Der Gesundheitsminister dirigiert die Medien: So verschafft sich Spahn gute Nachrichten über sich selbst
„Volle Transparenz“? Der Gesundheitsminister und sein Sprecher informieren die Medien nicht, sondern dirigieren sie. Wer kritisiert, wird ausgeschlossen.
„Wir wollen volle Transparenz in einem geordneten Verfahren.“ So hatte es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Anfang März angekündigt. Knapp zwei Monate später sieht es so aus, als seien den Worten Taten gefolgt: Das Ministerium hat eine Liste mit den Namen von Abgeordneten freigegeben, die im Zusammenhang mit Maskengeschäften an Spahn herangetreten waren.
Ein ungewöhnlicher Zug. Vor allem deshalb, weil klar war, dass die meisten Parlamentarier aus den Reihen der Union stammen würden.
Doch der Affärendruck war groß. Fälle wie die von Nikolas Löbel und Georg Nüßlein hatten Fraktion und Partei in Misskredit gebracht. Wie Spahn damit umgegangen ist, Stichwort Transparenz, wirkt souverän. Früh wurde darauf verwiesen, dass man im Prinzip verpflichtet sei, so zu handeln. Aus dem Parlament und von der Presse seien Fragen gekommen, die man beantworten müsse, hieß es.
Fragen beantworten? Wer seitens der Presse oder der Oppositionsfraktion vom Gesundheitsministerium etwas wissen möchte, bekommt selten das Gefühl, dass Spahn und die Seinen sich von Pflichten drängen lassen. Ewig warte man auf Antworten und erhalte oft nur Allgemeinplätze, heißt es von Gesundheitspolitikern.
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Noch unschöner: Dass, wenn es nach Parlamentsanfragen Interessantes gebe, „bestimmte Kanäle“ aktiviert würden, über die Regierungsauskünfte in die Öffentlichkeit gelangten, bevor die Abgeordneten sie in die Hände bekämen. Indem das Ministerium die Antworten selbst zuerst verwerte, hindere es Abgeordnete, in den Medien mit ihrer Kritik zu Wort zu kommen. So der Vorwurf aus den Reihen der Opposition. Das Ministerium wollte auf Anfrage dazu keine Stellung nehmen.
Spahn und Kautz kommunizieren nur, wenn sie kommunizieren wollen
Jens Spahn ist nicht der einzige Minister, der sich auf diese Weise Kritik erspart. Aber er gilt als einer, der „bestimmte Kanäle“ in die Öffentlichkeit besonders intensiv nutzen lässt, um dort in gutem Licht zu erscheinen. Wer keinen Zugang zu diesen Kanälen hat, ist vom Informationsfluss abgeschnitten. Spahn und sein Pressesprecher Hanno Kautz kommunizieren nur, wenn sie kommunizieren wollen.
Auch das angeblich „geordnete Verfahren“, das hier zur „vollen Transparenz“ führen sollte, ist ein Beispiel für diese Form dirigistischer Öffentlichkeitsarbeit.
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Im Prinzip gab es für den Fall weder Ordnung noch Verfahren. Als der Minister Anfang März über Staatssekretär Thomas Steffen bei der Bundestagsverwaltung vorfühlen ließ, ob man von dort unterstützt werde, bekam dieser eine Abfuhr: Das Ministerium müsse über die Publikation selbst entscheiden, dabei jedoch die Rechte der Abgeordneten beachten.
Weil Steffen nicht lockerließ, hat die Parlamentsverwaltung „noch einmal unterstrichen, dass die Handhabung dieser Angelegenheit allein in der Verantwortung des Gesundheitsministeriums liegt“.
Warum ein teures Gutachten?
Was tun? Das Ministerium kündigte an, die betroffenen Abgeordneten um ihr Einverständnis zu bitten. Fragen zu diesem Verfahren und dem Vorgehen von Staatssekretär Steffen ließ das Ministerium unbeantwortet. Ohne es öffentlich zu machen, beauftragte Spahn den Augsburger Juraprofessor Matthias Rossi mit einem Gutachten, das „die prozeduralen und materiellen Rahmenbedingungen klären“ sollte, unter denen die Auskünfte erteilt werden sollen.
Nur: Warum ein teures Gutachten, wenn die Auskunftspflicht feststand? Schon im März hatten sich Rechtswissenschaftler zu Wort gemeldet, die auf die Transparenzpflicht hinwiesen. Zudem ist Spahns Haus voller Juristen.
Der Juraprofessor hatte somit eher wenig zu klären, sondern sollte offenbar einem Vorgehen seinen fachlichen Segen geben, das weitgehend abgeschlossen, wenngleich noch nicht verkündet war. Wie es scheint, wurde das Gutachten im Nachhinein erstellt, als die Stellungnahmen aus dem Parlament schon vielfach vorlagen. Fragen dazu lässt das Ministerium wiederum unbeantwortet.
Der Staatssekretär erklärte, was passieren wird. Aber bitte vertraulich
Statt die Liste nun an alle zu übermitteln, die sich in Parlament und Presse für die Angelegenheit interessiert haben, wählten Spahn und Sprecher Kautz wieder einmal einen anderen, einen „bestimmten“ Kanal: Sie taten ihre Absicht, sie zu veröffentlichen, frühzeitig einem Kreis ausgewählter Journalisten kund, unter ihnen auch einem Tagesspiegel-Vertreter.
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Dann gab es noch ein vertrauliches Gespräch mit Staatssekretär Steffen samt ergänzenden Informationen über die Abgeordneten auf der Liste, über die die Journalisten allerdings schweigen sollten. „Unter drei“ heißt das im Fachjargon, der zwischen den Öffentlichkeitsarbeitern der Regierung und Journalisten gepflegt wird. Journalisten dürfen etwas wissen, die Öffentlichkeit nicht. Fragen zu diesem Vorgehen beantwortet das Ministerium nicht.
Die Vorzüge aus Sicht der Regierung sind offenkundig. Nahezu zeitgleich mit den Parlamentariern im Gesundheitsausschuss wurde den erwählten Pressevertretern die Liste samt Rechtsgutachten übersandt.
Während die Opposition im Ausschuss über den unerwartet frühen Zeitpunkt überrascht war, brachten die gut vorbereiteten Medien die Liste samt Sichtweisen und Einordnung von Staatssekretär Steffen flugs in die Öffentlichkeit. Freilich ohne Steffen als Informanten und Zitatgeber zu nennen. Das Ergebnis: ein Bild vom Minister als Transparenzheld, während es gleichzeitig so erschien, als schwebe Spahn mit seinen Leuten neutral über den Dingen und halte sich offiziell raus.
Gute Nachrichten über sich selbst
So verschafft sich Spahn gute Nachrichten über sich selbst. In seinem Ministerium knüpft er da an Traditionen an. Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) hatte schon im Streit um die Sterbehilfe ein Gutachten anfertigen lassen, das die damals noch strikte politische Abwehr des Themas rechtlich untermauern sollte.
Trotz verschiedener Anfragen von Medien bekam es Anfang 2018 exklusiv nur die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die der Linie des Ministers ausdrücklich gewogen war. Damit war die öffentliche Aufmerksamkeit absorbiert. Wer sich später noch mit Kritik meldete, wirkte, als habe er den Anschluss verpasst.
Bei Spahn ist es nicht zuletzt die „Bild“, die sich über solche Zuwendung freuen durfte. So verkündete der Minister dort im September 2018 etwa sein Eintreten für eine Organspendepflicht, während er unmittelbar zuvor anfragende Journalisten über seine Position noch im Unklaren gelassen haben soll.
Verantwortlich für die guten Verbindungen dürfte der ehemalige „Bild“-Journalist Kautz sein. Seit Spahn ihn auf den Posten holte, bündelt er die Medienkontakte bei sich. Wer von Kautz nicht begünstigt wird, hat es schwer, an aktuelle Informationen aus dem Ministerium zu gelangen.
Auch beim Thema Spahn-Immobilien greift der Sprecher ein
Eine Machtstellung, die Kautz offenbar auch nutzt, wenn es um eher persönliche Angelegenheiten des Ministers geht. So soll er kürzlich unter anderem beim Branchenblatt „Werben & Verkaufen“ darauf gedrungen haben, eine Berichterstattung über eine Plakataktion aus dem Netz zu nehmen.
Die Motive enthielten eine Anspielung auf den privaten Immobilienbesitz des Ministers. Sie zeigten die Villa des früheren US-Botschafters Grenell – mit der Spahn nichts zu tun hat – und verbanden dies mit einer fiktiven E-Mail-Adresse des Ministers. Eine Provokation, die einer Agentur Aufmerksamkeit verschaffen sollte, die Plakatflächen vermarktet.
Kautz bestreitet solche Einmischungen. Er gibt an, er habe lediglich „darüber informiert, dass eine Falschinformation verbreitet wird, die so unter Nutzung des Hinweises auf die US-Residenz und in Bezug zum Minister bereits von radikalen Corona-Leugnern wie Attila Hildmann verwendet wurde“. Das betroffene Medium will sich auf Anfrage nicht zu dem Vorgang äußern.
Der Presse-Auskunftsanspruch spielt eine untergeordnete Rolle
Fragen dazu, wie und welche Medien er sonst über Spahns Immobiliengeschäfte „informiert“ hat, beantwortet Kautz nicht. Ob Spahn selbst solche Einmischungen veranlasst hat und wenn ja auf welcher Grundlage und mit welcher Befugnis, natürlich auch nicht. Der „verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch der Presse“, den Minister-Gutachter Rossi für seine Auftraggeber so hoch einschätzt, spielt in der Praxis der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit von Spahn und Kautz eine untergeordnete Rolle. Lieber dirigiert man die Presse.
Im Gespräch mit dem Schauspieler Jan Josef Liefers zur Kampagne #allesdichtmachen sagte Spahn in der „Zeit“: „Was mich allerdings wirklich stört, ist die vielfach behauptete These, wir hätten in unserem Land gleichgeschaltete Medien, die nur die Regierung beklatschen.“
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