zum Hauptinhalt
Innenminister Horst Seehofer (CSU) will mehr Migranten aufnehmen.
© REUTERS

Seehofers Griechenland-Reise: Vom Hardliner zum Flüchtlingsretter

Der Innenminister reist nach Athen, um an seinem Image als Problemlöser zu arbeiten – und eine Situation wie 2015 zu verhindern. Dazu braucht er auch die Türkei.

Die Überfahrt ist in diesen Tagen besonders riskant. Mit dem Herbstanfang ziehen heftige Unwetter über das östliche Mittelmeer – Sturmböen, Hagel- und Regenschauer. Wer da mit dem Schlauchboot von der Türkei nach Lesbos, Kos oder Rhodos aufbricht, begibt sich in kaum kalkulierbare Gefahr: eine Seereise, die tödlich enden kann. Dennoch ist davon auszugehen, dass auch in den kommenden Tagen wieder Hunderte Menschen versuchen werden, von der Türkei aus in Minibooten die griechischen Inseln zu erreichen.

Damit das nicht so weitergeht, reist Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in dieser Woche zu Gesprächen in die Region. Am Freitag trifft er in Athen Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis. Begleitet wird Seehofer von seinem französischen Amtskollegen Christoph Castaner und EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. „Die Entwicklung der Migration in der Ägäis verdient unsere erhöhte Aufmerksamkeit“, erklärte der CSU-Politiker am Mittwoch. In Athen wolle er sehen, „wo unsere Unterstützung möglich ist, um unsere gute Zusammenarbeit weiter zu verbessern“. Die griechische und auch die türkische Regierung stünden wegen der anhaltenden Migration „seit Jahren vor einer gewaltigen Aufgabe“.

Die zu bewältigen, dabei will Seehofer offenbar helfen. Das passt zu seinem neuem Image als Flüchtlingsretter. Vor kurzem hatte er überraschend angekündigt, jeden vierten Migranten aufnehmen zu wollen, der auf der Route von Nordafrika nach Südeuropa gerettet wird. Seither reiben sich viele, auch in Seehofers Partei, verwundert die Augen angesichts des Kurswechsels im Innenministerium. Galt der CSU-Mann doch eigentlich als Hardliner in Sachen Migration. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), sonst nicht als Seehofer-Kritiker bekannt, stellte dann auch vor kurzem vorsorglich fest: Man könne nicht mehr als „ein paar Hundert Seenotgerettete“ aufnehmen.

Seehofer will aber von seiner neuen Linie nicht abweichen – das zeigt auch seine Athen-Reise. Der Bundesinnenminister will sich offenbar den Ruf als Problemlöser verdienen. Angetrieben ist er auch von der Sorge, die anspannte Flüchtlingssituation in Griechenland könnte eskalieren – mit weitreichenden Folgen für Deutschland. „Das Jahr 2015 darf sich nicht wiederholen“, sagte Seehofer diese Woche wieder einmal.

Tatsächlich ist die Situation in Griechenland brenzlig. „Eine schwierige Lage“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert vor wenigen Tagen. Der Grund: Der sogenannte EU-Türkei-Deal funktioniert nicht. Ziel des Abkommens von 2016 war eine deutliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen auf den griechischen Inseln. Menschen aus Syrien etwa, die von der Türkei über die Ägäis kamen, sollten zurück in türkische Flüchtlingslager gebracht werden. Für deren Versorgung hat die EU der Regierung in Ankara sechs Milliarden Euro versprochen.

Erdogan will „die Tore nach Europa öffnen“

Zunächst führte das Abkommen zu deutlich weniger Flüchtlingen in Griechenland – von mehr als einer Million pro Jahr auf rund 30.000. Doch inzwischen steigen die Zahlen wieder. Nach UN-Angaben sind seit Jahresbeginn insgesamt 40.000 Menschen in Griechenland angekommen. Die Lager auf den Ägäis-Inseln sind hoffnungslos überfüllt. Von „unmenschlichen Bedingungen“ sprechen die Grünen-Politikerinnen Luise Amtsberg und Claudia Roth. Zurückgeschickt in die Türkei werden nur wenige. Die griechischen Asylbehörden kommen mit der Arbeit nicht nach.

Das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos.
Das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos.
© dpa/Angelos Tzortzinis

Indes wächst in der Türkei der Druck auf Migranten. Auch deshalb wollen viele weg aus dem Land. Seit Januar hat die türkische Regierung nach eigenen Angaben mehr als 300.000 Flüchtlinge ohne Papiere festgenommen und zehntausende Afghanen abgeschoben. Präsident Recep Tayyip Erdogan klagt über fehlende Unterstützung der EU. Die hat nach eigenen Angaben an Ankara bislang 2,6 Milliarden Euro für die Versorgung der Flüchtlinge überwiesen – zu wenig, findet Erdogan und droht damit, „die Tore nach Europa zu öffnen“.

Seehofer will Abkommen mit der Türkei stärken

Deshalb ist Seehofer vor seiner Weiterreise nach Athen am Donnerstagabend zu Gesprächen mit Regierungsvertretern in Ankara. Dort sagte er der Türkei weitere Unterstützung zu. Die Delegation sei in die Türkei gereist, „um das Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei zu stärken. Wo immer wir unseren Beitrag leisten können, und das werden wir anschließend besprechen, sind wir dazu bereit“, sagte er während kurzer Stellungnahmen vor Beginn der Gespräche am Donnerstagabend.

Im offenbaren Bemühen, die jüngsten Spannungen zu glätten, dankte er der türkischen Regierung ausdrücklich für ihre Rolle bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. „Ohne Eure Solidarität wäre das Migrationsproblem in unserer Region so nicht bewältigt worden“, sagte er an den Gastgeber, seinen türkischen Kollegen Süleyman Soylu, gewandt. „Ein ganz herzliches Dankeschön. Das ist eine Leistung, die auch in die Welthistorie eingehen wird.“

„Verantwortung nicht länger abschieben“

Die Delegation, der auch EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos angehört, wolle „über die Migrationsthematik und über Sicherheitsfragen“ sprechen, sagte Seehofer. Soylu wiederum kündigte an, mit seinen Gästen auch über die von Präsident Recep Tayyip Erdogan vorgeschlagene sogenannte Sicherheitszone im Nordsyrien sprechen zu wollen. Dort will Erdogan mehrere Millionen Flüchtlinge unterbringen, sobald sie von „terroristischen Gruppen befreit“ sei. Soylu verwies angesichts der Kämpfe in Nordsyrien auch auf das Risiko einer weiteren Massenflucht in Richtung Türkei.

Die Hilfsorganisation Medico forderte indes, die Verantwortung für die Flüchtlinge nicht länger an die Türkei und Griechenland abzuschieben. Was es brauche, sei ein „radikales Umdenken in der Migrationspolitik“. (mit dpa)

Zur Startseite