Flüchtlinge im Mittelmeer: Seenotretter besorgt über harte Haltung Italiens
Zum zweiten Mal in wenigen Wochen dürfen Seenotretter tagelang keinen Hafen in Europa anlaufen. Organisationen wie Sea-Watch beunruhigt das.
Fünf Tage lang sagte kein europäisches Land Hilfe für die „Lifeline“ zu. Nachdem die deutsche Besatzung auf dem Mittelmeer 239 Flüchtlinge aus Seenot rettete, durften sie bis Dienstag in keinen europäischen Hafen einlaufen.
Auf dem blockierten Schiff drohte eine humanitäre Krise, ein Unwetter sollte noch am Dienstagnachmittag zu starkem Wellengang führen. Ruben Neugebauer von der Organisation Sea-Watch, der eng mit der Besatzung der Lifeline in Kontakt steht, schlug Alarm: „Wenn die vielen Menschen heute durch den starken Seegang erkranken und dehydrieren, haben wir ein großes Problem. Wir brauchen dringend einen Hafen.“
Die Nachricht, die der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte am Dienstag verkündete, war also längst überfällig: „Das Schiff der NGO „Lifeline“ wird in Malta anlegen.“ Die Regierung Maltas habe sich um eine diplomatische Lösung bemüht, um „eine mögliche humanitäre Krise“ zu verhindern.
Demnach würden die Flüchtlinge in Malta an Land gehen, dann aber auf andere Länder aufgeteilt werden. Frankreich und Spanien machten das Angebot, einen Teil der Schutzsuchenden aufzunehmen, auch Italien kündigte am Dienstag überraschend Hilfe an.
Entgegen der Ankündigung von Conte wartete die Dresdner Organisation „Mission Lifeline“ am Dienstagnachmittag jedoch noch immer auf eine Erlaubnis, in Malta anzulegen. Sie erwarte nun eine offizielle Anweisung der Regierung.
Keine Hilfe aus Deutschland
Der Grünen-Politiker Erik Marquardt sagte dem Tagesspiegel am Dienstag, dass auch die deutsche Bundesregierung dafür verantwortlich sei, dass noch keine europäische Lösung für die humanitäre Notlage auf der "Lifeline" gefunden wurde. Sie sagte zunächst keine Hilfe zu. Marquardt berufe sich auf verschiedene Quellen aus dem Europäischen Parlament. Demnach bremse vor allem Bundesinnenminister Horst Seehofer einen europäischen Weg aus.
Vorwürfen der italienischen Regierung, die Besatzung der Lifeline habe offizielle Anweisungen ignoriert, wies die Organisation am Dienstag entschieden zurück. Der Kapitän habe korrekt gehandelt, die Seenotrettung sei im Einklang mit dem See- und Völkerrecht abgelaufen.
Neues Muster in der Grenzpolitik
Seit in Rom die populistische Koalition von Salvini und Conte regiert, blicken die Seenotrettungsorganisationen verunsichert in die Zukunft. Bereits Anfang Juni wies Italien hunderte Flüchtlinge ab. Das Schiff „Aquarius“ mit 629 Flüchtlingen an Bord durfte mehrere Tage lang keinen Hafen anlaufen, auch damals drohte eine Katastrophe. Schließlich machte Spanien das Angebot, die Flüchtlinge aufzunehmen.
Dass dieser abweisende Umgang in Zukunft zu einem Muster der europäischen Grenzpolitik werden könnte, zeigt der ähnliche Umgang mit der „Lifeline“ in dieser Woche.
„Die Seenotretter sind zu einem Spielball der europäischen Uneinigkeit geworden“, sagt Jana Ciernioch von der Organisation „SOS Mediteranée“, die gemeinsam mit „Ärzte Ohne Grenzen“ das Schiff „Aquarius“ unterhält. „Auch in der vergangenen Woche sind wieder mindestens 220 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Wir werden nach wie vor gebraucht, unser Einsatz ist notwendig.“
Die „Aquarius“ befinde sich derzeit vor der libyschen Küste und sei bereit, Menschen in Seenot zu retten. „Wie wir nach einer Rettung einen sicheren Hafen finden, müssen wir im Einzelfall schauen. Viel mehr bleibt uns nicht übrig.“
Arbeit der Seenotretter werde behindert
Ähnlich sieht es auch Florian Westphal, Geschäftsführer von „Ärzte ohne Grenzen": „Die Notlage besteht weiterhin. Wenn die europäischen Staaten nicht bereit sind, einen sicheren Hafen zur Verfügung zu stellen, dann wird die Arbeit der Seenotretter erheblich behindert.
Sea-Watch-Initiator Neugebauer beunruhigt die Situation: „Es macht sich Ratlosigkeit breit. Wir machen uns Sorgen um die Zukunft.“ Es stehe die Frage im Raum, wie lange man sich die Rettungsaktionen unter diesen Umständen leisten könne. „Trotzdem sind wir natürlich weit davon entfernt, aufzugeben“, betont er.
Die italienische Regierung hatte am Sonntag angekündigt, die Seenotrettung vor der Küste Libyens in Zukunft stärker der libyschen Küstenwache zu überlassen. Sie habe „alle Fachkenntnisse und Mittel, um die Aufgabe zu erfüllen.“
Florian Westphal von „Ärzte ohne Grenzen“ zweifelt daran: „Die libysche Küstenwache bringt die Geretteten nach Libyen zurück. In den dortigen Haftanstalten drohen den Flüchtlingen extremste Misshandlungen, Zwangsarbeit und Vergewaltigungen." Westphal berichtet, die Flüchtlinge hätten daher "eine Heidenangst davor, zurück nach Libyen gebracht zu werden."
Die Menschenrechtslage in dem Land sei dramatisch, das stellen alle Seenotrettungs-NGOs klar. Sie alle möchten die Flüchtlinge daher nicht zurück nach Nordafrika bringen, sondern suchen nach sicheren Häfen in Europa.
„Das Rückweisungsverbot der Genfer Konvention verbietet es uns, Menschen zurück nach Libyen zu bringen“, sagt Jana Ciernioch von SOS „Mediteranée“. „In dem Land drohen Flüchtlingen massive Menschenrechtsverletzungen – das Land ist kein sicherer Hafen.“
Paul Nachtwey