Erdogans weibliche Konkurrenz: So tickt die konservative Meral Aksener von der "Guten Partei"
Die 64-jährige Vorsitzende der oppositionellen IYI-Partei entwickelt sich zur neuen Hoffnung in der Türkei. Sie könnte zur Königsmacherin werden.
Meral Aksener ist sicher: Die Türkei wird in diesem Jahr vorgezogene Neuwahlen für das Parlament und das Präsidentenamt erleben, zwei Jahre vor dem regulären Termin. Wahrscheinlich im Juni, meint sie.
Die 64-jährige Vorsitzende der oppositionellen IYI-Partei bereitet sich systematisch darauf vor. Sie reist durchs Land, spricht mit Menschen in kleinen Handwerksbetrieben und anderen, die sich vom Politikbetrieb in Ankara abgehängt fühlen. Sie engagiert sich für Frauenrechte und holt bei Reden die Vertreter kleiner Berufsverbände auf die Bühne, um ihnen eine Stimme zu geben.
Das zahlt sich aus: Umfragen zufolge könnte Akseners Partei demnächst zum Königsmacher werden. Selbst Präsident Recep Tayyip Erdogan, oberstes politisches Raubein im Land, geht respektvoll mit ihr um. Für ihn ist Aksener gefährlich, denn sie kommt aus dem nationalistischen Lager, in dem Wahlen in der Türkei gewonnen und verloren werden.
An politischer Erfahrung kann es Aksener mit dem zwei Jahre älteren Erdogan durchaus aufnehmen.
Die Historikerin gab ihren Universitätsjob im Jahr 1994 auf, um für die rechtskonservative Partei des Rechten Weges der damaligen Ministerpräsidentin Tansu Ciller ins Parlament zu gehen. Zwei Jahre später war sie türkische Innenministerin, als bisher einzige Frau in dieser Position.
Die "Gute Partei" wurde 2017 gegründet
Ihre Amtszeit fiel in die dunkelsten Jahre des türkischen Krieges gegen die kurdische Terrororganisation PKK, als der Staat tausende angebliche PKK-Mitglieder und Unterstützer durch Sonderkommandos und Mafia- Killer ermorden ließ. Cillers Regierung wurde 1997 von den Militärs aus dem Amt gedrängt.
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Akseners neue politische Heimat wurde die rechtsgerichtete Partei der Nationalen Bewegung (MHP) von Devlet Bahceli, Erdogans heutigem Koalitionspartner. Doch vor fünf Jahren überwarf sie sich mit Bahceli, trat aus der MHP aus und gründete 2017 die IYI-Partei – das bedeutet die „Gute Partei“.
Unterstützung fand Aksener bei der linksnationalen CHP. Mit ihr gründete die IYI-Partei ein Bündnis, das von der Kurdenpartei HDP als inoffizieller dritter Partnerin unterstützt wird. Die Allianz brachte Erdogan vor zwei Jahren bei den Kommunalwahlen schwere Niederlagen bei: Die AKP verlor die Bürgermeisterämter in Istanbul und Ankara an die Opposition.
Die Einigkeit der bis dahin zerstrittenen Opposition schockte die Regierung. Heute könnten CHP, HDP und IYI-Partei laut einigen Umfragen zusammen auf eine Mehrheit im Parlament von Ankara kommen. Sollten sie sich auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten einigen, könnte es für Erdogan eng werden.
Ihre Rolle: Zünglein an der Waage
Die IYI-Partei liegt je nach Umfrage-Institut bei neun bis 13 Prozent und damit vor der MHP. Mit einem Wahlergebnis in dieser Größenordnung könnte Akseners Partei sowohl für die CHP als auch für Erdogans AKP zur unverzichtbaren Partnerin werden. Erdogan und sein Partner Bahceli bemühen sich deshalb, Aksener aus dem Oppositionsverband herauszulösen. Bahceli hat Aksener mehrfach aufgerufen, zur MHP zurückzukehren.
Eine Zusammenarbeit mit Erdogan kommt für Aksener aber nur in Betracht, wenn der Präsident einer Rückkehr zum parlamentarischen Regierungssystem zustimmt – was seiner eigenen Entmachtung gleichkommen würde. Anders als die CHP, die ihr Wählerpotenzial bei etwa 25 Prozent ausgeschöpft hat, kann die IYI-Partei auf unzufriedene rechtskonservative und nationalistische Wähler hoffen.
Kritik an Korruption und Vetternwirtschaft
Von denen gibt es immer mehr, weil die Wirtschaft unter Erdogan schlecht läuft und weil die Regierung aus Sicht vieler Wähler immer weiter in Korruption und Vetternwirtschaft versinkt. Fast 70 Prozent der MHP-Wähler klagen, ihre eigene wirtschaftliche Situation sei heute schlechter als vor einem Jahr, wie der Meinungsforscher Özer Sencar im Internet-Fernsehkanal Medyascope sagte.
Aksener hat sich zudem der Kampagne von Frauenrechtsverbänden zur Eindämmung der Gewalt gegen Frauen angeschlossen. Sie fordert mehr Schutz für Frauen durch den Staat und spricht damit konservative Frauen an, die bisher die AKP gewählt haben. Selbst die Frage, wie Aksener als hartgesottene Nationalistin ihre indirekte Zusammenarbeit mit der Kurdenpartei HDP rechtfertigen kann, hat sie bisher nicht ins Straucheln bringen können.
Diplomatisch geschickte Reaktion
Ihre Widersacher aus AKP und MHP warten auf eine Gelegenheit, sie als Helferin der HDP hinstellen zu können – so etwa vor einigen Monaten, als der inhaftierte Kurdenpolitiker Selahattin Demirtas ankündigte, er wolle Aksener nach seiner Freilassung besuchen.
Doch Akseners Antwort auf Demirtas nahm den Kritikern den Wind aus den Segeln. Es bei den Kurden üblich, selbst Gegner einer Blutfehde ins Haus zu bitten, wenn sie an die Tür klopften, sagte sie. So werde sie es auch halten.