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Tierversuche sind in einer Vielzahl von Bereichen unverzichtbar, argumentieren die Befürworter.
© Mike Wolff,Tsp

Forschung und Tierschutz: Sind Tierversuche überhaupt notwendig?

Die Abgastests der Autoindustrie mit Affen haben ein umstrittenes Thema wieder in den Fokus gerückt. Ein Blick auf die gängige Praxis und Alternativen zu Tierversuchen.

Das Für und Wider von Tierversuchen wird schon seit langem kontrovers diskutiert. Vor allem werden Tierversuche zur Erforschung von physiologischen Prozessen, zur Entwicklung von Arzneimitteln und Therapieverfahren sowie zur Überprüfung der Produktsicherheit durchgeführt. Tierschutzorganisationen fordern ihre Abschaffung. Ein Blick auf die gängige Praxis und mögliche Alternativen.

Wie viele Tierversuche werden pro Jahr in Deutschland durchgeführt?

Nach Angaben des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL), in dessen Aufgabengebiet auch der Tierschutz in Deutschland fällt, fanden 2016 2,85 Millionen Tierversuche in Deutschland statt. Gegenüber 2015 stieg die Zahl damit leicht gegenüber dem Vorjahr (2,79 Millionen). Etwa 1,1 Millionen (41 Prozent) davon fanden in Grundlagenforschungsinstituten statt. Dabei sind Mäuse, Ratten und Fische mit 92 Prozent die mit Abstand am häufigsten eingesetzten Versuchstiere. An Primaten wurden 2016 dem BMEL zufolge insgesamt 2462 Versuche durchgeführt – ein Viertel weniger als im Vorjahr (3141). Grund für die steigende Zahl der Tierversuche sind vor allem gentechnische Methoden, mit denen Veränderungen im Erbgut von Mäusen herbeigeführt werden, um so die Funktion von Genen und Krankheitsursachen besser zu verstehen. Allerdings müssten die Zahlen im „Kontext des Aufschwungs der biomedizinischen Forschung“ gesehen werden, sagt Stefan Treue von der Universität Göttingen, der sich für die Initiative „Tierversuche verstehen“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft engagiert. „Obwohl wir immer mehr biomedizinische Forschung machen, sind die Tierversuchszahlen kaum gestiegen, denn wir machen heute mehr Forschung mit weniger Tieren.“

Welche rechtlichen Grundlagen gibt es für Tierversuche?

Die EU hat im Jahr 2010 eine Richtlinie für Tierversuche erlassen. Demnach gilt das Prinzip der „Drei R“: Reduction, Refinement, Replacement – die Zahl der Tierversuche soll verringert, verbessert und durch andere Möglichkeiten ersetzt werden. „Ein stärkeres Bewusstsein im Forschungsdesign mit Blick auf die drei R wäre erstrebenswert“, sagt Steffen Augsberg, Jura-Professor an der Universität Gießen und Experte für Ethik-Kommissionen. Grundsätzlich sei das Interesse groß, Tierversuche durch andere Methoden zu ersetzen, allein schon aus finanziellen Gründen, sagt Treue. „Tierversuche sind immer die teuerste Lösung. Vor allem die Industrie, aber auch die Grundlagenforschung, haben daher ein großes Interesse, Alternativen zu entwickeln.“ Zwar werde viel Geld in die Entwicklung von Ersatzmethoden gesteckt, aber nicht immer lässt sich ein kompletter Organismus durch eine Zellkultur ersetzen. „Außerdem müssen die Tests überprüft und zugelassen werden“, sagt Treue. Das Zulassungssystem in der EU müsse beschleunigt werden.

Gelten in den USA andere Standards als in Europa?

Behördliche Tierschutz-Kommissionen wie nach dem deutschen Recht gibt es in den USA nicht. Möglicherweise hat VW deshalb dort eine Studie in Auftrag gegeben, bei denen Affen Abgasen ausgesetzt wurden. Zudem gilt hierzulande: Ein Tierversuch muss unerlässlich sein. Experten sind deshalb mehr als skeptisch, dass der Abgasversuch an Makaken hierzulande statthaft wäre. VW probiert es mit den Tricks der Tabaklobby. Die versuchte die Gefahren des Rauchens über Jahre zu verharmlosen. Und verlor. Ein warnendes Beispiel für VW.

Wie läuft die Genehmigung von Tierversuchen in Deutschland?

Das regelt das Tierschutzgesetz. Demnach müssen Tierversuche von einer Tierschutz-Kommission gebilligt werden. Nach Paragraph 15 Tierschutzgesetz gehören ihr vier Naturwissenschaftler, ein Statistiker und ein Jurist/Ethiker an, hinzu kommen drei Vertreter, die von Tierschutzorganisationen ernannt werden.

Welche Vorschriften gelten für die Versuche an Tier und Mensch vor der Zulassung eines neuen Medikaments?

Neue medizinische Wirkstoffe werden vorab an Zellkulturen und Tieren getestet. Dann wird überTierversuche entschieden. Erst danach beginnen in drei Phasen die klinischen Studien an Menschen. Probanden müssen vorher ihre Zustimmung geben. In Phase I wird das neue Medikament an 60 bis 80 Menschen unter ärztlicher Aufsicht auf mögliche Risiken und Nebenwirkungen getestet. In Phase II an bis zu 500 Probanden, in Phase III schließlich im Massentest. Erst danach erfolgt eine volle Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA. Bei schädlichen Nebenwirkungen wird diese verweigert. Das EU-Parlament hat 2014 eine Verschärfung der Regelung durchgesetzt. Seither gilt: Für klinische Studien im Ausland, etwa Indien, gelten die selben Regelungen wie in der EU. „Zudem müssen auch negative Ergebnisse, die einem möglichen Forschungsziel zuwiderlaufen, veröffentlicht werden“, sagt der Arzt und CDU-Europaabgeordnete Peter Liese.

Welche Alternativen gibt es?

Kritiker von Tierversuchen verweisen auf die beschränkte Übertragung von Forschungsergebnissen auf den Menschen, etwa wenn Krebsstudien an genetisch weit vom Menschen entfernten Tierarten durchgeführt werden. „Grundsätzlich ist ein Tierversuch zu vermeiden. Ist das nicht möglich, gilt das Prinzip der niedrigst stehenden Spezies“, sagt Monika Schäfer-Korting. Die Pharmakologie-Professorin forscht an der FU Berlin zu Alternativen zu Tierversuchen. „Wenn die Testung an Ratten aussagefähige Ergebnisse liefert, erfolgt kein Versuch an Affen“, erläutert Schäfer-Korting das Prinzip. Zudem wurden viele Verfahren angepasst, schonender gestaltet, etwa bei Zulassungstest für Chemikalien. „Früher mussten alle Chemikalien auf mögliche augenreizende Wirkung am Kaninchen getestet werden, selbst wenn eine Schädigung zu erwarten ist“, so Schäfer-Korting. Diese Tests finden heute nicht mehr statt. Vielfach wird die Prüfung auf Augenreizung heute mit Ersatzverfahren vorgenommen, zum Beispiel an der Hornhaut von Rinderaugen aus Schlachtabfällen oder an einem aus Zellen der Hornhaut im Labor erzeugten Gewebe. Chemikalien und neue Medikamente werden zudem in erheblichem Umfang an Zelllinien getestet.

Was geschieht in Berlin?

In Berlin wird derzeit ein neues Forschungsinstitut vorangetrieben. Das Institut soll Alternativen zu Tierversuchen entwickeln und an der landeseigenen Charité aufgebaut werden. Im Dezember hatte sich der Fakultätstrat der Universitätsklinik auf erste Details geeinigt. Noch in diesem Jahr soll das Institut starten. Steffen Krach (SPD), Berlins Forschungsstaatssekretär sagte am Dienstag: „Der aktuelle Skandal macht klar: Wir brauchen maximale Transparenz und klare Grenzen. Das allein reicht aber nicht. Deshalb macht Berlin Tempo bei der Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen und schafft dafür ein neues Forschungszentrum.“ Berlin ist ein europaweit anerkannter Standort biomedizinischer Forschung. Rund zehn Prozent aller deutschen Tierversuche fänden in Berlin statt, jedes Jahr stellen Berliner Forscher fast 400 Anträge auf neue Versuche an Tieren – vieles lasse sich, heißt es aus der Zunft, noch nicht anders testen.

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