Migrationspolitik: Seehofer bringt neues Abschiebegesetz durchs Kabinett
Mehr Haftgründe, weniger Geld und für etliche Schutzsuchende erneut weniger Rechte: Der Bundesinnenminister legt sein „Geordnete-Rückkehr-Gesetz” vor.
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch drei Gesetzesvorhaben zur Migrationspolitik beschlossen, die in der Summe die Zahl Schutzsuchender in Deutschland verringern sollen. Die neuen Abschiebe-Vorschriften aus dem CSU-geführten Bundesinnenministerium weiten die Möglichkeiten der Abschiebehaft aus, schaffen eine neue Kategorie der Duldung mit deutlich weniger Rechten und machen Abschiebetermine zu Dienstgeheimnissen, deren Verrat auch mit Haft bestraft werden kann.
Mit dem geänderten Asylbewerberleistungsgesetz von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) werden die Beträge, die Asylbewerber erhalten, erstmals seit 2015 erhöht - das Bundesverfassungsgericht urteilte 2012, dass für alle in Deutschland lebenden Menschen das Existenzminimum gesichert sein müsse -, andererseits sollen sie etwa für Paare und Menschen in Sammelunterkünften sinken.
Die Ausgaben für Asylbewerber sollen insgesamt gleich bleiben. Heil will zudem Geflüchteten bereits nach neun Monaten mit Integrationskursen den Weg in eine Arbeit erleichtern. Dagegen kündigte der Vize-Vorsitzende des Unionsfraktion Thorsten Frei Widerstand im noch laufenden parlamentarischen Verfahren an. Dass nach nur neun Monaten "jeder Ausländer in den Genuss von Integrationsmaßnahmen kommt, sehen wir als problematisch an", sagte Frei.
Die Duldung unterhalb der Duldung
Das Rückkehr-Gesetz von Minister Seehofer sieht einen weitgehenden Ausschluss eines Teils von ihnen vor - derer nämlich, die nach Auffassung der Behörden nicht ausreichend daran mitarbeiten, dass ihre Identität festgestellt wird. Für sie gilt nach den Worten Seehofers am Mittwoch keine "Aufenthaltsverfestigung" mehr, das heißt, sie können bestimmten Zeiten ihres Aufenthalts nicht mehr anrechnen lassen, sie haben keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, bekommen Wohnsitzauflagen und müssen womöglich Bußgeld zahlen. Vieles davon galt jahrzehntelang für alle Geduldeten, also Menschen, die zwar keinen Schutzstatus hatten, aber aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden konnten.
Jetzt gilt es nur noch für die, die nicht ausreichend kooperieren. Praktisch keine Leistungen mehr gibt es für Geflüchtete, die in einem andern EU-Land einen Ausreiseantrag gestellt haben und für so genannten Dublin-Fälle, für die ein anderes Land anerkannt hat, dass es zuständig ist. Dies könnte im Sinne des Karlsruher Urteils von 2012 problematisch werden, da sich deren Rückreise verzögert und Menschen sehr oft lange bleiben, auch wenn ein EU-Partnerland ihrer Aufnahme zustimmt. Fraktionsvize Frei zeigte sich auf Nachfrage dennoch "optimistisch, dass die Regelung auch von der Rechtsprechung in Karlsruhe gedeckt ist".
Kritik an Haftplänen auch vom CDU-Kollegen
Die leichterer Abschiebung von Straftätern gilt mit dem neuen Gesetz bereits bei Urteilen auf sechs Monate Haft. Bisher musste die Haftstrafe ein Jahr betragen. Auch die Möglichkeiten der Abschiebehaft soll Seehofers Gesetz erleichtern. Neben der, die die Flucht vor der Abschiebung verhindern soll, ist jetzt auch eine "Mitwirkungshaft" geplant, die sicherstellen soll, dass sich Betroffene in den Botschaften ihrer vermuteten Heimatländer Tests stellen, mit denen ihre Identität festgestellt wird.
Auch die Möglichkeit kurzfristiger Haft bis zu zehn Tagen wird erleichtert und das Gebot der Trennung von Straf- und Abschiebehaft aufgehoben, damit fehlende Plätze auch in normalen Gefängnissen geschaffen werden können. Dagegen haben in den letzten Tagen sogar Länderminister der Union protestiert: Der nordrhein-westfälische Justizminister verwies darauf, dass die JVAen des Landes bereits zu fast hundert Prozent belegt seien. Die gemeinsame Unterbringung von Strafgefangenen und Abschiebehäftlingen verbietet das Europarecht, Seehofer argumentiert mit einer Notlage, die von der Rückführungsrichtlinie der EU ausdrücklich vorgesehen sei.
Weitere Einschränkungen, die am Mittwoch das Kabinett passierten, treffen auch bereits anerkannte Schutzsuchende. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat für die Fälle zwischen 2015 und 2017 jetzt fünf statt drei Jahre Zeit zu prüfen, ob der Status nicht womöglich widerrufen werden kann.
Flüchtlingsräte fürchteten "Orbanisierung"
Außerdem schafft das Gesetz neue Straftatbestände: Wer das Datum von Abschiebungen öffentlich macht, kann künftig zu bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe verurteilt werden. Auch die Information von Geflüchteten über das Verfahren der Identitätsfeststellung wird bestraft, wenn sie dazu führt, dass die sich ihr entziehen. Der Innenminister betonte am Mittwoch, dies richte sich nicht gegen NGOs, die Flüchtlinge beraten, und auch nicht gegen die Medien, die über Abschiebungen berichten. Es gelte Amtsträgern. "Wir wollen an die Quellen", sagte Seehofer.
Ende März hatten die deutschen Flüchtlingsräte in einem Protestbrief gegen ihre drohende Kriminnalisierung protestiert und von einer "Orbanisierung“ Deutschlands durch das jüngste Vorhaben Seehofers gewarnt. Bis 2015 hätten die Behörden in der Regel selbst mitgeteilt, wann eine Abschiebung anstand. Erst der Asylkompromiss habe ihnen das unmöglich gemacht. Nun werde der Zivilgesellschaft schon Rechtsbruch vorgeworfen und Strafe angedroht, wenn sie Betroffene warne, damit wenigstens einige von ihnen noch die Möglichkeit hätten, ihre Rechte mit Hilfe von Gerichten zu bekommen. Deren Verletzung seien keine Einzelfälle mehr, sondern „ein strukturelles menschenrechtliches Problem“, schrieben die Flüchtlingsräte.
"Rücksichtslose Gesetzeshektik"
Massive Kritik an den Vorhaben der Regierung äußerten die Opposition von Grünen und Linken: Die Sprecherinnen der Grünen-Bundestagsfraktion für Flüchtlings- und Migrationspolitik, Luise Amtsberg und Filiz Polat, sprachen von einer "Giftliste", von der in Teilen "höchst fraglich" sei, ob sie mit dem Grundgesetz in Einklang stehe. Ein Paket mit vielen Folgen für die Grundrechte werde außerdem im beschleunigten Verfahren durchs Parlament gepeitscht, die Regierung berufe sich auf eine Krise, die es so nicht gibt: "Seehofer muss endlich mit dieser Notstandsrhetorik brechen."
Die FlüchtlingshilfsPro Asyl verwies vor Tagen darauf, dass seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 mehr als 20 neue Asyl-Gesetze den Bundestag passierten. Es bleibe bei „rücksichtsloser Gesetzeshektik“, obwohl die Wirkung der früheren Gesetze nie überprüft worden sei.
Horst Seehofer selbst rühmte sein neues Gesetz am Mittwoch: Es liege "um ein Vielfaches über dem ersten Rückführungsgesetz von 2017". Dies hatte das Ministeriums noch unter seinem Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) erarbeitet. Er stellte zugleich in Aussicht, dass er sich nach der Europawahl erneut dem seit Jahren auf Eis liegenden "Gemeinsamen Europäischen Asylsystem" widmen werde. Es sei die Frage, ob man wirklich "immer alle einbeziehen muss" oder ob es auch eine andere "geteilte Solidarität" geben könne, etwa indem einige Länder Geflüchtete aufnähmen, andere dafür zahlten, weitere Grenzpolizisten stellten. Er werde nach der Wahl am 26. Mai einen "Doppelansatz" verfolgen.