Großbritannien: Sex-Geheimliste könnte zahlreiche Politiker wegfegen
Hinter dem Rücktritt von Fallon könnten andere Gründe stecken. Eine Sex-Geheimliste könnte zu einem größeren Köpferollen führen.
Skandal im Londoner Parlament: Der britische Verteidigungsminister Michael Fallon ist wegen sexueller Belästigung einer Journalistin zurückgetreten. Er hatte vor 15 Jahren bei einem Dinner der Frau wiederholt ans Knie gefasst und am Mittwochabend die Konsequenzen gezogen. Als Nachfolger gab die britische Regierung am Donnerstag Gavin Williamson bekannt. Der 41-Jährige gilt als weitgehend unbeschriebenes Blatt in der konservativen Partei.
Britische Medien spekulierten, dass noch andere Gründe hinter dem Rücktritt stecken könnten. Wegen einer in London kursierenden Geheimliste mit Verfehlungen von Politikern müssten möglicherweise sogar noch weitere Regierungsmitglieder ihren Hut nehmen, hieß es.
Sie drohte ihm Schläge an - da ließ er von ihr ab
Die von Fallon betatschte Journalistin fiel aus allen Wolken. „Das ist ja wohl der absurdeste Rücktritt eines Ministers“, sagte Julia Hartley-Brewer am Donnerstag dem Nachrichtensender Sky News. Es müsse noch etwas anderes dahinter stecken. Schon zuvor hatte die selbstbewusste Frau über den Vorfall aus dem Jahr 2002 berichtet: Nachdem Fallon ihr Knie berührt habe, drohte sie ihm Schläge an. Dann sei sie von ihm in Ruhe gelassen worden. „Meine Knie blieben intakt.“
Fallon (65) gilt als enger Verbündeter von Premierministerin Theresa May. Er war seit 2014 Verteidigungsminister. Von 2010 bis 2012 war Fallon stellvertretender Vorsitzender der britischen Konservativen.
Sein Nachfolger Williamson war persönlicher Assistent des zurückgetretenen Premierministers David Cameron. Zuletzt hatte er den einflussreichen Posten des „Chief Whip“ - des Einpeitschers - inne. Die Whips sind dafür zuständig, für Fraktionsdisziplin bei wichtigen Abstimmungen zu sorgen. Gerüchteweise nutzen sie dafür auch Informationen über Verfehlungen von Abgeordneten.
Er sei „in der Vergangenheit hinter den hohen Ansprüchen zurückgeblieben, die wir an die Streitkräfte stellen“, begründete Fallon seinen Rückzug aus dem Kabinett in einem Schreiben an May. Seinen Parlamentssitz wolle er behalten. Viele der veröffentlichten Vorwürfe seien falsch, betonte der konservative Politiker - aber ohne Details zu nennen. In einem BBC-Interview sagte Fallon: „Die Kultur hat sich über die Jahre geändert. Was vor 15 oder 10 Jahren wohl noch akzeptiert wurde, ist ganz klar heute nicht mehr akzeptabel.“ Fallon hatte sich bei der Journalistin für sein Verhalten entschuldigt.
Spitze des Eisbergs?
Möglicherweise ist sein Rücktritt nur die Spitze des Eisbergs. Unter Mitarbeitern der konservativen Fraktion des Unterhauses zirkuliert britischen Medien zufolge eine Liste mit etwa 40 Abgeordneten, denen „unangemessenes Verhalten“ vorgeworfen wird. Auf der Liste stehen demnach auch Regierungsmitglieder - darunter Fallon.
Besonders pikant: Fallons Rücktritt erhöht erheblich den Druck auf Mays Kabinettschef Damian Green. Er soll einer Journalistin während eines Pub-Besuchs ans Knie gefasst und später eine anzügliche Nachricht geschickt haben. Green streitet das vehement ab.
Fast täglich tauchen in den britischen Medien neue Vorwürfe gegen Politiker auf. So soll ein Staatssekretär seine Assistentin zum Kauf von zwei Vibratoren in einen Sex-Shop geschickt haben. In der oppositionellen Labour-Partei gibt es sogar einen Vergewaltigungsvorwurf, dem jetzt nachgegangen wird.
Labour-Chef Jeremy Corbyn bezeichnete Fallons Rücktritt als „erstaunlich“. Die Vorsitzende der schottischen Konservativen, Ruth Davidson, hatte zuvor ein konsequentes Handeln gegen Sexismus im Parlament eingefordert. Ausgelöst wurde die Debatte über sexuelle Übergriffe in Großbritannien durch den Skandal um den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein. Dutzende Frauen in den USA und anderen Ländern werfen ihm Belästigungen und Missbrauch vor.
May lobte ihren bisherigen Verteidigungsminister noch am Mittwochabend öffentlich in einem Schreiben: In seiner Amtszeit habe Fallon dazu beigetragen, dass die britischen Streitkräfte im Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) erfolgreich waren und mehr als drei Millionen Menschen aus den Fängen der islamistischen Fundamentalisten befreit werden konnten. (dpa)