Jahresbericht des Wehrbeauftragten: Sexuelle Belästigung bei der Bundeswehr nimmt deutlich zu
"Meldepflichtige Ereignisse" im Bereich Sexismus steigen um 23 Prozent. Auch sonst zeichnet der Wehrbeauftragte Bartels ein katastrophales Bild der Bundeswehr.
Es ist fast zu einer Gesetzmäßigkeit geworden: Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (SPD) zeichnet erneut ein katastrophales Bild der Bundeswehr. Bei der Vorstellung des Berichts in Berlin kritisierte er die materielle Lage als „mangelhaft“. Hinzu komme die wachsende Personalnot: Es gebe es immer weniger Bewerber, die Armee wird älter. Die Stimmung unter den Soldaten sei angespannt, viele klagen demnach über zu viel Bürokratie und Chaos bei den Zuständigkeiten. "Ich würde gerne berichten: Es ist Frühling, alles wird neu. Aber die Wahrheit lautet: Es ist immer noch Winter“, sagte Bartels. Der Wehrbeauftragte gilt als „Anwalt“ der Soldaten. Diese können sich direkt und ohne Einhaltung des Dienstweges an ihn wenden.
Verschiedene Formen von sexueller Belästigung
Alarmierend ist die wachsende Zahl der "meldepflichtigen Ereignisse" im Zusammenhang mit sexueller Belästigung. Die Fälle sind um 23 Prozent auf 288 gestiegen. Häufig handele es sich dabei um unsittliche Berührungen zum Beispiel des Gesäßes oder der Brüste von Soldatinnen. Sexuelle Belästigung könne auch vorliegen, wenn jemand Bilder und Videos mit sexuellem Inhalt in WhatsApp-Gruppe teile. In einem Fall legte sich ein Gefreiter zu einer schlafenden und betrunkenen Soldatin ins Bett und rieb sein Glied an ihrer Vagina. Er wurde fristlos entlassen.
Die gestiegenen Fallzahlen lassen sich dem Bericht zufolge eventuell dadurch erklären, dass das Bewusstsein für sexuelle Belästigung im Zuge der MeToo-Debatte gestiegen ist. Das könne aber nur ein Teil der Erklärung sein, sagte Grünen-Verteidigungspolitiker Tobias Lindner. „Sexismus ist und bleibt ein großes Problem, auch in der Bundeswehr. Die angestiegenen Meldungen sexueller Übergriffe sind besorgniserregend. Jeder einzelne Fall ist einer zu viel.“
Die Linke kritisiert den Bericht
Im Bereich Rechtsextremismus sind die gemeldeten Fälle leicht auf 170 gestiegen (2017: 167 Fälle). So wurde zum Beispiel gegen zehn Offiziere wegen des Verdachts der Verbreitung rechtsextremistischer Inhalte in WhatsApp-Gruppen ermittelt. In den Unterhaltungen ging es unter anderem um Zitate von Adolf Hitler und die Diffamierung von Juden. Sieben Offizieren wurde die Ausübung des Dienstes untersagt.
Christine Buchholz von den Linken kritisiert den Bericht als unzureichend: „Die Existenz rechtsextremer Netzwerke wird geleugnet und als Aneinanderreihung von Einzelfällen dargestellt. Die Gruppierung um den ehemaligen KSK-Soldaten André S. alias ‚Hannibal‘ wird nicht genannt.“ Es sei enttäuschend, dass sich Bartels an dem Herunterspielen des Problems rechtsextremistischer Umtriebe in der Bundeswehr beteilige.
Immer weniger Bewerber bei der Bundeswehr
Eine der größten Baustellen ist nach wie vor die Personalgewinnung. Im vergangenen Jahr konnte die Truppe zwar einen Zuwachs von 4000 Soldaten verzeichnen. Doch das ist größtenteils auf die Verlängerung bestehender Verträge zurückzuführen. Derzeit sind mehr als 21.000 Offiziersposten unbesetzt. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Bewerber seit Jahren kontinuierlich. Ähnlich schlecht sieht es bei dem Material aus: Ein Großteil der U-Boote ist dem Bericht zufolge defekt, weniger als die Hälfte der Eurofighter und Tornados sind flugfähig.
Das führe zu Frustration und Kündigungen, etwa bei Kampfpiloten, da diese nicht ausreichend trainieren könnten. Selbst die Grundausstattung vieler Soldaten mit Kleidung, Schutzwesten oder Helmen ist unzureichend. Das liege auch am langwierigen Antragsverfahren. So kann die Bestellung einer einfachen Fliegeruniform bis zu drei Monate dauern. Bartels fordert deshalb ein Sofortprogramm für persönliche Ausrüstungsgegenstände. "Das würde bei den Soldaten den Eindruck verstärken, dass die Trendwenden wirklich begonnen haben und nicht nur auf dem Papier stehen.“
Verteidigungsministerin ist unter Druck
Nach jahrelangem Sparen hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Anfang 2016 eine "Trendwende" angekündigt. Mit milliardenschweren Reformen sollte die Truppe wieder auf Vordermann gebracht werden. Der Etat betrug im vergangenen Jahr 38,5 Milliarden, 2019 sind es noch einmal fast fünf Milliarden mehr.
Der Bericht kommt für von der Leyen zur Unzeit. Die CDU-Politikerin steht bereits aufgrund der Affäre um Beraterverträge unter Druck. Die Opposition forderte einen Untersuchungsausschuss, Union und SPD lehnten diesen aus formalen Gründen ab. Es geht um Verträge in Millionenhöhe, Verdacht auf Rechtsbruch und Hinweise auf Vetternwirtschaft im Verteidigungsministerium. Auch das Debakel um das Schulschiff "Gorch Fock" ist Teil des Berichts. Für die Reparatur wurden anfangs zehn Millionen Euro veranschlagt, mittlerweile sind die Kosten explodiert und werden mit 135 Millionen Euro angegeben.
Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, André Wüstner, forderte die 60-Jährige zu mehr Tempo auf. „Es ist 5 nach 12“, sagte Wüstner dem ZDF. „Die Bundeswehr ist, gemessen am Auftrag, nach wie vor im schlechtesten Zustand seit 1990.“
Patrick Reichelt