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Sebastian Kurz am Wahlsonntag.
© REUTERS/Leonhard Foeger
Update

Rechtsruck in Österreich: Kurz: "Starker Auftrag für uns, das Land zu verändern"

ÖVP-Chef Kurz will mit 31 Jahren jüngster Regierungschef in der EU werden. Die extrem rechte FPÖ wird zweitstärkste Kraft, die Grünen fliegen aus dem Nationalrat.

Bei den Nationalratswahlen in Österreich hat es einen deutlichen Rechtsruck gegeben. Außenminister Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP, der als klarer Favorit in die vorgezogene Wahl gegangen war, kommt nach dem vorläufigen Endergebnis vom Sonntagabend mit seiner "Liste Sebastian Kurz" auf 31,4 Prozent. Bei der Wahl 2013 hatte die ÖVP noch bei 24,0 Prozent gelegen. Die regierende SPÖ von Kanzler Christian Kern hingegen kam auf 26,7 Prozent im Vergleich zu 26,8 Prozent bei der Wahl von 2013.

Ein weiterer großer Gewinner dieses Wahlsonntags ist aber der Rechtspopulist Heinz-Christian Strache. Dessen FPÖ verbessert ihr Ergebnis von 20,5 Prozent auf 27,4 Prozent der Stimmen. Die extrem rechte FPÖ ist demnach zweitstärkste Kraft in Österreich noch vor der SPÖ.

Kurz wird jetzt aller Voraussicht nach mit 31 Jahren der jüngste Regierungschef in Europa. In einer ersten Reaktion erklärte er, man "nehme das Ergebnis mit Demut an". Es sei "ein starker Auftrag, dieses Land zu verändern".

Eine Koalition der ÖVP mit der FPÖ von Heinz-Christian Strache gilt als wahrscheinlich. Als Straches Vorgänger Jörg Haider Anfang des Jahrtausends in Wien zusammen mit der ÖVP in eine Regierungskoalition eintrat, hatte das noch massive Reaktionen in Europa zur Folge gehabt. Sollte es zur Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung kommen, wird Österreich bei der EU-Reform und in der Migrationsfrage voraussichtlich eine völlig anderen Kurs als Kanzlerin Angela Merkel vertreten. Kurz und Strache sind sich einig, dass die EU sich künftig auf Kernaufgaben beschränken sollte. In der Flüchtlingskrise verfechten beide einen harten Kurs, auch in Anlehnung an Ungarns Politik unter Ministerpräsident Viktor Orban.

Ein ausgesprochen schlechtes Ergebnis erreichten die Grünen, die mit 3,3 Prozent aktuell sogar den Einzug in den Nationalrat verpassen würden, für den in Österreich eine Vier-Prozent-Hürde gilt. 2013 hatten die Grünen noch 12,4 Prozent erreicht. Die "Liste Pilz" kommt nach den ersten Hochrechnungen auf 4,1 Prozent. Landesweit standen zehn Parteien zur Wahl. Die Vier-Prozent-Hürde dürften auch die liberalen Neos mit 5,0 Prozent überspringen, die 2013 ebenfalls auf 5,0 Prozent der Stimmen gekommen waren.

Wiens grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou sieht angesichts des desaströsen Abschneidens ihrer Partei einen "bitteren Tag für mich und die grüne Bewegung", berichtet der ORF. Die Wähler hätten eine unüberhörbare Botschaft gesendet - nämlich dass sie es nicht schätzen würden, wenn man sich gegenseitig absäge und wenn aus den Grünen zwei Listen würden, sagte Vassilakou laut ORF in einer Statementrunde von Wiener Parteifunktionären in Anspielung an Pilz, dem sie dennoch in einem Nebensatz zum möglichen Einzug gratulierte.

Eine Neuauflage der großen Koalition gilt als unwahrscheinlich

Sebastian Kurz hatte die große Koalition unter Führung der sozialdemokratischen SPÖ wegen eines Konflikts um Wirtschaftsreformen aufgekündigt, so dass Neuwahlen angesetzt wurden. Eine Neuauflage der großen Koalition gilt daher als unwahrscheinlich. Auch war der Wahlkampf zuletzt von einer Schmutzkampagne aus den Reihen der SPÖ geprägt worden. Angeblich ohne Wissen der Parteiführung hatte ein international bekannter Spezialist für „Dirty Campaigning“ zwei Fake-Facebook-Seiten organisiert, die mit ihren teils rassistischen und antisemitischen Inhalten dem ÖVP-Spitzenkandidaten Kurz schaden sollten. Die SPÖ hat ihrerseits den Verdacht, die ÖVP habe mit Bestechung versucht, an parteiinterne Dokumente zu kommen. Beide Parteien haben sich gegenseitig angezeigt.

SPÖ-Chef Christian Kern räumte vor Anhängern ein: „Wir haben Fehler gemacht.“ In den vergangenen Monaten sei eine „brutale rechte politische Themensetzung vorgenommen worden“, beklagt der bisherige Kanzler den Rechtsrutsch bei der heutigen Wahl.

Mit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Kurz, der dezidiert rechte Position vertritt und eine strikte Flüchtlingspolitik in der EU fordert, waren die Umfragewerte der Volkspartei gestiegen - zu Lasten der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die bis dahin in den Umfragen immer an Platz eins gestanden hatte.

Auch wenn Kurz eine Koalitionsaussage vermieden hat, halten viele Beobachter eine Rechtskoalition von ÖVP und FPÖ für das wahrscheinlichste Ergebnis. Österreichischen Medienberichten vom Sonntag zufolge führen beide Parteien hinter den Kulissen bereits Gespräche, die ÖVP soll ein "großzügiges Angebot" vorgelegt haben.

Beide Parteien wollen die Zuwanderung begrenzen, den Einfluss der EU zurückdrängen, die Steuern senken und die Bürokratie in Österreich abbauen. Kurz hatte sich vor allem in der Flüchtlingskrise als Hardliner präsentiert: Er kritisierte die deutsche Willkommenskultur, setzte in Österreich eine Obergrenze für Flüchtlinge und die Schließung der Balkanroute durch.

"Österreich vor einer Weggabelung"

Sollte die FPÖ von Heinz-Christian Strache an der Regierung beteiligt werden, würden die Rechtspopulisten erstmals nach zehn Jahren an die Macht zurückkehren. Die von Ex-Nazis in den 50er Jahren gegründete Partei hatte im vergangenen Jahr beinahe die Präsidentschaftswahl in Österreich gewonnen und auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in Umfragen geführt. Noch-Bundeskanzler und SPÖ-Chef Kern warnte am Samstag vor einem Rechtsruck im Land. Österreich stehe "vor einer Weggabelung".

ÖVP und FPÖ hatten bereits von 2000 bis 2007 miteinander regiert. Vor 17 Jahren hatte der Regierungseintritt der FPÖ unter Jörg Haider massive Proteste in Europa ausgelöst. Die übrigen damals 14 EU-Mitglieder sanktionierten die österreichische Regierung und schränkten ihre bilateralen Beziehungen zu Wien ein.

Experten gehen nicht davon aus, dass ein ÖVP/FPÖ-Bündnis noch einmal solche Auswirkungen auf das Verhältnis Österreichs zur EU hätte. Dennoch könnte sich eine rechtsgerichtete Regierung in dem wohlhabenden EU-Staat als schwieriger Partner innerhalb des Staatenbundes erweisen. Wien übernimmt in der zweiten Jahreshälfte 2018 die EU-Ratspräsidentschaft - zu diesem Zeitpunkt will Brüssel die Brexit-Verhandlungen beenden.

Wahlberechtigt waren rund 6,4 Millionen Österreicher. Die Wahlbeteiligung lag mit 79,4 Prozent höher als 2013 mit 74,9 Prozent. Die Zahl der Briefwähler stieg auf einen neuen Rekord. Nach Informationen des Innenministeriums wurden fast 890.000 Wahlkarten ausgegeben, das entspricht fast 14 Prozent der Wahlberechtigten. Für diese Wahl wurden damit um ein Drittel mehr Wahlkarten ausgestellt als bei der Nationalratswahl 2013. Der überwiegende Teil der Briefwahlstimmen wird am Montag ausgezählt, der Rest erst am Donnerstag. (mit AFP)

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