Holocaust-Gedenken im Bundestag: Sebastian Urbanski hätte zu den "Lebensunwerten" gezählt
Das erste Mal in der Geschichte des Deutschen Bundestages sprach dort ein Mensch mit geistiger Behinderung: Urbanski eroberte schon einige Bühnen - und hat das Down-Syndrom.
Wäre er zu NS-Zeiten geboren, sie hätten ihn zu den „Lebensunwerten“ gezählt. Das ist Sebastian Urbanski bewusst. Der 38 Jahre alte Schauspieler hat das Down-Syndrom, das 21. Chromosom liegt bei ihm dreimal vor. Zum 72. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedachte das Parlament dieses Jahr besonders denen, die wegen geistiger, körperlicher oder psychischer Beeinträchtigungen durch die nationalsozialistische „Euthanasie“ ermordet wurden.
Umso bedeutender war also die Aufgabe, die am Freitagmorgen vor Sebastian Urbanski lag: Er sollte als erster Mensch mit geistiger Behinderung im Bundestag sprechen. Das Papier in seinen Hände zitterte, als er nur wenige Schritte von der Kanzlerin entfernt am Rednerpult stand und den Brief vorlas, den Ernst Putzki 1943 aus der Sterbeanstalt Hadamar im Westerwald an seine Mutter schrieb: „Wöchentlich sterben rund 30 Personen. Man beerdigt die hautüberzogenen Knochen ohne Sarg“, ist einer der Sätze, mit denen der Schauspieler den Anwesenden das Schlucken erschwerte. Putzki war einer von fast 15.000 Menschen, die in Hadamar zwischen 1941 und 1945 getötet wurden.
Urbanski setzt sich energisch für Rechte von behinderten Menschen ein
Das hätte auch ihm, Urbanski, passieren können – damals. Heute kann er für die Rechte behinderter Menschen eintreten, auch energisch. „Wir sind verdammt noch mal alle Menschen“, appellierte er 2012 in der Bundespressekonferenz und setzte sich gegen den im selben Jahr eingeführten Bluttest bei Schwangeren zur Früherkennung von Trisomie 21 ein. Dass ein Leben mit Down-Syndrom ebenso lebenswert ist wie eines ohne, beweist er in allem, was er tut. Doch seine große Stärke und Leidenschaft ist die Schauspielerei. Schon als Kleinkind gab er seinen Eltern und deren Gästen Vorstellungen. Mit 23 fing der gebürtige Berliner beim integrativen Theater Ramba Zamba an. Heute gehört er zum festen Ensemble.
Urbanski macht viel, was Menschen mit Down-Syndrom noch nie taten. 2015 brachte er die Autobiografie „Am liebsten bin ich Hamlet“ (Fischer Verlag) heraus. Weil Schreiben nicht seine Stärke ist, übernahmen das seine Mutter, die Journalistin Bettina Urbanski und die Autorin Marion Appelt. So geübt er auch als Synchronsprecher, Theater- und Filmschauspieler ist, die Plenarbühne war fremd. Jetzt ist sie es nicht mehr. Am Ende legte Joachim Gauck seinen Arm um Urbanski. Und der legte seinen Kopf auf die Schulter des Bundespräsidenten.