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Ein Wahlplakat des Siegers vor dem Nationalrat in Wien am Tag danach.
© Heinz-Peter Bader/Reuters

Wahlen in Österreich: Sebastian Kurz - der Populismus-Automat

Wahlsieger Sebastian Kurz hat gezeigt, was passiert, wenn eine christlich-soziale Partei die Rolle der Rechtspopulisten übernimmt.

"Überwältigt" sei er, sagte der 31-Jährige nach der Bekanntgabe des voraussichtlichen Wahlergebnisses, um dann in der ihm eigenen, leicht jammernden Tonlage etwas von "gewaltigem Vertrauen" und "großen Veränderungen" nachzuschieben. Mehr als 31 Prozent hat Sebastian Kurz seiner ÖVP, der österreichischen Schwesterpartei von CDU und CSU, am Sonntag bei den Nationalratswahlen eingefahren, ein Zugewinn von sieben Prozentpunkten gegenüber der letzten Wahl.

Mit einiger Sicherheit ist er damit der neue Bundeskanzler, denn dass sich die bei 27 Prozent stagnierenden Sozialdemokraten und die knapp dahinter liegenden stramm-rechten Freiheitlichen zusammentun, ist unwahrscheinlich.

Die SPÖ und der von ihr gestellte Bundeskanzler Christian Kern hatten einen grottenschlechten Wahlkampf hingelegt; ihr windiger Wahlkampfberater Tal Silberstein wurde während der Kampagne in Israel wegen dunkler Geschäfte vorübergehend in U-Haft genommen. Das Rennen um Platz eins war damit vorzeitig entschieden. Kern konnte durch gelungene TV-Auftritte einen noch deutlicheren Wahlsieg von Kurz gerade noch verhindern. Aber das Kanzleramt ist weg. Es gehört jetzt Sebastian Kurz, einem der bemerkenswertesten Politiker der vergangenen Jahrzehnte.

Lange hatte die ÖVP auf einen Messias gewartet

War das ein Getöse Anfang Juli, als die verschlafene ÖVP ihren neuen Helden in einer Mehrzweckhalle in Linz auf den Schild hob. "Fenster auf, Türen auf! Heute ist der Tag, von dem ihr einmal sagen werdet: Ich war dabei!" dröhnte ein entfesselter Moderator in den Saal, bevor Sebastian Kurz mit seinem Parteitags-Gefolge auf den Vorplatz strömte, wo schon 3000 Fans auf ein Selfie lauerten. Lange schon wartet die ÖVP auf einen Messias, obwohl sie im vergangenen Jahrzehnt schon viermal geglaubt hatte, einen gefunden zu haben, um ihn nach durchschnittlich 27 Monaten wieder zu verjagen. 40 Prozent hatte die Volkspartei bei den Wahlen 2002 verbucht; zuletzt, vor der Übernahme durch Kurz, darbte sie in den Umfragen an der 20-Prozent-Marke.

Der Sohn aus kleinbürgerlichen Verhältnissen hatte sich über die Junge ÖVP emporgearbeitet, nicht eben eine der machtvollsten Organisationen im Land. Im Wiener Landtagswahlkampf 2010 – Kurz war da schon Obmann der schwarzen Jugendorganisation – kurvten er und seine Freunde in einem blauen SUV, "Geilomobil" genannt, durch die Stadt, Parteimädchen warfen schwarze Kondome unters Volk. "Schwarz ist geil", lautete der etwas sonderbare Slogan der Jung-ÖVP. Gleichzeitig trotzte die Kurz-Truppe, deren Mutterpartei in Wien bedeutungslos ist, der roten Stadtregierung einen 24-Stundenbetrieb der U-Bahn an Wochenenden ab.

Mit 25 wurde Kurz Integrations-Staatssekretär

Nun wurde der damalige ÖVP-Obmann und Vizekanzler Michael Spindelegger auf Kurz aufmerksam und nahm den 25-Jährigen als Integrations-Staatssekretär in sein Regierungsteam. Kurz stellte sich geschickt an, brachte einen zivilisierten Ton in die Ausländerdebatte und avancierte 2013 zum Außenminister. Seine Umfragewerte stiegen.

Als 2015 die Flüchtlinge kamen, war ein guter Teil der Zivilgesellschaft auf den Beinen: Die katholische Caritas und andere NGOs leisteten Gewaltiges, die rot-grüne Stadtregierung Wiens engagierte sich ebenso in der Flüchtlingshilfe wie viele ÖVP-nahe Institutionen. Der damalige Bundesbahn-Generaldirektor Christian Kern – ein halbes Jahr später sollte der Sozialdemokrat Bundeskanzler sein – überzeugte sich am Wiener Westbahnhof persönlich davon, dass den aus Ungarn eintreffenden Migranten geholfen wurde.

Der junge Außenminister Kurz wurde nicht auf den Bahnhöfen gesehen; er wird sich wenige Monate später, nachdem der Wind gedreht hat, damit brüsten, nicht zu den "Willkommenswinkern" gehört zu haben. Wie das? Hatte er nicht als Staatssekretär beklagt, in Österreich gebe es zu wenig "Willkommenskultur"? Hatte er nicht erklärt, auch der Islam gehöre zu Österreich? Kurz engagierte sich im Frühjahr 2016 am Westbalkan und lud Außenminister-Kollegen zu einer Konferenz nach Wien. Damals sei es ihm gelungen die Westbalkanroute zu schließen, wird er im Wahlkampf immer wieder behaupten. Seinen Beitrag dazu hat er wohl geleistet, das Versiegen des Flüchtlingsstroms über die Balkanstaaten ist freilich vor allem auf das Abkommen zwischen der EU und der Türkei zurückzuführen. Der Außenminister marschierte bei diesem Thema zunehmend im Gleichschritt mit der rechtspopulistischen FPÖ. In der Folge übernahm er ihre Vorstellungen zur Flüchtlings- und Migrationspolitik praktisch zur Gänze.

Anders als Strache distanziert sich Kurz von der AfD

Allerdings trug er seine Standpunkte weit geschickter vor als etwa der grobe FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.

Der Wiener Schriftsteller Doron Rabinovici definiert den Unterschied zwischen den beiden Parteien so: "Die FPÖ ist populistisch, um ihren Rechtsextremismus zu kaschieren. Die ÖVP ist populistisch, um Wähler zu angeln, die durch die Koketterie mit dem Ressentiment gewinnbar sind."

Anders als Strache distanziert sich Kurz von der deutschen AfD, er schließt einen Öxit kategorisch aus und kritisiert die in der FPÖ immer wieder auftauchenden rassistischen "Einzelfälle". Dennoch lieferte er sich im Fernsehen in der Frage, wer ein besseres Verhältnis zum ungarischen Halbdespoten Viktor Orban habe, ein heftiges Duell mit Strache. In der deutschen Politik wäre der Platz von Sebastian Kurz wohl am rechten Flügel der CSU. Wie dieser hat der österreichische Außenminister wiederholt die Flüchtlingspolitik Angela Merkels kritisiert.

Im Wahlkampf führte Kurz wie ein Automat die Probleme des Landes auf den Zustrom von Ausländern zurück. Zu teure Mieten? Ja, weil es zu viele Zuwanderer gibt. Mängel in der Bildungspolitik? Klar, wegen der nicht-deutschsprachigen Kinder in den Schulen. Stress im Sozialsystem? Die Flüchtlinge, was sonst. Ihnen will Kurz die Mindestsicherung kappen. "Und wenn es um Verkehrspolitik ginge, würde er sagen, das eigentliche Problem sind Burkaträgerinnen, die in zweiter Spur vor dem islamischen Kindergarten parken", witzelte der TV-Analytiker Peter Filzmaier nach einer Fernsehdebatte.

ÖVP und FPÖ sind sich beim Thema Migration weitgehend einig

Sebastian Kurz hatte es früh geschafft, tief in die Gefühlswelt vieler Wähler einzudringen. Er deutete die Furcht vor dem Fremden richtig, sprach sie an und nutzte sie politisch. Und nach Jahren der großkoalitionären Stagnation gelobte er "Veränderung", wie immer die auch aussehen mag. Dagegen kamen die Sozialdemokraten mit ihren Versprechen von mehr Verteilungsgerechtigkeit nicht an.

Kurz wird voraussichtlich mit der FPÖ eine Rechtsregierung bilden. In Fragen der Migrationspolitik ist man sich weitgehend einig, wirtschaftspolitisch haben sich die Freiheitlichen den marktliberalen Positionen der ÖVP angenähert. Bleibt als möglicher Stolperstein die Europapolitik. Die FPÖ sitzt im Europaparlament in der Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit", der auch rechtsextreme Parteien wie der Front National, der belgische Vlaams Belang und die italienische Lega Nord angehören.

Kommt es zur Allianz mit der Kurz-ÖVP, sind die Freiheitlichen zum dritten Mal in einer österreichischen Regierung. Bei den beiden ersten Versuchen kam es nach jeweils zwei Jahren zu einer Parteispaltung.

Herbert Lackner

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