Twitter & Co im Wahlkampf: "Sie spielen eine Rolle, aber keine dominante"
Gefahr oder Chance? Politikwissenschaftler Thorsten Faas erklärt im Interview, wie sich soziale Medien auf die Bundestagswahl auswirken.
Bis zur Bundestagswahl sind es noch etwa 100 Tage. Jede größere Partei in Deutschland nutzt mittlerweile die sozialen Medien – auch im Wahlkampf. Welche Rolle spielen Twitter & Co für Parteien im Wahlkampf?
Zunächst einmal muss man hier feststellen, dass es weder „die Medien“ noch „die sozialen Medien“ gibt. Jede Plattform hat ja ihre eigenen Gesetze, Logiken und Nutzer*innenstruktur. Am Beispiel Twitter kann man das sehr schön verdeutlichen: Laut ARD/ZDF Onlinestudie nutzen gerade einmal 8% der Menschen in Deutschland diesen Dienst mindestens einmal wöchentlich. Noch dazu sind dies Menschen, die sich sehr stark für Politik interessieren und damit auch andere Medien sehr stark nutzen. Es ist eher ein „Elitenphänomen“, könnte man sagen. Dagegen erfreuen sich Instagram und Facebook deutlich größerer Beliebtheit und Reichweite. Und die Debatte um Telegram im Kontext der Pandemie hat gezeigt, dass Plattformen mitunter auch bestimmte Richtungen zu einem bestimmten Thema bei sich versammeln. Im Mindesten kann man sagen: Selbstläufer sind soziale Netzwerkplattformen für Wahlkämpfer*innen nicht.
Erreichen Parteien durch soziale Medien ein größeres Publikum?
Ja und nein. Fangen wir mal mit dem „Nein“ an: Diese Plattformen sind zunächst überhaupt nicht politisch. Menschen nutzen sie vielmehr, um sich über alles Mögliche zu informieren und auszutauschen, aber da spielt Politik für die allermeisten erst einmal eine absolute Nebenrolle. Neben dieser „organischen“ Reichweite von Politik bieten die Plattformen aber auch sehr präzise Möglichkeiten, Werbung zu kaufen. Und darüber können Parteien dann die Informationen an diejenigen ausspielen, die sie exakt erreichen möchten.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Werden klassische Wahlkampfmethoden wie der Wahlkampf auf der Straße von den sozialen Medien zunehmend verdrängt - insbesondere in Pandemie-Zeiten?
Die Pandemie führt sicherlich dazu, dass manche Wahlkampfform gerade keine Hochkonjunktur hat. Massen auf den Marktplätzen – daran müssen wir uns alle gerade erst wieder gewöhnen. Auch der Besuch von fremden Menschen an der Haustür passte lange nicht in die Zeit. Aber das ändert sich gerade. Und dann gilt wieder, was vorher galt: Es kommen zwar ständig neue Kanäle für Wahlkämpfer*innen dazu, aber es verschwinden kaum welche. Das ist für Parteien mit sehr knappen Budgets eine riesige Herausforderung, überall professionell präsent zu sein - und das mit vergleichsweise geringem Budget.
Gibt es Ihren Erkenntnissen zufolge Parteien, die besonders von den sozialen Medien profitieren?
Dass manche Parteien sich mit der Adaption neuer Medien leichter tun als andere, ist nichts Neues. Und doch gibt es Unterschiede. Gerade die AfD versteht es sehr gut, soziale Netzwerkplattformen auch nach innen zu nutzen, um ihre Anhänger*innen zu erreichen. Sie denken sehr häufig von Beginn an an kurze Videoclips, die man darüber ausspielen kann. Und damit gewinnen sie in ihren Kreisen eine sehr hohe organische Reichweite. Gleichwohl hat zuletzt auch die Pandemie dazu beigetragen, dass alle Parteien breit und professionell vertreten sind. Keine Partei wird die Wahl im September gewinnen oder verlieren, weil sie Soziale Netzwerkplattform besser oder schlechter nutzt als andere. Das würde die Netzwerke überschätzen.
2018 untersuchten Sie zusammen mit einem Kollegen die für sozialwissenschaftliche Zwecke sinnvolle Nutzung von Twitterdaten. Dabei erläutern Sie, dass das Meinungsbild von Twitter-Usern nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist. Gleichzeitig findet es zunehmend Aufmerksamkeit in den klassischen Medien. Wie stark prägen Debatten in den sozialen Netzwerken den öffentlichen Diskurs in Deutschland?
8% könnten repräsentativ sein, wenn diese zufällig ausgewählt wären. Sie sind es aber letztlich nicht. Auf Twitter tummeln sich besonders viele Menschen, die stark an Politik interessiert sind. Das sind natürlich auch potenzielle Multiplikator*innen, die Inhalte über Twitter wahrnehmen, aber von dort in andere Netzwerke und klassische Medien tragen. Die Netzwerke stehen da nicht isoliert, sondern sind letztlich Teil komplexer Informationsnetzwerke.
Das Analyse-Unternehmen Cambridge Analytica nutzen im US-Wahlkampf 2016 die Facebook-Daten von Millionen Nutzer, um die Meinung der Wähler zu beeinflussen. Außerdem verbreiten sich im Netz zunehmend Fake-News und durch sogenannte Filterblasen werden Nutzer:innen vor allem die Inhalte angezeigt, die für sie interessant sind. Sind die Meinungen von Wähler:innen Ihrer Ansicht nach in sozialen Netzwerken besonders manipulierbar?
Das ist mit zu einfach, aber klar ist natürlich: Ich kann über soziale Netzwerkplattformen ganz gezielt Informationen an Gruppen ausspielen. Das nennt man Targeting – diese Gruppen und ihre Mitglieder werden ganz gezielt ins Visier genommen. Wenn Sie das damit verbinden, dass für viele Menschen Politik keine oder nur eine Nebenrolle spielt, dann treffen diese gezielt gestreuten Informationen mitunter auf Empfänger*innen, die das nicht immer in einen breiteren Kontext einordnen können. Das macht sie durchaus anfällig an der Stelle. Und das zeigt nochmal, wie wichtig Vielfalt und Breitenwirkung von Informationen sind.
Wie sehr beeinflussen Ihrer Meinung nach soziale Medien die Entscheidung der Wähler:innen in Deutschland?
Wahlentscheidungen liegen sehr individuelle und mitunter auch sehr komplexe Entscheidungsprozesse zugrunde. In Sachsen-Anhalt wurde ein hohes Maß an strategischem Wählen diagnostiziert, dabei haben viele Menschen auf Umfragen zurückgegriffen. Andere lassen sich vielleicht von Gesprächen mit Freunden oder der Familie beeindrucken. Wir werden diverse „Trielle“ in diesem Wahlkampf erleben, die häufig von sehr vielen Menschen gesehen werden, gerade auch solchen, die sonst wenig in den Wahlkampf involviert sind. Und in diesen Reigen reihen sich die sozialen Netzwerkplattformen ein. Insofern spielen sie eine Rolle, aber keine dominante.
Sehen Sie in den sozialen Medien Chance oder Gefahr für die Demokratie?
Technologie alleine schafft Möglichkeiten, die man nutzen kann – für gute wie für schlechte Zwecke. Die Netzwerke sind sehr schnell, die Informationen verbreiten sich rasend. Das macht politische Kommunikation manchmal sehr zeitpunkt- und affektgetrieben. Aber zugleich finden sich auf Twitter sehr viele, sehr detaillierte Informationen. Technikdeterminismus – also die Idee, dass mit der Technik alleine schon bestimmte Richtungen vorbestimmt sind – wäre auch hier sicherlich zu einfach.
Nicolas Lepartz