessen Anhänger wären dann die „Trotz-Christen“. Das sind jene, die persönlich mit christlichem Glauben, christlicher Frömmigkeit und christlicher Religion nichts anfangen können, aber umso stolzer auf die Prägungen durch das Christentum sind. Als allgemeine Formel kann gelten: Je schwächer die eigene religiöse Bindung, desto vehementer wird ein angeblich identifikationsstiftendes Christentum verteidigt.

Beide Tendenzen sind gut belegbar. Deutschland wird zunehmend areligiös. Das Wissen über christliche Lehre und Rituale, christliches Gebet und Liedgut verblasst. Im Jahre 1950 gehörten mehr als 95 Prozent der Deutschen in Ost und West der evangelischen oder katholischen Kirche an, heute sind es 55 Prozent. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Konfessionslosen von 3,9 auf 36 Prozent. Für die Wertevermittlung werden die Kirchen nicht mehr zuständig gemacht.

Besonders groß ist die Kluft zwischen Ost und West. Das Gebiet der ehemaligen DDR ist, laut „International Social Survey Program“, die gottesfernste Region weltweit. Vierzig Prozent der Ostdeutschen bezeichnen sich als Atheisten, einer christlichen Religionsgemeinschaft gehören nur noch rund zwanzig Prozent an. Religionswissenschaftler sprechen von einem „stabilen areligiösen Milieu“, im „Religionsmonitor“ der Bertelsmann-Stiftung heißt es: „Fehlende religiöse Erfahrung und nicht mehr vorhandenes religiöses Wissen führen ganz offensichtlich dazu, dass vielen Menschen ein Leben ohne Religion als ganz selbstverständlich erscheint.“

In China wächst das Christentum sehr schnell

Im auffallenden Kontrast dazu steht die Bereitschaft, sich in West wie Ost auf das Christentum positiv zu beziehen. Die Frage „Wie sehr ist Deutschland durch das Christentum und christliche Werte geprägt?“ bejahen heute 63 Prozent, vor fünf Jahren waren es nur 48 Prozent. Es liegt nahe, diesen Anstieg nicht als Re-Christianisierung zu deuten, sondern als Ausdruck eines kulturellen Selbstbehauptungswillens, der das Eigene (das Christentum) vom Fremden (dem Islam) trennen soll. Nicht das Christentum als solches meinen die Trotz-Christen, sondern das Christentum in seiner Eigenschaft, nicht-islamisch zu sein. Für die Trotz-Christen gehören beide Sätze zusammen: Deutschland ist durch das Christentum geprägt, der Islam gehört nicht zu Deutschland.

Wie unsinnig diese enge Koppelung ist, lehrt auch ein Blick über den Tellerrand. In Deutschland und Europa schrumpft die Zahl der Christen, doch in Lateinamerika, Afrika und Asien steigt sie. Das Pendant zur Entchristianisierung hier ist der Christianisierungsschub dort. Die stärkste Wachstumsdynamik gibt es wegen der hohen Geburtenrate in Afrika.

Das Christentum in China wiederum ist die am schnellsten wachsende Religionsgemeinschaft der Welt. Pro Tag konvertieren Tausende. Bald schon könnte China das Land mit den meisten Christen sein. Von einem „Fieber“ ist die Rede, einem „Hype“. Aber gehört das Christentum zu Asien? Die deutschen Trotz-Christen müssten das verneinen. Chinesisches Christentum ist in ihrer Logik so unmöglich wie ein deutscher Islam. Wer die Realitäten kennt, kann darüber nur den Kopf schütteln.

Viele Trotz-Christen sind Gegner der Willkommenskultur

Und zuletzt: Deutschland sei durch das Christentum geprägt, sagen mit stolzgeschwellter Brust die Trotz-Christen, von denen viele Gegner der Willkommenskultur sind. Aber wann, wenn nicht im Herbst 2015, ließ sich eine christliche Prägung Deutschlands je besser beobachten? Beide christliche Amtskirchen zogen an einem Strang, Gemeinden richteten Flüchtlingscafés ein, nicht nur auf Kirchentagen wurde an das Beispiel des Barmherzigen Samariters erinnert, Papst Franziskus fuhr demonstrativ nach Lampedusa. Nächstenliebe, Humanität, Schutzgebot – solche Begriffe durchzogen auch die Feuilletons und Leitartikel.

Die Trotz-Christen versuchen einen Spagat. Sie behaupten, von etwas geprägt zu sein, das sie nicht kennen. Sie nehmen eine Exklusivität für sich in Anspruch, die es nicht gibt. Sie wollen stolz auf eine Lehre sein, die sie ablehnen. Sicher ist nur eins: Vom Logos ist Deutschland nicht geprägt.

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