Kampfansage: So wollen die Behörden jetzt gegen Clans durchgreifen
Seit Jahren kommt der Staat gegen Clan-Kriminelle kaum an – etwa in Berlin. Jetzt gibt es mehrere neue Lösungsansätze. Ein Überblick.
Von subtiler Bedrohung über offene Aggressivität bis hin zu Raubüberfällen und Drogenhandel: Die Machenschaften krimineller Clan-Mitglieder sind vor allem in Berlin und Nordrhein-Westfalen (NRW) seit Jahren ein Problem. Jetzt hat kurz vor der Europawahl auch Bundesinnenminister Horst Seehofer das Thema für sich entdeckt – und kriminellen Großfamilien den Kampf angesagt.
Er ist nicht allein: Berlins Grüner Justizsenator Dirk Behrendt macht im Tagesspiegel seine neuen Pläne öffentlich, mit denen er kriminelle Clans daran hindern will, ihr Geld in Immobilien zu investieren. Und NRW-Innenminister Herbert Reul von der CDU präsentierte vor einigen Tagen ein 30-seitiges Lagebild zur Clan-Kriminalität in seinem Bundesland – bundesweit eine Neuheit.
Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten zur Offensive gegen die Clans:
1. Was will Seehofer?
Der Kampf gegen Clan-Kriminalität verleitet Innenpolitiker regelmäßig zu markigen Worten – bei Seehofer ist das nicht anders. Clans sähen „rechtstreue Bürger als ,Opfer’, die deutsche Gesellschaft als Beute und unsere Gesetze und Regeln als nicht verbindlich“, erklärte er der „Bild“-Zeitung. Das BKA entwickle ein Anti-Clan-Konzept und solle zudem mehr Personal zum Kampf gegen Clan-Kriminalität bekommen. Eine BKA-Sprecherin erklärte, es gehe in dem Konzept darum, die „Strukturen, Arbeitsweisen und Verflechtungen“ aufzudecken und sie den Ländern als Ermittlungsunterstützung zur Verfügung zu stellen.
Im Oktober will das BKA außerdem sein neues Lagebild zur organisierten Kriminalität vorstellen und dabei besonders auf kriminelle Clans eingehen – bislang hat das BKA das Thema in seinen Lagebildern nur gestreift. Dafür arbeiten das BKA und die Polizeien der Länder an Kriterien, die eine Zuordnung möglich machen. Im Behördensprech heißt die Kategorie: „kriminelle Mitglieder von Großfamilien ethnisch abgeschotteter Subkulturen“. Aus dem BKA heißt es: „Die Bekämpfung der Clan-Kriminalität hat für die deutschen Sicherheitsbehörden höchste Priorität.“ Das Thema solle auch bei der nächsten Bundesinnenministerkonferenz auf den Tisch.
2. Wo sind Clans besonders aktiv?
Vor allem in NRW, Niedersachsen, Bremen und Berlin fallen Männer bestimmter Großfamilien durch Serientaten auf. Ermittlungen wegen Drogendelikten, Nötigungen, Steuerhinterziehung, Schlägereien, Diebstahl und Raub sind üblich. Je nach Zählweise werden in Berlin bis zu zwölf Clans als auffällig eingestuft. Hunderte Angehörige aus diesem Milieu fallen dauerhaft durch Straftaten auf. Schon vor der Wende kamen die Eltern oder Großeltern vieler bekannter Clan-Männer aus dem Libanon nach Deutschland. Heute sind die meisten Verdächtigen aus diesen Clans deutsche Staatsbürger, ihre Eltern aber offiziell als staatenlos registriert. Im Alltag, so eine Beobachtung, zählt die Moral und der Wohlstand der eigenen Familie.
Das NRW-Lagebild verortete in dem Bundesland sogar 104 kriminelle Clans. Allein in den Jahren 2016 bis 2018 sollen diese für rund 14000 Straftaten verantwortlich sein, begangen von 6500 Verdächtigen, berichtete Reul in Düsseldorf. Jede fünfte Straftat gehe dabei auf das Konto von nur zwei Clans. Unter den Verdächtigen seien 380 Intensivtäter überwiegend im Alter zwischen 14 und 26 Jahren. Die Hochburg der Clans in NRW sei Essen. Die meisten der Verdächtigen seien Deutsche, gefolgt von Libanesen, Türken und Syrern.
3. Wie ist die Situation in Berlin?
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte zu Seehofers Vorstoß, er habe schon vor Monaten der Bundesebene signalisiert, das Vorgehen gegen die Clans sei „nicht nur ein Thema von vier Bundesländern“. Organisierte Kriminelle seien auch in anderen Bundesländern verankert – auch wenn, wie Geisel weiß, im deutschen Nordwesten und Berlin die meisten Clan-Kriminellen wohnen. „Wir brauchen eine nationale Strategie, wie wir mit dieser Thematik umgehen“, mahnte Geisel. „Wenn Herr Seehofer sagt, dass der Bund sich stärker engagieren will, freut mich das. Dass ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiß, was in seinem Konzept steht, zeigt einmal mehr, dass es ganz gut wäre, wenn wir uns darüber mal austauschen würden.“
Wie berichtet, hatte Geisel im November 2018 einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt: Kern ist die ressortübergreifende Zusammenarbeit in einer neuen Koordinierungsstelle beim Landeskriminalamt: Neben Polizei und Staatsanwaltschaft sollen Finanzämter, Jobcenter, Ausländerbehörde sowie Ordnungs- und Jugendämter beteiligt sein. Junge Männer sollen von einer kriminellen Karriere abgeschreckt, andere zum Ausstieg bewogen werden.
Da viele der Täter aus dem Clan-Milieu aus dem Libanon stammen und zuweilen keine deutschen Staatsbürger sind, ist Geisel vergangene Woche nach Beirut geflogen. Die libanesische Regierung hatte sich bislang oft geweigert, bestimmte Männer aufzunehmen. Details wollte Geisel nicht preisgeben. Er sagt lediglich: „Angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen im Libanon sind wir gut beraten, uns dort weiter zu engagieren und damit die humanitäre Krise vor Ort bewältigen zu helfen.“
4. Mit welchen Straftaten fielen die Clans auf?
In diesem Jahr hat auch der Diebstahl goldener Kunst aus einer Berliner Schule die Debatte wieder angeheizt: Die Verdächtigen stammen aus der wohl bekanntesten deutsch-arabischen Familie. Im Jahr 2018 sollen Angehörige dieses Clans den Geldtransporter am Alexanderplatz überfallen und bei der Flucht auf Polizisten geschossen haben – sie sitzen in Untersuchungshaft. Im Vorjahr sollen wiederum Heranwachsende des Clans aus dem Berliner Bodemuseum eine Goldmünze gestohlen haben. Und 2017 sollen zudem weitere Männer der Familie einen Vater totgeschlagen haben, von dem die Familie der Verdächtigen sich Geld geliehen hatte. Männer eines anderen Clans, der auch in NRW aktiv ist, stürmten 2014 das KaDeWe und raubten Schmuck – sie wurden verurteilt. Damals hatte ein Mann aus jener Familie zudem den Auftrag gegeben, einen Nebenbuhler erschießen zu lassen. Auch den Überfall auf das internationale Pokerturnier am Potsdamer Platz 2010 hatte ein Mann aus einer stadtbekannten Palästinenser-Familie zu verantworten.
4. Was ist neu am Behrendt-Vorschlag?
Im Berlin-Neukölln, wo die umstrittenen Familien oft wohnen, hatte Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) zuletzt gesagt: „Wir kriegen sie nur über die Kohle und die Kinder.“ Liecke hat deshalb ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, inwiefern Kinder der Familien in staatliche Obhut genommen werden können. Hintergrund ist die Annahme, dass eine gefestigte und kriminelle Prägung in einer Familie das Kindeswohl gefährden könne. Das Rechtsgutachten wird in diesem Sommer erwartet.
Justizsenator und Grünen-Politiker Behrendt setzt nun beim Geld an: Denn hohe Summen illegal erworbenen Geldes müssen angelegt werden. In anderen Ländern ist es üblich, zum Zweck der Geldwäsche Diamanten und Edelmetall zu erwerben. In Deutschland kaufen kriminelle Clans oft Immobilien.
Jeder Kauf eines Hauses, einer Wohnung und eines Grundstücks muss aber von einem Notar beurkundet werden. Dort trifft der potenzielle Geldwäscher auf einen mutmaßlichen Helfer – jedenfalls wenn der Notar erkennen kann, dass das Geld für ein Haus nicht legal erwirtschaftet worden sein kann. Nun sollen die Notare intensiv darauf vorbereitet werden, Verdachtsfälle zu melden.
4. Wie ist die Gesetzeslage?
Seit Juli 2017 ist ein Gesetz in Kraft, das es dem Staat ermöglicht, Vermögen einzuziehen, wenn sicher ist, dass es „aus kriminellen Handlungen herrührt“ – selbst wenn ursprüngliche Straftaten noch nicht nachgewiesen sind. Im Kern bedeutet das eine milde Form der Umkehrung der Beweislast. Nun müssen Verdächtige belegen, dass sie ihr Vermögen legal erwirtschaftet haben. „Milde“ deshalb, weil sich Innenpolitiker wie Berlins Senator Geisel wünschen, dass die Beweislastumkehr in Deutschland so ausgeweitet wird wie in Italien. Dort ist es noch leichter, verdächtiges Vermögen einzuziehen. Schon vor einem Jahr wurden in Berlin 77 Immobilien einer deutsch-arabischen Familie „vorläufig eingezogen“, weil der Clan im Verdacht steht, durch Häuserkauf 9,3 Millionen Euro aus einem Einbruch einer Sparkasse gewaschen zu haben.
5. Wie wird Seehofers Vorschlag bewertet?
Für seinen Vorstoß bekommt Bundesinnenminister Seehofer auch unter Innenexperten im Bundestag nicht nur Beifall. „Die Union stellt seit 14 Jahren den Innenminister, aber jetzt tut sie so, als sei sie zum ersten Mal mit Clan-Kriminalität befasst“, sagt der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Konstantin Kuhle. Er verweist auch auf die Haltung der Union beim Thema Beschäftigungsduldung für Geflüchtete. „Wer sich so anstellt, wenn es darum geht, Geduldeten Zugang zum Arbeitsmarkt zu geben, der zieht sich die nächste Generation Clan-Krimineller doch heran.“
Viele heutige Clan-Kriminelle hätten in Deutschland lange nicht arbeiten dürfen – das sei keine Entschuldigung, aber doch ein begünstigender Faktor für deren Entwicklung. Kuhle plädiert für einen länderübergreifenden Datenaustausch zwischen den Polizeibehörden zu Clan-Kriminellen. Zudem müssten kriminelle Clan-Mitglieder schon für kleinste Delikte dingfest gemacht werden – etwa bei Verstößen gegen das Nichtraucher-Gesetz in Shisha-Bars.
Die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Irene Mihalic, glaubt, dass wir bislang zu wenig wissen über die „Strukturen und Arbeitsweisen“ der Clans. „Daher ist es richtig, dass das BKA dieses Phänomen jetzt genauer untersucht und erhellt.“ Neben der Strafverfolgung sei Prävention wichtig. „Dagegen leisten Show-Einsätze mit extrem hohen Personalaufwand und ohne Gesamtstrategie keinen Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung.“
Beim Koalitionspartner SPD kommt Seehofers Vorstoß gut an. „Herr Seehofer hat die volle Unterstützung der SPD, wenn es um die Bekämpfung der Clan-Kriminalität geht“, sagt der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka dem Tagesspiegel. Der Sumpf müsse trocken gelegt werden. Dafür sollten Polizei, Ordnungsämter, Justiz und Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten. „Wir müssen diesen kriminellen Strukturen jetzt 24 Stunden am Tag auf den Füßen stehen und Vermögen mit unklarer Herkunft sofort beschlagnahmen.“
6. Wie beurteilen Polizisten den Vorstoß?
Alle drei Gewerkschaften der deutschen Polizei plädieren dafür, härter gegen mafiöse Clans vorzugehen. Die Gewerkschaft der Polizei, die Deutsche Polizeigewerkschaft und die Kripogewerkschaft BDK fordern neben erweiterten Befugnissen im Umgang mit verdächtigem Vermögen vor allem mehr Personal. Insofern wird Seehofers Ankündigung begrüßt. Mitarbeit: Robert Kiesel