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Wollen die Haare in der Suppe suchen: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken
© Kay Nietfeld/dpa

SPD-Führung will mehr Unzufriedenheit wagen: „Selbst ein 70 Prozent volles Glas ist auch zu 30 Prozent leer“

Zu lange hätten sich die Sozialdemokraten Zufriedenheit verordnet, meinen die neuen SPD-Chefs. Schmerzhafte Kompromisse müssten als solche benannt werden.

Die neuen SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wollen schmerzhafte Kompromisse mit dem Koalitionspartner künftig weniger als Erfolg verkaufen. Zu häufig habe man sich Zufriedenheit verordnet und den Parteimitgliedern gesagt: „Was wir als Kompromiss erreicht haben, ist alles, was wir wollten“, sagte Walter-Borjans der Deutschen Presse-Agentur.

Diese Kultur wolle er ändern. „Ich möchte, dass gilt: Selbst ein 70 Prozent volles Glas ist auch zu 30 Prozent leer.“ Die SPD könne sich für Erreichtes natürlich auf die Schulter klopfen, „aber man darf auch sagen, dass man gerne noch mehr erreichen würde“.

Zuletzt hatte sich vor allem Vizekanzler Olaf Scholz immer wieder darüber aufgeregt, dass mit der Union mühsam ausgehandelte Kompromisse etwa zum Klimaschutz durch Kritik in der SPD kleingeredet würden. Walter-Borjans sieht das anders.

„Ich glaube, dass die Anerkennung des Erreichten nicht schmilzt, sondern wächst, wenn man als Partei deutlich macht, dass man immer noch ein Stück weiter will“, sagte er.

„Müssen vom Grundsatz her etwas ändern“

Aus ihrem Umfragetief kommt die SPD nach Einschätzung der neuen Parteichefs nicht durch eine einzelne Person oder Drohungen mit einem Koalitionsbruch. „Die SPD wird wieder stark, wenn erkennbar wird, dass diese Partei einen Anspruch an sich und für die Bürger hat, den sie nach Kräften in einer Koalition umsetzt, der aber darüber hinausgeht“, sagte Walter-Borjans.

Leider gebe es in der Politik wenig Dankbarkeit, sagte Esken. „Man wird nicht gewählt für geleistete Arbeit, sondern für eine Vision.“ Deshalb müsse die SPD zeigen, dass sie mehr sei als nur Teil einer Koalition. „Wir beschließen auch Positionierungen und Ideen für die Zukunft, die jetzt in dieser Koalition vermutlich nicht Fuß fassen werden.“ Dazu gehöre etwa das Sozialstaatskonzept mit der Abkehr von Hartz IV, das auf dem Parteitag großen Zuspruch bekam.

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Martin Schulz sagte „Zeit Online“: „Ich glaube, viele in unserer Partei haben kapiert, dass wir vom Grundsatz her etwas verändern müssen. Die Partei hat ein Mentalitätsproblem: der mangelnde Stolz auf das Erreichte und das übertriebene Lamentieren über das Nichterreichte.“

Martin Schulz mit Durchhalteparolen

So habe es ein Kommentator richtig beschrieben. „Mein Eindruck ist aber, dass es inzwischen einen Willen gibt, die Regierung zu unterstützen.“ Mit Blick auf den EU-Ratsvorsitz Deutschlands im zweiten Halbjahr 2020 sagte Schulz: „Ich glaube, dass es verantwortungslos wäre von uns, die Regierung während der deutschen Ratspräsidentschaft zu stürzen.“

Die neue Parteiführung müsse sich im Klaren sein: „Es gibt eine von 66 Prozent der SPD-Mitglieder bejahte Koalition. Aus dieser ohne Not auszutreten, hat auch unser Parteitag mit breiter Mehrheit abgelehnt.“ Auch 80 Prozent der Deutschen seien gegen Neuwahlen, so Schulz.

„Wenn du dann als neue SPD-Spitze sagst: Ist mir doch egal, ich breche jetzt die Koalition und führe Neuwahlen herbei, glaubst du ernsthaft, die 80 Prozent belohnen dich dafür? Deshalb sagt die Parteiführung, was im Prinzip richtig ist: Wir streben eine andere Art der Politik an. Aber wir stehen zur Koalition.“ (dpa)

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