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Der neu gewählte ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
© dpa/Vadim Ghirda/AP

Ukraine reagiert auf Pass-Streit: Selenski will Sanktionen gegen Russland verschärfen

Russland erleichtert Bewohnern der Ostukraine den Zugang zu russischen Pässen. Das will sich der neu gewählte Präsident der Ukraine nicht gefallen lassen.

Der designierte ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski hat am Mittwoch eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland gefordert. Hintergrund sind von Moskau zuvor erlassene Regeln, durch die Bewohner der Ostukraine leichter die russische Staatsbürgerschaft erhalten sollen. "Die Ukraine zählt auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft (...) und auf eine Verschärfung des diplomatischen Drucks sowie der Sanktionen gegen Russland", hieß es in einer Erklärung des Wahlsiegers bei der Präsidentschaftswahl vom Sonntag.

Menschen mit ständigem Wohnsitz in „einzelnen Kreisen“ der Gebiete von Donezk und Luhansk können demnach in einem „vereinfachten Verfahren“ russische Staatsbürger werden. Die Region ist seit Jahrhunderten russisch geprägt. Der Kreml sprach von einer schnellen Prüfung der Unterlagen innerhalb von drei Monaten.

Um russische Staatsbürger zu werden, müssen Bewohner der Ukraine eine Bitte an russische Behörden richten und später ihren ukrainischen Pass einsenden. Faktisch kommt das einer Ausgabe russischer Pässe in dem Nachbarland gleich. Für den Erhalt der neuen Staatsbürgerschaft müsse ein Eid auf die russische Verfassung abgelegt werden, hieß es auf der Webseite des kremlkritischen Radiosenders Echo Moskwy.

Der Kreml hat diesen Schritt offensichtlich unabhängig vom Wahlausgang in der Ukraine vorbereitet. Bereits Mitte März seien Beamte des russischen Innenministeriums in das an die Ukraine grenzende südrussische Gebiet Rostow gereist, um ein „Migrationsbüro“ aufzubauen. Das schrieb die Zeitung „Ukrainska Prawda“ am Mittwoch. Solche Büros gebe es inzwischen auch in anderen Städten.

Putin sagte der Agentur Interfax, er sei um die Menschenrechte in der Region besorgt. „Wir haben nicht den Wunsch, der neuen ukrainischen Führung irgendwelche Probleme zu schaffen.“

Außenminister Pawel Klimkin schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: „Ich rufe die ukrainischen Bürger der von Russland besetzten Gebiete auf, die russischen Pässe nicht anzunehmen. Russland hat Euch das Heute genommen und vergreift sich jetzt an der Zukunft.“ Sein Ministerium erklärte: „Wir halten dieses Dokument für juristisch nichtig.“ Die Ukraine werde die Bewohner der Separatistengebiete weiter als ukrainische Staatsbürger betrachten.

Der für die Separatistengebiete zuständige Minister Wadim Tschernysch meinte: „Damit bestätigte Russland eben ein weiteres Mal, dass es eine Seite des Konflikts mit unserem Staat ist.“

Poroschenko: Russland hat „rote Linien“ überschritten

Der scheidende ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat die geplante Ausgabe von russischen Pässen als Sabotage des Friedensprozesses kritisiert. Russland torpediere alle Bemühungen für Frieden, sagte er am Mittwoch in Kiew. „Es geht faktisch um die Vorbereitung des Kremls zum nächsten Punkt der Aggression gegen unseren Staat: die Annexion des ukrainischen Donbass oder die Schaffung einer russischen Enklave in der Ukraine.“

Er rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, „das schlimmste Szenario“ zu verhindern und die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen. Moskau habe den Friedensprozess sabotiert.

Separatistenchef bedankt sich bei Russland

Einem russischen Medienbericht zufolge soll die Annahme von Anträgen und die Passausgabe im Gebiet Rostow nahe der ukrainischen Grenze erfolgen. Der Vorgang solle im September abgeschlossen sein. Der Donezker Separatistenchef Denis Puschilin bedankte sich bei Russland und twitterte weiter: „Wir haben lange auf diesen Schritt gewartet und sind äußerst froh, dass dieser Tag gekommen ist. Danke!“

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte noch am Vormittag an das Team um den künftigen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski appelliert, das Minsker Friedensabkommen einzuhalten. Die Ausgabe russischer Pässe ist allerdings nicht Teil der Vereinbarung. In dem Abkommen geht es um eine Wiedereingliederung in die Ukraine. Selenski war am Sonntag in einer Stichwahl mit hoher Zustimmung zum neuen Staatsoberhaupt des in die EU strebenden Landes gewählt worden.

Zugleich stellte der oberste russische Diplomat klar, dass er im Ringen um Frieden in der Ostukraine keine weiteren Länder ins sogenannte Normandie-Format holen will. Deutschland und Frankreich könnten verhindern, dass die vom UN-Sicherheitsrat gebilligten Minsker Friedens-Vereinbarungen für den Donbass revidiert würden, sagte er. Beiden Ländern komme dabei eine wichtige Rolle zu.

Friedensplan liegt seit langem auf Eis

An den Gesprächen sind Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine beteiligt. Ein Friedensplan liegt seit langem auf Eis. Die Vierer-Runden werden nach dem französischen Ort des ersten Treffens auch Normandie-Format genannt. Seit 2014 sind infolge der Kämpfe zwischen Regierungstruppen und den von Moskau unterstützten Rebellen nach UN-Schätzungen rund 13.000 Menschen getötet worden.

In der Ukraine hatten zuletzt im Wahlkampf verschiedene Parteien gefordert, dass die USA und Großbritannien mit an den Tisch geholt werden sollten. Auch das Umfeld des künftigen Präsidenten Selenski hatte sich dafür ausgesprochen. Eine Begründung für einen größeren Kreis der Gespräche wurde jedoch nicht genannt. (mit dpa, AFP)

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