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Späte Annäherung: Innenminister Horst Seehofer (CSU) weicht von seinem Hardliner-Kurs ab und schwenkt auf Merkels Flüchtlingspolitik ein.
© Odd Andersen/AFP

Flüchtlingspolitik: Seehofer hat von Angela Merkel gelernt

In Sachen Migration war Innenminister Horst Seehofer bislang als Hardliner bekannt. Jetzt überrascht er mit einem neuen Kurs in der Flüchtlingspolitik.

Horst Seehofer bekam dieser Tage eine Warnung zu hören: Seinen neuen Flüchtlingskurs, kündigte Unionsfraktionschef Ralf Brinkhaus an, werde sich die Fraktion „sehr genau ansehen“. Brinkhaus’ Einwurf ist das Echo auf die beträchtliche Irritation unter konservativen CDU- und CSU-Abgeordneten über den Bundesinnenminister, den sie doch als Hardliner zu kennen glaubten. Ein Teil des Unmuts hängt damit auch zusammen, dass Seehofer im Solo agiert. Beim Innenausschuss lässt er sich nicht blicken. Von seinem Angebot, künftig ein Viertel der aus Seenot geretteten Migranten aus Nordafrika aufzunehmen, wurden alle überrascht.

Seither rätseln sie, was mit dem CSU-Mann passiert ist. Die Antwort ist aber relativ einfach: Seehofer hat auf seine alten Tage noch einmal von Angela Merkel gelernt. Dem Bundesminister ist klar geworden, was der Bayern-Fürst partout nicht einsehen wollte: Die Flüchtlingsfrage ist nicht an der deutschen Grenze zu lösen. Wenn die „noch größere Flüchtlingswelle“ als 2015 erst einmal vor Rosenheim auftaucht, ist es zu spät. Darum setzt er jetzt alles daran, das EU-Türkei-Abkommen zu bewahren. Wenn die Warnung dabei hilft, in Berlin und Brüssel neues Geld für die Türkei locker zu machen, hat sie ihren Zweck erfüllt.

Seehofer könnte seine Karriere versöhnlich beenden

Der CSU-Mann denkt allerdings noch weiter. Seehofer kennt den Ehrgeiz der neuen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die innereuropäische Blockade in der Migrationspolitik zu überwinden. Leyen war inhaltlich immer auf Merkel-Kurs. Aber sie hat aus ihrer Zeit als Verteidigungsministerin in den osteuropäischen Hauptstädten den Ruf, die Sorgen der Polen, Tschechen oder Ungarn besser zu verstehen als ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker.

Das eröffnet – zusammen mit dem Politikwechsel nach der Wahl in Italien – zumindest die Chance auf eine gemeinsame europäische Migrationspolitik mit einer neuen Art von Lastenteilung, die keine der Regierungen als Zumutung empfindet. Deshalb das 25-Prozent-Angebot als politische Anzahlung auf eine „Koalition der Rettungswilligen“, deshalb dessen Verteidigung: In der „Welt am Sonntag“ erinnerte Seehofer seine Kritiker daran, dass Deutschland bei einer paritätischen Verteilung in der EU 22 Prozent aller Flüchtlinge aufnehmen müsste – so gesehen tue es im sehr kleinen Bereich der Seenot-Flüchtlinge einfach nur seine Pflicht.

Nach jahrelangem Streit eine gesamteuropäische Migrationspolitik hinzukriegen wäre für den 70-Jährigen ein schöner schöner Erfolg zum Karriereende, der obendrein hierzulande der AfD viel Wind aus den Segeln nehmen könnte. Auch wenn das schon wieder einer Merkel-Maxime folgen würde: Wenn du dem politischen Gegner ein Thema nicht streitig machen kannst, räum’ es von der Agenda ab.

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