Schnell weg von Putins Gas, Öl und Kohle: So will Habeck Deutschland unabhängiger machen von Russland
Der Ukraine-Krieg gefährdet die deutsche Energieversorgung. Wirtschaftsminister Habeck kündigte schnelle Gesetze an, um unabhängig von Russland zu werden.
Es ist ein Aufwachen in einem Albtraum, den auch Robert Habeck am Donnerstagmorgen erlebt. „Rückblickend muss man sagen, wenn man sich die Schriften von Putin aus dem letzten Sommer anschaut, wenn man die Wortbeiträge zusammenschneidet, dass der Westen, Europa, Deutschland zu naiv waren“, sagt der Vizekanzler im ZDF sichtlich erschüttert angesichts der russischen Invasion der Ukraine. Später am Tag sagt Habeck: „Es ist ein Tag, der nie passieren hätte dürfen.“
Mit seiner Fehleinschätzung über Russlands Präsident Wladimir Putin ist Habeck nicht allein, doch der Wirtschaftsminister muss nun besonders schnell reagieren. Denn zur Naivität gehört, dass Deutschlands Energieversorgung in weiten Teilen abhängig von Russland ist. 55 Prozent aller Gaslieferungen stammen aus Russland, ebenso die Hälfte der Kohle und 35 Prozent des Rohöls.
Am Nachmittag tritt Habeck vor die Presse und gibt ein Versprechen ab: „Ich werde alles dafür tun, dass Deutschlands Energieversorgung sicher ist.“ Tatsächlich hat sein Ministerium schon vor Monaten die Abhängigkeit von Russland bemerkt, vor allem auf dem deregulierten Gasmarkt.
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An diesem Tag macht Habeck Russland so deutlich wie noch nie für die stark gestiegenen Gas-Preise verantwortlich: „Russland hat die Preise nach oben getrieben.“ Die deutschen Gasspeicher, die sich in der Hand des russischen Staatskonzerns Gazprom befinden, seien „systematisch“ entleert worden.
Tatsächlich sind die Gasspeicher in Deutschland in diesen Tagen nur noch zu rund 30 Prozent gefüllt – und das auch nur, weil das Bundeswirtschaftsministerium seit Dezember immer wieder sogenannte Long Term Options gezogen hatte. Damit konnten Gas-Anbieter im kleineren Stil dazu bewegt werden, zusätzliche Lieferungen anzubieten.
Speicher-Betreiber sehen Gesetzesvorhaben kritisch
Trotzdem sind vor allem die Gas-Speicher, die in der Hand der Astora GmbH sind – ein Tochterunternehmen von Gazprom – besonders leer. Die Speicher der Astora sind seit Monaten fast leer, am Donnerstag waren sie zu nur noch neun Prozent gefüllt. Der Astora-Gasspeicher in Rheden, mit 3,9 Milliarden Kubikmetern Erdgas der größte Gasspeicher in Westeuropa, ist sogar nur noch zu drei Prozent gefüllt. Künftig soll das nicht mehr passieren, kündigt Habeck an. Die Speicher-Nutzer würden verpflichtet, die Gas-Speicher im Herbst voll zu haben. „Das Gesetz dafür ist in der Bearbeitung“, sagte Habeck.
Kritik aus der Branche folgte prompt: Sebastian Bleschke, Geschäftsführer der Initiative Energien Speichern (INES) sagte dem Tagesspiegel: "Es besteht ein erhebliches Risiko, dass die marktwirtschaftliche Speichernutzung durch gesetzliche Vorgaben zur Einhaltung von Mindestfüllständen kaputt reguliert wird, weil Speichernutzer sich der Verpflichtung durch das nicht Buchen von Speichern einfach entziehen können."
Bleschke äußerte jedoch auch Verständnis dafür, dass die Bundesregierung angesichts des Angriffs auf die Ukraine Maßnahmen ergreifen möchte. "Trotz des wahrnehmbaren zeitlichen Drucks sollten aber Folgewirkungen, gerade wenn sie negativ auf die politisch gesetzten Ziele einwirken, Beachtung finden", sagte Bleschke. Er fürchtet, dass die Nutzer der Gasspeicher ins Ausland ausweichen oder erst gar nichts mehr einspeichern könnten. Seine Forderung: "Statt die Speichernutzer zu zwingen, sollte die marktwirtschaftliche Speicherbewirtschaftung durch staatliche Vorsorgemaßnahmen, das heißt die Sicherung von Gasspeicherreserven über den Marktgebietsverantwortlichen, flankiert werden."
Beim Flüssiggas muss Habeck seine eigene Partei überzeugen
Neben dem Gesetz für die Gasspeicher will Habeck zudem den Bau eines eigener Terminals für Flüssigerdgas - sogenanntes LNG - zügig vorantreiben. Schon jetzt ist der Import von Flüssigerdgas in die EU so hoch wie noch nie. Im Januar wurden 8,1 Millionen Tonnen nach Europa gebracht. Doch in Deutschland gibt es kein eigenes LNG-Terminal, bisher nutzte man vor allem die Terminals in den Niederlanden, Polen und Litauen.
Vor allem in seiner eigenen Partei sind Flüssiggas und LNG-Terminals jedoch umstritten. Um das Gas in flüssige Form zu bekommen, muss es auf Minus 162 Grad heruntergekühlt werden, dann wird es mit Schiffen von Katar, Australien oder aus den USA transportiert, bis es schließlich an den LNG-Terminals in Europa wieder regasifiziert wird. Der ganze Prozess kostet enorme zusätzliche Energieressourcen, der Transport ist klimaschädlich und vor allem das amerikanische Gas weist eine schlechte Öko-Bilanz auf, da es mit der chemischen Fracking-Methode aus dem Boden gewonnen wird.
Habeck will eine nationale Kohlereserve anlegen
In Schleswig-Holstein, wo im Mai Landtagswahlen anstehen, hat die Grünen-Basis - gegen den Willen der Parteispitze - erst am Wochenende durchgesetzt, dass man sich die Grünen im Wahlprogramm gegen ein LNG-Terminal aussprechen. Ex-Grünen-Chef Habeck will ein Terminal, im Gespräch sind Stade, Brunsbüttel oder Bremerhaven, dennoch vorantreiben. Auch die Unterstützung mit Bundesmitteln scheint denkbar. "Damit wir auf eigenem Staatsterritorium über die Energieversorgung und Energiesouveränität bestimmen können", sagte Habeck.
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Auch beim Öl will sich der Wirtschaftsminister nach neuen Lieferpartnern umschauen. Hier sei die Lage jedoch weniger dramatisch wegen der nationalen Ölreserve, die eine Unabhängigkeit aller Öl-Importe von 90 Tagen sicherstelle. „Beim Öl sind wir auf der sicheren Seite.“ Eine solche Reserve solle nun auch bei der Kohle entstehen, kündigt Habeck an. 2021 hat Deutschland noch rund 18, 5 Millionen Tonnen Steinkohle bezogen. Zumindest bis Donnerstag habe Russland aber Gas, Öl und Kohle weiter geliefert, sagte Habeck.
Brandenburgs Ministerpräsident stellt früheren Kohleausstieg in Frage
Für den Wirtschaftsminister stellen sich nun neue Fragen. Die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien, die von der Ampel-Regierung forciert wird, erhält wegen der bedrohten Versorgungssicherheit eine neue Dringlichkeit. Doch um in der Phase der Transformation nicht in Abhängigkeiten zu geraten, muss sich der Grünen-Politiker nun fragen lassen, ob der vorgezogene Kohleausstieg von 2038 auf 2030 sinnvoll ist.
Dietmar Woidke, Ministerpräsident im Braunkohle-Land Brandenburg, äußerte am Donnerstag bereits Zweifel. „Ich glaube auch, dass es gut ist, wenn wir uns in diesem Jahr noch Gedanken machen, ob auch vor dem Hintergrund die Zeitschiene für den Kohleausstieg 2030 real ist“, sagte der SPD-Politiker in Potsdam. Es gehe darum, für möglichst große Unabhängigkeit in der Energieversorgung zu sorgen und für „vernünftige Energiepreise“.
Immerhin, eine positive Nachricht kann Habeck an diesem schwarzen Tag verkünden. Die Lieferungen von Gas, Kohle und Öl aus Russland würden aktuell noch weiterlaufen. Noch, denn auf das nächste Sanktions-Paket der EU gegen Russland könnten harte Reaktionen aus dem Kreml nach sich führen.
Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland florieren
Vor dem Treffen der EU-Regierungschefs bleibt Habeck vage bei den Strafmaßnahmen gegen Russland: Es werde „ein Sanktionspaket, das die russische Wirtschaft abkoppeln wird vom industriellen Vorsprung und Geschehen, das Vermögens- und Finanzwerte attackieren und einfrieren wird und den Zugang zu den europäischen und amerikanischen Märkten deutlich beschränken wird.“
Doch der Wirtschaftsminister weiß, dass jedes Sanktionspaket auch die heimische Wirtschaft treffen wird. Just am Donnerstag teilt das Statistische Bundesamt mit, dass 2021 Waren im Wert von rund 59,8 Milliarden Euro zwischen Russland und Deutschland Staaten gehandelt wurden - 34,1 % mehr als im Vorjahr. 472 Unternehmen werden nach Angaben der deutschen Bundesbank in Russland von deutschen Investoren kontrolliert. Für sie könnten es schwierige Zeiten werden.
„Die Sanktionen", sagt Habeck, "sind so formatiert, dass sie die russische Wirtschaft scharf und die deutsche Wirtschaft möglichst gering treffen werden.“ Trotzdem werde es schmerzhaft für manche Branchen, kündigt Habeck an. Der Krieg in der Ukraine wird sich schon bald in Deutschland bemerkbar machen.