Wer folgt auf Habeck, Baerbock & Co?: So setzt sich der nächste Vorstand der Grünen zusammen
Die Grünen stehen vor einem Umbruch an der Parteispitze. Auf die neuen Vorsitzenden kommen viele Probleme in kurzer Zeit zu.
Die Parteizentrale der Grünen in Berlin ist in diesen Tagen noch verwaister, als sie es in der Corona-Zeit ohnehin schon war. Die Vorsitzenden sind der Partei mit dem Eintritt in die Regierung abhandengekommen. Robert Habeck sitzt nun als Vizekanzler im Wirtschaftsministerium, Annalena Baerbock jettet als Außenministerin um die Welt.
Mit ihnen sind viele Mitarbeiter gegangen. Büroleiter, Pressesprecher, Strategen sind in die Ministerien gewechselt, die beiden Stellvertreter wurden in den Bundestag gewählt, Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ist Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium geworden. Und so steht nicht nur das frisch renovierte Haus leer, auch in der Partei ist ein Machtvakuum entstanden.
Unorganisiert wirkten die Grünen zuletzt, dabei muss die Partei nach 16 Jahren in der Opposition rasch ihre neue Rolle finden. Im Bündnis mit SPD und FDP müssen die Grünen Akzente setzen, gleichzeitig viele neue Mitglieder einbinden und das Wahlergebnis aufarbeiten. Die Aufgaben sind vielfältig, die Zeit drängt. Am Wochenende wird auf einem digitalen Parteitag nun die neue Spitze gewählt. Diese Kandidaten haben die besten Chancen:
Omid Nouripour – der Erfahrene
Für Omid Nouripour ist der Grünen-Vorsitz „der schönste Job neben Scout bei Eintracht Frankfurt und noch vor dem Papst“. Er muss es wissen, schließlich war er schon einmal Teil des Bundesvorstands. Zwischen 2002 und 2006 war der gebürtige Iraner Vize-Vorsitzender und erlebte damals die letzten Jahre von Rot-Grün. Eine Erfahrung, die den Frankfurter geprägt hat.
Die viel zitierten Koch- und Kellner-Verhältnisse sollen sich in der Ampel nicht wiederholen. Nouripour, mit 46 Jahren voraussichtlich das älteste Mitglied im neuen Vorstand, wird darauf achten, dass die Partei nach außen stark wahrgenommen wird. Vor allem innen- und außenpolitisch hat er sich einen Namen gemacht.
Dabei hilft Nouripour, der seinen Wahlkreis in Frankfurt direkt gewinnen konnte, dass er in der Öffentlichkeit gut ankommt. Als schlagfertig und cool wird er beschrieben. Doch inhaltlich eckte der Realo in der Vergangenheit immer wieder mit dem linken Flügel an, wenn es um Kriegseinsätze oder Waffenlieferungen ging. Doch der Fußballfanatiker weiß, dass es an der Doppelspitze auf Teamarbeit ankommen wird. Deshalb telefoniert er schon jetzt fünfmal am Tag mit seiner linken Co-Chefin in spe.
Ricarda Lang – Liebling der Linken
Einen raketenhaften Aufstieg hat Ricarda Lang in den vergangenen zehn Jahren bei den Grünen hingelegt. Mit 18 Jahren trat sie in die Partei ein, mit 23 Jahren wurde sie Chefin der Grünen Jugend, mit 25 Jahren Vizevorsitzende, mit 27 zog sie in den Bundestag ein. Mit 28 Jahren nun der nächste Schritt als Parteichefin – der jüngsten in der Grünen-Geschichte.
Langs Kandidatur war nicht unumstritten. Zu jung, zu links, ohne Berufsabschluss, kritisierten manche Parteigranden. Doch die Baden-Württembergerin, die seit Langem in Berlin lebt, hat sich in ihrem Lauf durch die Institutionen ein starkes linkes Netzwerk aufgebaut. Lang will die Grünen weiter nach links führen. Soziale Gerechtigkeit soll neben dem Klimaschutz zum zweiten Markenkern der Partei werden. Auch sonst setzt sie auf klassische linke Themen wie Identitätspolitik, Feminismus und Antirassismus. Im Netz wird sie für ihre Positionen und ihr Aussehen immer wieder heftig beleidigt, regelmäßig erstattet sie Anzeige. Innerparteilich schließen die Angriffe die Reihen.
[„Die Grünen sind noch nicht am Ziel angekommen“: Führt Ricarda Lang die Partei nach links? Lesen Sie mehr bei Tagesspiegel Plus]
Die Unterstützung beim Parteitag dürfte ihr sicher sein, auch wenn Langs Profil Kratzer bekommen hat durch den Corona-Bonus von 1500 Euro, den sich der Bundesvorstand selbst genehmigt hatte und der jetzt Gegenstand von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ist. Langs Umgang mit den Vorwürfen ist bislang sehr defensiv. Sagen will sie nichts, um die Nachricht nicht größer zu machen.
Emily Büning – die Strippenzieherin
So gut wie Emily Büning kennt wohl niemand die Bundesgeschäftsstelle. Seit neun Jahren ist die 36-jährige Hamburgerin organisatorische Geschäftsführerin der Grünen. In dieser Funktion kennt die Juristin die Partei bestens, war bereits regelmäßig in den Vorstandsrunden und stand im Kontakt mit den Landesverbänden. Nicht ihr einziges Netzwerk. Als frühere Sprecherin der Grünen Jugend hat Büning beste Kontakte in den linken Parteiflügel. Für ihre Kandidatur als Bundesgeschäftsführerin kein Nachteil.
Nach ihrem eigenen Wahlkampf wird Büning den vergangenen Wahlkampf der Grünen aufarbeiten müssen. „Wir müssen kampagnenfähiger werden“, kündigte sie bereits in einer Vorstellungsrunde an. Auf Büning kommt die Rolle der Parteimanagerin zu. Sie wird die Strukturen an das Mitgliederwachstum anpassen müssen. Die Bundesgeschäftsstelle braucht mehr Mitarbeiter, die Hürden für Mitgliederbeteiligung sollen erhöht werden. Gleichzeitig will Büning die Basis stärker einbinden. Interne Diskussionsräume sollen entstehen, das Regierungshandeln nach innen und außen als Erfolg kommuniziert werden. Viel Zeit für den Umbau bleibt Büning nicht, schon in diesem Jahr stehen vier Landtagswahlen an.
Heiko Knopf – die Stimme des Ostens
Eigentlich hatte Heiko Knopf ganz andere Ziele. Auf Listenplatz 2 kandidierte der 33-Jährige in Thüringen für den Bundestag, doch am Ende fehlten rund 6000 Stimmen. Knopf fand so immerhin Zeit, seine Promotion zur Quantenkommunikation abzuschließen. Nun will der Ingenieur als Stellvertreter in den Bundesvorstand, auch um die ostdeutschen Grünen-Strukturen zu stärken.
Noch immer haben die Grünen dort deutlich weniger Mitglieder und bleiben bei Wahlen meistens bei einstelligen Ergebnissen. Das liegt an der überalterten Gesellschaft, aber auch an den Wende-Erfahrungen vieler Menschen. Knopf hat sie hautnah miterlebt. Seine Mutter verlor nach dem Mauerfall ihren Job als Feinmechanikerin, musste sich später in einer Wäscherei und als Autoverkäuferin durchschlagen. Knopf hat das geprägt. Er will sich für mehr Wertschätzung für den ländlichen Raum und gleichwertige Lebensverhältnisse einsetzen.
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Als Fraktionsvorsitzender im Stadtrat von Jena hat er ausgiebig Erfahrungen mit den Niederungen der Kommunalpolitik gemacht. Knopf, dessen Kandidatur von den Ostverbänden der Grünen gestützt wird, will sich im Bundesvorstand zudem um die Klimapolitik kümmern. Dafür soll die Satzung geändert werden und ein „klimapolitischer Sprecher“ geschaffen werden.
Pegah Edalatian – die Internationale
Pegah Edalatian ist wohl die größte Unbekannte im Bewerberfeld. Bei den Grünen kennt die 42-Jährige, die seit 2011 Mitglied ist, dagegen fast jeder. Auf Parteitagen überraschte sie immer wieder mit leidenschaftlichen Redebeiträgen. Edalatian arbeitet als Grundsatz-Referentin für die Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen und sitzt seit 2019 im Parteirat. Zudem engagiert sie sich seit zehn Jahren in der Bundesarbeitsgemeinschaft Globale Entwicklung.
Ein Themenfeld, das sie auch als stellvertretende Vorsitzende bearbeiten will. Die Sozialwissenschaftlerin mit iranischen Wurzeln will den internationalen Austausch mit den Grünen stärken und dafür nach der Wahl nach Brüssel und Paris. Zudem soll die Parteilinke den Europawahlkampf vorbereiten.
Marc Urbatsch – der Mann mit dem Geld
Mit Umbauarbeiten kennt sich Marc Urbatsch jetzt aus. Die Renovierungsarbeiten in der Bundesgeschäftsstelle liefen vor allem über den Schreibtisch des Schatzmeisters – mit allen Tücken. Mal fand man Schimmel im Presseraum, dann stiegen die Kosten, nun muss das Haus noch an die Geothermie angeschlossen werden. Das Gebäude soll klimaneutral werden, ein schwieriges Unterfangen bei einem Altbau.
Auch den personellen Umbau der Grünen will Urbatsch vorantreiben, aber eher aus dem Hintergrund. Als Schatzmeister muss der 45-Jährige dafür sorgen, dass die gestiegenen Einnahmen sinnvoll investiert werden. Schon jetzt müssen Rücklagen für den Europawahlkampf 2024 gebildet werden.
Urbatsch, der dem Realo-Flügel angehört und zwischen 2007 bis 2016 Landesschatzmeister in Berlin war, gilt als gesetzt. Dass er es war, der für den Vorstand den Corona-Bonus verhandelte, könnte ihn einige Stimmen kosten. Doch in seiner nächsten Amtszeit kann er an neuen Strukturen für solche Compliance-Fragen arbeiten, eine Finanzkommission ist im Gespräch.