Antrittsbesuch in Frankreich: Sigmar Gabriel wird plötzlich diplomatisch
Nicht einmal 24 Stunden nach seiner Vereidigung besucht Sigmar Gabriel seinen Amtskollegen in Paris - und bemüht sich um den Tonfall eines Außenministers.
Als das Flugzeug gerade Monschau an der deutsch-luxemburgischen Grenze überfliegt, bittet der neue Außenminister zum Hintergrundgespräch. Die Journalisten drängen sich in dem kleinen Arbeitsraum auf beigefarbenen Bänken um Sigmar Gabriel, der ohne Jackett in einem Sessel sitzt und entspannt die Füße mit den schwarzen Businessschuhen ausstreckt. Es geht um seine nächsten Reisen, Personalentscheidungen, seine Erfahrungen auf dem internationalen Parkett. Und auch darum, wie man die Populisten in Frankreich stoppen kann.
Was Gabriel sagt, kann hier nicht ausgebreitet werden – es ist Vertraulichkeit vereinbart. Aber eines fällt doch auf: Als SPD-Chef, der er offiziell ja noch immer ist, war Gabriel bei solchen Treffen oft auf Krawall gebürstet. Er machte Vorwürfe, suchte den Kampf. Jetzt wirkt er sachlich, die Antworten sind auch viel kürzer als die seines Vorgängers Frank-Walter Steinmeier, der zuletzt die ganze Last der Welt in jedes Argument zu legen schien. Formt das neue Amt schon den Menschen, oder bemüht sich da nur einer um Seriosität?
Eine Stunde später steht Gabriel im „Salon d’Horloge“ im Außenministerium in Paris – ein würdevoller Ort für die erste Pressekonferenz des neuen deutschen Außenministers im Ausland. Inmitten spätbarocker Pracht steht Gabriel neben seinem französischen Amtskollegen Jean-Marc Ayrault. An Wänden und Decken wölbt sich der Stuck, Putten schwingen Girlanden.
Ein „Symbol“ nennt der französische Gastgeber die Tatsache, dass der SPD-Politiker nicht einmal 24 Stunden nach seiner Vereidigung ihn im „Quai d’Orsay“ besucht. Zwar ist fast jeder deutsche Chefdiplomat als Erstes nach Paris gereist. Doch wegen der Präsidentschaftswahlen im Mai steht nicht nur die enge deutsch-französische Zusammenarbeit auf dem Spiel. Gewinnen im Nachbarland die Populisten, so hat Gabriel am Tag zuvor in seiner ersten Rede im Auswärtigen Amt gewarnt, steht der Zusammenhalt Europas auf dem Spiel.
Selten war die Überraschung über die Ausrufung eines Außenministers größer als am vergangenen Dienstag. Am Nachmittag hatte Gabriel seinen Verzicht auf den SPD-Vorsitz und seinen Anspruch auf den Posten des Chefdiplomaten bekannt gegeben. Nun steht er hinter seinem Plexiglas-Pult, erzählt persönliche Frankreich-Anekdoten aus seiner Jugend und wirft mit diplomatischen Floskeln um sich, als hätte er nie etwas anderes getan. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir zum UN-Format zurückkehren müssen“, sagt er über die russisch-syrisch-türkischen Verhandlungen im kasachischen Astana.
Er kennt das internationale Geschäft
Die Szene macht klar: Dem neuen Hausherrn am Werderschen Markt ist das internationale Geschäft nicht fremd – und er kennt die wichtigen Akteure. Nicht erst als Wirtschaftsminister und Vizekanzler hat Gabriel die europäischen und internationale Prominenz kennengelernt. Als SPD-Chef baute er das internationale sozialdemokratische Netzwerk „Progressive Alliance“ auf. Und mit Ayrault hatte er schon vor vielen Jahren zusammengearbeitet, als der noch Fraktionschef der Sozialisten war. Der Gastgeber spart nicht mit Lob für Gabriel. „Ich schätze diesen Menschen. Ich kenne die Kraft seiner Überzeugungen und seines Engagements.“
Damit hatte Gabriel am Dienstag im Willy-Brandt-Haus auch begründet, warum er Steinmeiers Nachfolger werden wollte. Er verfüge in der SPD über „die meiste internationale Erfahrung“. Die außenpolitischen Äußerungen des SPD-Chefs sind für manche Diplomaten und Außenpolitik-Experten allerdings Anlass, an Gabriels Eignung zu zweifeln.
Von seinem Vorgänger Steinmeier verlangte Gabriel immer wieder, er solle dafür sorgen, dass seine Popularität auch der SPD zugute komme und seine Außenpolitik als „sozialdemokratisch“ erkennbar werde. Steinmeiers Warnung vor dem „Säbelrasseln“ im Konflikt zwischen Nato und Russland war ein Signal an die Polen, die eine stärkere militärisch Reaktion gegen Russland forderten. Die Warnung war aber auch ein rhetorisches Zugeständnis an die SPD – und sollte sie zugleich an die Nato-Beschlüsse binden.
Gabriel löst auch Befürchtungen aus
Auch Gabriel nutzte außenpolitische Krisen, um die SPD als Friedenspartei zu positionieren – die Sehnsucht nach solchen Botschaften ist groß bei den Genossen, die sich als Hüter der Ostpolitik Willy Brandts verstehen. So warb er dafür, die Sanktionen gegen Russland nicht erst nach vollständiger Erfüllung des Minsker Vertrages aufzuheben, sondern schrittweise. Im „Salon d’Horloge“ neben Ayrault wiederholt er diese Forderung nicht. Stattdessen bezieht er sich auf die europäischen Sanktionsbeschlüsse und sagt einen typischen Außenminister-Satz: „Wir halten es für dringend nötig, dass im Minsker Friedensprozess Fortschritte auf beiden Seiten gemacht werden.“
Der Instinktpolitiker Gabriel hat allerdings bei manchen auch Befürchtungen ausgelöst, er könne diplomatischen Schaden anrichten. Jürgen Chrobog, der frühere Staatssekretär im Auswärtigen Amt, kennt Gabriels neues Ressort bestens, kann als ehemaliger Diplomat offen sprechen. Chrobog skizzierte im „Inforadio“ am Freitag nicht nur die schwierigen Herausforderungen der Krisenzeit, sondern sprach auch über den impulsiven Stil des neuen Ministers. Der müsse aufpassen, „sonst bekommt er Ärger mit Leuten und Ländern“, warnte er. Gabriel kennt solche Warnungen. Seinen Diplomaten hat er bei seiner Antrittsrede gesagt: „Ich bin nur halb so schlimm, wie es in den Zeitungen steht.“