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Erklär' dem Genossen, wer SPD-Kanzlerkandidat wird: Martin Schulz mit Parteichef Sigmar Gabriel.
© dpa

Entscheidung über Kanzlerkandidaten: Setzt Merkel die SPD und Gabriel unter Zugzwang?

Die SPD will ihren Spitzenmann für die Bundestagswahl erst Anfang 2017 ausrufen. Kann sie so lange warten, wenn Merkel sich am Sonntag erklärt?

Es passiert nicht oft, dass die SPD sich die Politikerin zum Vorbild nimmt, die sie im Herbst 2017 als Regierungschefin ablösen will. Aber zumindest am Sprachgebrauch Angela Merkels orientieren sie die Sozialdemokraten – und das ausgerechnet in der Frage der Kanzlerkandidatur. "Wir werden, wie Frau Merkel zu sagen pflegt, zu gegebener Zeit die Entscheidung treffen", erklärte SPD-Präsidiumsmitglied Martin Schulz diese Woche. Der Präsident des Europaparlaments, der neben Parteichef Sigmar Gabriel als Favorit für das Amt des Kandidaten gilt, ließ offen, ob er die Aufgabe selbst anstrebt. Denn noch hat die SPD nicht ausgemacht, wen sie ins Rennen schicken will.

Doch nicht nur mit ihrer Rhetorik beeinflusst CDU-Chefin Angela Merkel den politischen Wettbewerber – auch mit ihrem Handeln. Sofern die CDU-Chefin am Sonntag ihre Kandidatur erklärt, wird sich der Blick sofort auf ihren Koalitionspartner richten. Dann wird der Druck auf Parteichef Gabriel enorm steigen, Klarheit zu schaffen. Bislang heißt die strikte Vorgabe: Wir entscheiden Anfang 2017. Doch Zeitpläne gelten immer nur so lange, bis sie umgeschrieben werden. Tatsächlich berät die SPD-Führung schon, ob sie nicht doch schneller handeln muss.

Eine schnellere Ausrufung würde vor allem den Interessen des mächtigen Landesverbandes Nordrhein-Westfalen entgegen kommen. Dessen Chefin Hannelore Kraft will verhindern, dass ihr Landtagswahlkampf von Personaldebatten der Bundes-SPD überschattet wird: Die Ministerpräsidentin braucht Ruhe für ihre eigenen Themen. Vor einer Woche empfahl Kraft im Tagesspiegel Gabriel als Kandidaten. Ihr Lob ("Ich bin überzeugt, dass er ein guter Kanzler wäre") konnte man auch als Appell an den Vorsitzenden lesen, sich endlich zu entscheiden.

Denn das hat Gabriel noch nicht getan. Niemand in der SPD bestreitet, dass dem Parteichef das erste Zugriffsrecht zusteht. Nach einem schwachen Start Gabriels ins Jahr 2016 hatten mächtige SPD-Vertreter sogar überlegt, ihn zu stürzen. Doch der 57-Jährige hat sich stabilisiert, weil die SPD in Landtagswahlen eigene Regierungen verteidigen konnte und weil er das euro-kanadische Handelsabkommens Ceta gegen Kritiker durchsetzte. Zuletzt gelang ihm mit der Nominierung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident ein machtpolitischer Coup, der Merkels Schwäche offenbarte und die Union zum Nachgeben zwang. Die Anerkennung dafür in den eigenen Reihen ist groß.

Die Jobgarantie als Außenminister gilt nur bis zur Bundestagswahl

Zwar gibt es auch taktische Argumente, warum man einen Kandidaten nicht zu früh ausrufen sollte – in unguter Erinnerung ist in der SPD Peer Steinbrücks Warnung vor der "Eierschleifmaschine". Doch manche in der SPD nennen auch psychologische Gründe für Gabriels Zögern, halten es für möglich, dass der Parteichef schwankt oder von einem Tag auf den anderen Tag seine Meinung ändert. Dem Vorsitzenden muss jedenfalls klar sein, dass ihm von der Minute seiner Ausrufung an die Charakterfrage gestellt werden wird: Trauen wir diesem Mann zu, unser Land zu führen?

Die erste Biografie des Parteichefs ("Sigmar Gabriel. Patron und Provokateur"), die am Montag vorgestellt wurde, kommt hier zu einem harten Urteil. Die Autoren Christoph Hickmann und Daniel Friedrich Sturm beschreiben lebendig und gut belegt die erstaunlichen Stärken und Defizite des SPD-Politikers, warnen aber: "Was diese Zeit nicht braucht: den Sigmar Gabriel, der er die meiste Zeit seiner politischen Lebens gewesen ist." Das ist alles andere als eine Empfehlung. Und Gabriel, den das Buch als von Kritik leicht Gekränkten beschreibt, kann erwarten, dass andere im Falle seiner Kandidatur ähnliche Urteile fällen werden. Dazu kommt: Zwar ist vieles in Bewegung in der Politik, am riesigen Abstand zwischen Union und SPD in Umfragen aber hat sich wenig geändert. So wenig wie an Gabriels geringen persönlichen Zustimmungsquoten.

Gabriel hat auch andere Optionen. Martin Schulz empfiehlt sich seinen Genossen seit Wochen mit schmissigen Auftritten für höhere Aufgaben für den Fall, dass der Parteichef selbst die Kandidatur ausschlagen sollte. Bis zum 17. Januar ist er laut Vertrag mit den Konservativen EP-Präsident. Dann will die Europäische Volkspartei (EVP) den Job übernehmen. Sogar Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat laut "Spiegel" nun mit Rücktritt gedroht, um ein Weiteramtieren von Schulz zu erzwingen. Ob das hilft, ist unklar. Seine politische Karriere aber wäre wohl nicht zu Ende, wenn die EVP ihn fallen ließe. Sofern Schulz in Brüssel entmachtet würde, stünde ihm in Berlin die Nachfolge von Steinmeier als deutscher Außenminister offen - mit sicherer Jobgarantie allerdings auch nur bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017.

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