Krisentreffen vor Landtagswahlen: So will die SPD den Osten zurückgewinnen
Die Sozialdemokraten regieren in allen neuen Ländern. Doch genau dort droht ihnen, den Status als Volkspartei zu verlieren. Am Wochenende suchen sie Auswege.
Es ist eines der großen Paradoxa der deutschen Sozialdemokratie: In allen fünf rein ostdeutschen Ländern sowie in Berlin regiert sie, doch in kaum einer anderen Region erodiert ihr Anspruch auf den Status einer Volkspartei stärker als im Osten. Das ist ein bedrohlicher Befund in einem Jahr, in dem drei ostdeutsche Landtage gewählt werden, nämlich in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.
Es war ein deutliches Zeichen für die Schwäche der SPD, dass der thüringische Landesvorsitzende Wolfgang Tiefensee im Februar vor der Wahl den Anspruch auf die Führung der Staatskanzlei aufgab und ankündigte, die SPD werde als Juniorpartner für die Fortsetzung der rot-rot-grünen Regierung unter Bodo Ramelow (Linkspartei) werben.
Doch Abfinden mit dieser Misere wollen sich weder die Bundespartei noch die Ost-Genossen. Am Sonnabend treffen sich die Parteispitze und prominente SPD-Politiker aus den neuen Ländern deshalb in Erfurt zum sozialdemokratischen Ostkonvent. Es gehe darum, Bilanz zu ziehen, wo die SPD nach 30 Jahren Einheit stehe, sagt Carsten Schneider, der Parlamentsgeschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, der aus Thüringen kommt. Ziel des Treffens sei es auch, die ostdeutsche SPD zu einen und wieder „schlagkräftig zu machen“.
Die Stimmungslage
Bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Herbst drohen den Sozialdemokraten herbe Verluste. In Brandenburg dürfen die Genossen laut Umfragen zwar noch auf rund 20 Prozent der Stimmen hoffen. Allerdings wäre das für die Partei von Ministerpräsident Dietmar Woidke ein Absturz um zehn Prozentpunkte, die CDU ist in etwa gleich stark, die AfD folgt auf dem Fuß. In Sachsen und Thüringen könnte das SPD-Ergebnis sogar einstellig ausfallen, liegen um die 10-Prozent-Marke herum.
Organisatorische Schwäche
Nur 20.000 von bundesweit knapp 440.000 SPD-Mitgliedern leben in den neuen Ländern, wenn man Berlin nicht mitzählt. Viele Ostdeutsche, die nicht in Städten wohnen, sind in der Realität noch keinem Sozialdemokraten begegnet. In ganzen Landstrichen gibt es keine Genossen, die Plakate kleben oder zum Haustürwahlkampf ausschwärmen.
Falsche Antworten
Zu lange, so glaubt der Ostbeauftragte der SPD, Martin Dulig, hat seine Partei versucht, die Bürger der neuen Länder mit Konzepten aus dem Westen zu überzeugen. Dies sei ein Fehler gewesen. Der sächsische Wirtschaftsminister glaubt im Gegenteil, dass der Blick in andere postsozialistische Gesellschaften für das Verständnis der Ostdeutschen mehr bringt als die Aufforderung, zum Westen aufzuschließen. Das sehen auch prominente Sozialdemokraten aus dem Osten wie Ministerpräsidentin Manuela Schwesig aus Mecklenburg-vorpommern oder Bundesfamilienministerin Franziska Giffey so.
Die neue Konkurrenz durch die AfD
In Sachsen und Thüringen sind die Rechtspopulisten laut Umfragen ein halbes Jahr vor der Landtagswahl fast doppelt so stark wie die SPD. In Brandenburg hatten sie mit der regierenden SPD gleichgezogen, sind mittlerweile aber wieder um wenige Prozentpunkte zurückgefallen. Ein großes Problem für die Genossen, strategisch wie inhaltlich. Tatsächlich hat die SPD in Ostdeutschland den Rechten oft wenig entgegenzusetzen, nicht zuletzt weil AfD-Inhalte mitunter auch bei klassischen SPD-Wählern ankommen. Es sind nicht nur die Bedrohungsszenarien, die Angst vor Flüchtlingen, mit der die AfD erfolgreich Stimmung macht. Alle ostdeutschen AfD-Landesverbände machen der SPD vor allem im Sozialen Konkurrenz. „Im Osten droht die AfD die CDU als Volkspartei abzulösen, die SPD hat sie längst überholt“, sagt Torsten Schneider-Haase vom Umfrageinstitut Emnid. Moralische Ausgrenzung und Verurteilung der AfD allein ist für die SPD im Kampf gegen die Rechtspopulisten keine erfolgsversprechende Strategie. Damit würden sie rund ein Viertel der ostdeutschen Wähler verteufeln.
Womit die SPD nun punkten will
Für ein starkes Versprechen seiner Partei in den neuen Ländern hält Carsten Schneider die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Von ihr würden viele Ostdeutsche profitieren. „Wir müssen sie nach vorne stellen, weil wir hier noch lange keine Einigung haben“, sagt der Thüringer mit Blick auf die Union, die einen Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung ablehnt.
Zudem wollen die Sozialdemokraten Ostdeutschland zur Vorreiterregion für neue Technologien machen. E-Mobilität, Technologien für umweltschonende Antriebe, künstliche Intelligenz und digitale Technologien sollten dort gezielt vorangetrieben werden, heißt es im Entwurf für das „Zukunftsprogramm Ost“, das in Erfurt beschlossen werden solle.
Außerdem will die SPD Sonderregeln für den Osten bei Infrastruktur sowie in der Sozial- und Bildungspolitik. So müsse es bei dem Aufbau besserer Mobilfunkversorgung (5G) einen Bonus für Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte geben. Der Ostbeauftragte Dulig fordert vom Bund Förderung in Millionenhöhe. Unternehmen, Verwaltung, Politik und Medien sollen sich zudem dazu verpflichten, die Karrieren von Ostdeutschen zu fördern.