Kritik an Interview-Äußerungen: Seehofer will „farbenfroh“ und „kraftvoll“ über AfD reden dürfen
Der Bundesinnenminister verteidigt sich im Streit mit der Partei vor dem Verfassungsgericht – und verweist auf durch Social Media rau gewordene Debatten.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verlangt mehr Freiheiten, um sich auch aus dem Staatsamt heraus in Interviews kritisch gegen die rechtspopulistische AfD positionieren zu können. Dies geht aus einer vom Ministerium beauftragten Stellungnahme zu einer Organklage der AfD hervor, die am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt wird. Die Partei wirft Seehofer vor, mit einer Interview-Äußerung aus dem Jahr 2018 unzulässig in den politischen Wettbewerb eingegriffen zu haben.
In der Stellungnahme beruft sich das Innenministerium darauf, dass die „Realbedingungen der politischen Kommunikation“ durch Internet und Social Media wesentlich rauer geworden seien. „Es kann nicht Sinn und Zweck des Sachlichkeitsgebots sein, Mitglieder von Verfassungsorganen in ein erdrückend enges kommunikatives Korsett zu zwingen“, heißt es. Dies würde es unmöglich machen, „den täglichen Anfeindungen und verbalen Aggressionen kraftvoll entgegenzutreten“. Äußerungen, die in den politischen Meinungskampf eingebettet seien, könnten „durchaus farbenfroh und deutlich ausfallen“.
Der Minister fand das Verhalten der Fraktion "staatszersetzend"
Seehofer reagierte in dem umstrittenen Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Vorwürfe aus der AfD gegen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Dieser hatte im Zusammenhang mit den Ausschreitungen in Chemnitz im Jahr 2018 auf seinem Facebook-Account die Ankündigung eines Konzerts geteilt, bei der auch Bands auftraten, die durch linksradikale und teils gewaltverherrlichende Texte aufgefallen waren. Dies machte die AfD-Fraktion im Bundestag im Rahmen der Haushaltsdebatte zum Thema.
Seehofer sagte den dpa-Journalistinnen dazu: „Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie tausend Mal sagen, sie sind Demokraten. Das haben Sie am Dienstag im Bundestag miterleben können mit dem Frontalangriff auf den Bundespräsidenten. Das ist für unseren Staat hochgefährlich. Das muss man scharf verurteilen. Ich kann mich nicht im Bundestag hinstellen und wie auf dem Jahrmarkt den Bundespräsidenten abkanzeln. Das ist staatszersetzend.“ Im Anschluss daran ließ Seehofer den Wortlaut des Gesprächs auf der Webseite des Ministeriums veröffentlichen.
Seehofer habe sich als Parteipolitiker geäußert, nicht als Amtsträger, heißt es
Die AfD sieht durch dieses Handeln amtliche Neutralitätspflichten verletzt. Gerade durch die Veröffentlichung auf der ministeriellen Webseite habe Seehofer staatliche Ressourcen zur Verbreitung einer parteipolitischen Aussage genutzt. Das Innenministerium hält dem entgegen, Seehofers Aussagen hätten sich gar nicht auf die Klägerin, also die Partei, sondern lediglich auf die AfD-Fraktion bezogen. Zudem habe Seehofer nicht als Minister gehandelt, „sondern sich hier als Parteipolitiker allgemeinpolitisch“ geäußert. Das Interview sei auf der Webseite mit dem ausdrücklichen Hinweis versehen worden, dass es von der dpa geführt worden sei. Es habe zuvor „polemische und zügellose Attacken“ gegen den Bundespräsidenten gegeben. Daher sei es „vertretbar“ gewesen, die AfD-Fraktion „mit ihrem Verhalten offensiv zu konfrontieren und den darin liegenden demokratischen Kulturbruch scharf zu kritisieren“.
Das Äußerungsverhalten von Regierungsvertretern war zuletzt häufiger in die Debatte geraten. So hatte das Verfassungsgericht ein Statement der früheren Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) beanstandet. Sie hatte in einer ministeriellen Presseerklärung eine „Rote Karte“ für die AfD gefordert und sie in Verbindung mit Rechtsextremismus gebracht. Die Richter entschieden 2018, dies habe eine „abschreckende Wirkung“ auf Wählerinnen und Wähler entfalten können.