Die gewiefte Strategie des CSU-Chefs: „Söder bedient sich aus dem Werkzeugkasten der Populisten“
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder erklärt, was Söders Taktik mit der von Donald Trump gemeinsam hat - und warum die CDU nicht vorbereitet war.
Wolfgang Schroeder ist Professor für das politische System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Kassel. Er forscht außerdem am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung in der Abteilung „Demokratie und Demokratisierung“.
Herr Schroeder, CSU-Chef Markus Söder versucht im Kampf um die Kanzlerkandidatur derzeit das CDU-Establishment zu umgehen. Er sieht sich durch die Stimmung in Partei und Bevölkerung legitimiert. Wie klug ist diese Strategie?
Das ist eine knallharte, populistische Vorgehensweise. Söder adressiert als Gegner das Partei-Establishment und wirft der CDU-Spitze indirekt vor, die Stimmung im Volk und in der Partei nicht zu kennen. Söder versteht sich als Anwalt der Unionsmitglieder und der Bundestagskandidaten, die im Wahlkampf ihren Kopf hinhalten müssen.
Ist es denn nicht auch richtig? Die CDU-Spitze stellt sich hinter einen Kanzlerkandidaten, der in den Umfragen deutlich schlechter wegkommt als der Alternativkandidat Söder. Da fürchten viele Mitglieder und auch Bundestagskandidaten, dass die CDU die Wahl verlieren wird.
Der Herr des Verfahrens muss trotzdem die Partei sein. Natürlich darf sich die CDU nicht abschotten von den Stimmungslagen in der Bevölkerung und in der Partei. Aber abgeschottet sind die CDU-Gremien ja auch nicht. Sie repräsentieren die Mitglieder in der Partei. Sie haben jedes Recht zu sagen: Wir stehen zu unserem Kandidaten, weil er verlässlich ist und wir den Wahlkampf noch nicht begonnen haben.
Die Ratlosigkeit ist trotzdem groß. Warum war die CDU nicht vorbereitet auf Söders Manöver?
Sie hatten bis Montag einen Plan: Sie wollten mit ihrer Rückendeckung für Armin Laschet im CDU-Vorstand und im Präsidium Söder einen Riegel vorschieben. Sie sind davon ausgegangen, dass er sich an seine Zusage hält, sich nach dem Votum der CDU zu richten. Sie hatten keinen Plan B für den Fall, dass Söder ankommt und nach dem Motto argumentiert: „Ihr seid nicht maßgeblich. Es gibt nur einen Souverän. Das sind die Wähler. Und die wollen mich.“ Söders Fähigkeit der kalkulierten Regelverletzung hat für eine stark von Gremien geprägte Partei wie die CDU etwas Überwältigendes.
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Ist es eine Erpressungstaktik, was Söder da macht?
Ja. Denn er prophezeit ja indirekt: Wenn ihr mich nicht als Kanzlerkandidaten nehmt, dann werden die Wähler euch bestrafen und ihr werdet untergehen. Und es schwingt gleichzeitig die Drohung mit: Wenn es im Wahlkampf schlecht läuft, werdet ihr euch wünschen, mich genommen zu haben. Das heißt: Der Schatten der schlechten Auslese könnte diesen Wahlkampf begleiten. Die einzige Chance, die die CDU-Spitze hat, ist jetzt trotzdem geschlossen zu stehen und auf Laschet zu beharren. Mit Reiner Haseloff, dem CDU-Ministerpräsidenten aus Sachsen-Anhalt, ist allerdings der erste schon umgefallen. Das könnte zu einem Dominoeffekt werden.
Manche vergleichen Söders Taktik mit der von Donald Trump. Ist das überzogen?
Söder bedient sich aus dem Werkzeugkasten der Populisten. Und diesen Populismus von oben, diesen Anti-Establishment-Kurs von oben – das hat man auch bei Donald Trump gesehen. Viele haben auch schon wieder vergessen, was für ressentimentgeladene und autoritäre Positionen Söder früher vertreten hat. Als Generalsekretär der CSU hat er 2005 zum Beispiel Kanzler Schröder die Mitverantwortung für Sexualmorde an Kindern gegeben und erklärt die rot-grüne-Regierung gehöre zu einem „Kartell der Schuldigen“, weil sie sich nicht genug für eine Verschärfung des Sexualstrafrechts eingesetzt habe. Seine Positionen gegen die Krisenpolitik der EU und die Kopie der AfD-Vokabel vom „Asyltourismus“ sind noch gar nicht so lange her.
In seinem Regierungshandeln in Bayern kann man Söder trotzdem nicht mit Trump vergleichen.
Nein, natürlich nicht. Aber es gibt schon noch weitere Parallelen. Söder ist ein medialer Gladiator, ein Meister der Schauspielerei. Und er ist erfolgreich damit. Er verkörpert für seine Anhänger in CDU und CSU die Erotik der Macht.
Einer, der weniger erfolgreich war mit seinem Anti-Establishment-Kurs, ist Friedrich Merz.
Ja. Auch er hat sich gegen das Partei-Establishment als Anti-Establishment-Kandidat positioniert. Er hat der CDU-Spitze sogar vorgeworfen, ihn mit unlauteren Mitteln verhindern zu wollen. Aber für die Wahl des CDU-Chefs gab es ja einen formalisierten Prozess. Zwei Mal haben sich die Delegierten auf dem CDU-Parteitag gegen Merz ausgesprochen.
Wie gefährlich ist Söders Anti-Establishment-Strategie?
Für die CDU hat es schon zerstörerische Dimensionen. Angela Merkel hat ein Machtvakuum in der Partei hinterlassen, das Annegret Kramp-Karrenbauer nicht füllen konnte. Armin Laschet ist auch schon wieder beschädigt. Und jetzt kommt Söder und stellt den Mechanismus der innerparteilichen Kandidatenauslese in Frage. Er hätte gern, dass die Fraktion entscheidet, nicht die Partei. Das schmälert die Bedeutung der Partei für die Organisation von Macht. Langfristig könnte das beeinflussen, wie Politik gemacht wird.
Inwiefern?
Fraktionen sind direkter von Umfragen abhängig, weil die Abgeordneten und ihre Mandate unmittelbar daran hängen. Sie lassen sich entsprechend treiben. Das widerspricht dem Sinn von Politik, die ja dazu da ist, langfristige Lösungen zu entwickeln und – nach Max Weber – „harte Bretter“ zu bohren. Aber für solche Auswirkungen scheint sich Söder weniger zu interessieren. Ihm geht es um seinen Erfolg im Hier und Jetzt. Er ist ein Sofortist.
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