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Der Generalbevollmächtigte Thomas Steg wurde beurlaubt.
© John Thys/AFP
Update

Diesel-Skandal: Kritik an Tierversuchen: VW beurlaubt Generalbevollmächtigten Steg

Der Cheflobbyist wolle die volle Verantwortung übernehmen, erklärt VW. Tests an Affen und Menschen emotionalisieren die Debatte über die Autohersteller. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Den deutschen Autobauern droht zweieinhalb Jahre nach dem VW-Dieselskandal und wenige Monate nach Kartellvorwürfen ein weiterer schwerer Imageschaden. Über einen eigens gegründeten Verein zur Forschungförderung haben die Hersteller Laborversuche an Affen und Menschen finanziert, deren Ergebnisse im Interesse der Industrie sind. Treibende Kraft hinter den umstrittenen Tests war der Volkswagen-Konzern.

Am Dienstag zog Volkswagen die erste personelle Konsequenz. Der Generalbevollmächtigte Thomas Steg wurde beurlaubt, wie das Unternehmen in Wolfsburg mitteilte. Der Vorstand habe das entsprechende Angebot des Leiters der Konzern-Außenbeziehungen und Nachhaltigkeit angenommen.

Steg werde bis zur vollständigen Aufklärung der Vorgänge von seinen Aufgaben entbunden. „Wir sind dabei, die Arbeit der 2017 aufgelösten EUGT genau zu untersuchen und alle nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen“, sagte Konzernchef Matthias Müller der Mitteilung zufolge. „Herr Steg hat erklärt, die volle Verantwortung zu übernehmen. Dies respektiere ich.“

Umweltministerin Barbara Hendricks kritisiert die Abgastests an Affen und Menschen scharf. Die unter Beteiligung von VW durchgeführten Versuche seien verantwortungslos, sagte Hendricks am Dienstag in Brüssel. "Es ist immer wieder verwunderlich, dass es in der Autoindustrie einzelne oder mehrere Firmen gibt, die sich der Verantwortung ihres Handelns nicht bewusst sind."

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Waren auch andere Hersteller beteiligt?

BMW und Daimler, die auch zu den Gesellschaftern (jeweils 25 Prozent) und Geldgebern der 2007 gegründeten Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) in Berlin gehörten, weisen jede Mitverantwortung zurück. Auch Bosch, bis 2013 Mitgesellschafter, will keine Verantwortung für die Studien tragen, die erst nach dem Ausstieg des Konzerns erstellt worden seien. Daimler hatte erklärt, man halte „die Tierversuche in der Studie für überflüssig und sinnlos“. Ein Fahrzeug von Daimler sei nicht zum Einsatz gekommen. Auch BMW hat nach eigener Auskunft an den Studien nicht mitgewirkt.

Warum kommen die Labor-Versuche erst jetzt ans Licht?

Die „New York Times“, die zuerst über die Tierversuche berichtet hatte, verweist auf US-Gerichtsakten aus dem Verfahren gegen den früheren VW-Manager James Liang. Der langjährige Mitarbeiter des Unternehmens war im August 2017 wegen seiner Rolle in der Abgasaffäre zu drei Jahren und vier Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 200000 Dollar verurteilt wurde. Liang kooperierte als Kronzeuge mit den Strafverfolgern. Er soll laut „NYT“ persönlich den VW Beetle zum Labor gefahren haben, dessen Abgasen dort zehn Affen ausgesetzt wurden.

Welches Ziel hatten diese Versuche?

Hintergrund war das grundsätzliche Anliegen der Autobauer, Diesel mit wissenschaftlicher Rückendeckung in der Öffentlichkeit und gegenüber Umweltbehörden und -verbänden als sauber darstellen zu können. Zu diesem Zweck wurde 2007 die EUGT in Berlin gegründet, die 2017 wieder aufgelöst wurde. Die EUGT war nicht selbst forschend tätig, sondern vergab Aufträge an Wissenschaftler und Labors.

Im jetzt bekannt gewordenen Fall 2013 an das Forschungsinstitut Lovelace Respiratory Research Institute (LRRI) in Albuquerque, New Mexico, das die Tests mit Affen dann 2015 durchführte. Oder an ein Institut des Uniklinikums Aachen, das 2012 bei einem Experiment 25 Probanden für etwa drei Stunden einem der besonders giftigen Bestandteile von Diesel-Abgasen, dem chlorähnlich riechenden Gas Stickstoffdioxid ausgesetzt hatte, wie die „Stuttgarter Zeitung“ berichtete.

Dessen Ergebnisse wurden 2016 veröffentlicht, die Tests an Affen bislang nicht. Die Aachener Studie kam zu dem Ergebnis, dass geringe, untergrenzwertige Mengen Stickstoffdioxid bei Menschen keine Gesundheitsschäden verursachen – ein Ergebnis, das den Interessen der Finanziers des EUGT zumindest nicht zuwider läuft.

Interessant sind die handelnden Personen: So war der Vorstandsvorsitzende des EUGT, Gunter Zimmermeyer, nach Angaben von Lobbycontrol jahrelang Geschäftsführer des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA). Der EUGT- Geschäftsführer Michael Spalleck war Leiter des Gesundheitsschutzes bei Volkswagen. Und Helmut Greim, Beiratsvorsitzender der EUGT, werfen Lobbycontrol und Umweltverbände schon lange „industrienahe Positionen“ vor – unter anderem auch beim Thema Glyphosat.

Greim war Sachverständiger im Untersuchungsausschuss der Bundesregierung zum Dieselskandal. „Der Fall zeigt, mit welch manipulativen Methoden die deutschen Autokonzerne dem Diesel ein umweltfreundliches Sauber-Image verpassen wollten“, kommentierte Lobbycontrol am Montag.

Auch die Berliner Charité, die Interviewfragen des Tagesspiegels am Montag abwies, war involviert. So gehörte der ehemalige Leiter des Instituts für Arbeitsmedizin der Charité, David Groneberg (seit 2010 an der Universität Frankfurt), dem Forschungsbeirat des EUGT an.

Haben solche Versuche einen wissenschaftlichen Sinn?

Der Frage nachzugehen, welche Schäden Bestandteile von Abgasen in der Atemluft verursachen, ist im Grunde ein sinnvolles Forschungsziel. Ohne derartige Versuche gäbe es keine Informationen über gesundheitliche Folgen, Wirkmechanismen und für die Festlegung von Grenzwerten. Es gibt diverse Studien, in denen entweder Versuchstieren oder freiwilligen Probanden kurzzeitig Luftschadstoffe verabreicht wurden, um daraus über deren Wirkung auf den Organismus zu lernen.

Solche Versuche müssen aber von Ethikkommissionen begutachtet und genehmigt werden – und sie sind nicht genehmigungsfähig, wenn mit dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei den Probanden zu rechnen ist. Das war auch bei den 25 Testpersonen nicht der Fall. Sie atmeten weniger Stickstoffdioxide ein, als die Grenzwerte erlauben und etwa Lkw-Fahrer oder Werkstattarbeiter Tag für Tag einatmen.

Wie werden diese Forschungen genehmigt?

Die Geldgeber einer Studie spielen dabei in der Regel keine Rolle. Es ist gang und gäbe, dass Versuchsreihen von Firmen finanziert werden – nicht nur in der Umweltforschung, auch in der Medikamentenentwicklung. Ob Versuche an Affen oder Menschen nötig und gerechtfertigt sind, entscheiden Ethikkommissionen von Fall zu Fall. Hier hätte man angesichts des bestehenden Wissens über die Wirkung von Stickoxiden womöglich zu einem anderen Ergebnis kommen können.

Am Montag betonte die Uniklinik Aachen in einer Pressemitteilung allerdings, dass die Tests an den 25 Probanden erfolgten, weil die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen jährlicher Prüfungen 2010 festgestellt habe, dass die Erkenntnisse zu Wirkungen von Stickstoffdioxid beim Menschen bei Belastungen am Arbeitsplatz gering seien. Es gebe in "einigen Aspekten" zu wenig Daten, bis zu welcher Konzentration Stickstoffdioxid am Arbeitsplatz gesundheitlich noch tolerabel ist. Die Studie, so das Uniklinikum Aachen, habe also der „Optimierung der Arbeitssicherheit“ von Lkw-Fahrern oder Mitarbeitern in Kfz-Werkstätten gedient.

Welche Folgen hat der neue Skandal für die deutschen Autohersteller?

„Das ist eine Katastrophe“, hieß es bei einem deutschen Autokonzern am Montag. „Man greift sich nur noch an den Kopf.“ Vor allem in den USA werde das Thema nicht als isolierter Skandal des VW-Konzerns betrachtet, sondern als Thema der deutschen Autoindustrie insgesamt. „Das färbt irgendwann auf die gesamte Branche ab.“ Die Dieselkrise bekomme mit den Tierversuchen nun eine „emotionale Dimension“, die jeder Mensch – anders als viele technische Fragen – sofort nachvollziehen könne.

Gerade in den USA könne dies eine neue Eigendynamik zu Lasten deutscher Firmen entfalten – zu einem Zeitpunkt, da der Dieselskandal in der amerikanischen Öffentlichkeit eigentlich kein großes Thema mehr ist. - „Jetzt ist es wieder da“, fürchtet die Branche.

Daimler und BMW haben auf dem US-Markt nach wie vor ein gutes Image als Oberklasse-Hersteller, 2017 taten sie sich aber beim Absatz schwerer. Anders Volkswagen: Im vergangenen Jahr erholte sich der Konzern auf dem US-Markt, wo der Dieselbetrug 2015 aufgedeckt worden war.

Der Autozulieferer Bosch verkündete am Montagabend, er sehe wegen des Diesel-Skandals insgesamt Arbeitsplätze in Gefahr. "Wir werden in unseren Werken ein Beschäftigungsthema haben, das wir mit unseren Sozialpartnern lösen werden", sagte der Chef der Autozulieferersparte "Mobility Solutions", Rolf Bulander, bei einem Pressegespräch in Ludwigsburg. "Das könnte dieses Jahr schon ein Thema werden." Weltweit arbeiten rund 50.000 der mehr als 400.000 Arbeitnehmer des Stiftungskonzerns in Betrieben, die Diesel-Technik entwickeln und produzieren. Bisher konnte die starke Nachfrage nach Dieselmotoren bei Nutzfahrzeugen, vor allem in China, die Rückgänge im europäischen Pkw-Geschäft mehr als ausgleichen.

Einspritzsysteme für Diesel- wie Benzinmotoren und Fahrerassistenzprodukte kurbelten im vergangenen Jahr den Umsatz bei Bosch an. Die Kfz-Sparte wuchs nach vorläufigen Zahlen um 7,8 Prozent auf 47,4 Milliarden Euro. Der Gesamtumsatz des Konzerns legte um 6,7 Prozent auf 78 Milliarden Euro zu. Die operative Rendite kletterte um einen Prozentpunkt auf 6,8 Prozent. (mit Reuters)

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