Abstimmung in Angst: Sehr geringe Wahlbeteiligung in Afghanistan
Die Taliban hatten mit Terror gedroht. Dies zeigte Wirkung. Und trotz enormer Sicherheitsvorkehrungen gab es mindestens 32 Tote und mehr als 120 Verletzte.
„Es war nur ein Finger“, sagt Safiullah Safi. Bei der Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren hatten die Taliban ihm den rechten Zeigefinger abgeschnitten, weil er zur Abstimmung gegangen war. Doch der 38-jähriger Tischler aus Kabul hat auch am Samstag wieder gewählt. „Wenn es um die Zukunft meiner Kinder und des Landes geht, dann werde ich nicht daheim bleiben, auch wenn sie mir meine ganze Hand abtrennen“, sagt Safi afghanischen Medien.
Viele Wähler waren jedoch anderer Auffassung. Nach inoffiziellen Schätzungen der Wahlkommission in Kabul hat nur jeder Fünfte diesmal von seinem Stimmrecht Gebrauch gemacht – von knapp zehn Millionen registrierten Wahlberechtigten nur zwei Millionen. Damit lag die Wahlbeteiligung mit 20 Prozent so niedrig wie nie zuvor.
Bei der Wahl 2014 waren es 58 Prozent. In Kandahar, der zweitgrößten Stadt mit 600.000 Einwohnern gaben nur 25.000 Menschen ihre Stimme ab. Dort waren bei einer Explosion vor einem Wahllokal in den frühen Morgenstunden 17 Menschen verletzt worden.
„Es gibt kein Gesetz, das eine Mindestwahlbeteiligung vorschreibt, damit die Abstimmung legitim ist“, sagte Yousuf Rashidi, Leiter der afghanischen Wahlbeobachtermission. „Wenn wenigstens eine Million Menschen ihre Stimme abgegeben haben, dann gibt es kein Problem damit.“
In den Wochen vor der Abstimmung hatten die Aufständischen das Land mit einer ganzen Kette von Anschlägen überzogen. Die Wahl fand daher unter enormen Sicherheitsvorkehrungen statt. Allein in der Hauptstadt Kabul waren 30.000 Sicherheitskräfte im Einsatz. Ganze Straßenzüge waren gesperrt. Am Wahltag selbst wurden bei 113 Attentaten mindestens 32 Menschen getötet und 123 verletzt.
Als Favorit gilt Afghanistans Präsident Aschraf Ghani
Es ist Afghanistans vierte Präsidentschaftswahl seit dem Sturz der Taliban 2001. Als Favorit gilt Afghanistans Präsident Aschraf Ghani, der sich für eine zweite Amtszeit bewirbt. Ghani würdigte in einer Ansprache in Kabul den Mut der Wählern: „Ich danke allen Afghanen für ihren Einsatz für die Demokratie und für ein blühendes und eigenständiges Afghanistan.“ Auch sein Kontrahent Abdullah Abdullah pries das Engagement der Bürger, die „trotz der Drohungen der Taliban“ an der Abstimmung teilgenommen hätten.
Ghani ist nach fünf Jahren im Amt zwar unbeliebt, doch dies gilt ebenso für Abdullah, ein ehemaliger Augenarzt, der in den 1990er Jahren als Mitglied der Nordallianz gegen die Taliban kämpfte. Der 70-jährige Ghani und der 59-jährige Abdullah hatten nach der chaotischen Wahl 2014 auf Drängen der USA eine Einheitsregierung gebildet. Diesmal könnte es zu einem ähnlichen Arrangement kommen. Die Resultate werden nicht vor Ende Oktober erwartet.
Berichte über Wahlmanipulationen
Viele Afghanen sagten, die Wahl verlaufe korrekt, während sie ihre mit unlöslicher Tinte markierten Finger in die Luft hielten. Der frühere afghanische Außenminister Rangin Dadfar Spanta beklagte im Deutschlandfunk allerdings Wahlfälschungen. Präsident Ghani kontrolliere alle staatlichen Institutionen einschließlich der Wahlkommission, sagte Spanta dem Sender. Den demokratischen Reformprozess bezeichnete der Ex-Diplomat als gescheitert.
Auch die US-Botschaft in Kabul zeigte sich "beunruhigt über zahlreiche Beschwerden über die Sicherheit, einen Mangel an Fairness sowie über Betrug". Ein Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres betonte, "jegliche gegen den Wahlprozess gerichtete Gewalt, einschließlich auf Wahllokale, Wahlhelfer und Wähler" sei inakzeptabel".
Die Präsidentschaftswahl in Afghanistan sollte ursprünglich bereits im April stattfinden, wurde jedoch zwei Mal verschoben. Grund dafür waren unter anderem die inzwischen abgebrochenen Friedensverhandlungen zwischen den USA und den Taliban. (mit Reuters, AFP)