Nationalratswahl in Österreich: Kurz am Ziel
Wahlsieger Sebastian Kurz hat im Wahlkampf Ressentiments bedient. Jetzt sollen bereits die Eckpunkte für eine Koalition mit der extrem rechten FPÖ von Heinz-Christian Strache stehen.
Das hatte schon etwas Triumphales, am Wahlabend bei der Österreichischen Volkspartei (ÖVP): Als die ersten Hochrechnungen im vornehmen „Kursalon Wien“ in der Innenstadt auf den Großleinwänden erscheinen, ist der Jubel ohrenbetäubend. Menschen liegen sich in den Armen, ältere Damen tupfen mit Tüchern die Tränen aus den Augen, junge Frauen in Stöckelschuhen und Burberry-Taschen küssen sich auf die Wange. Die Jungs, die hier alle so aussehen, wie ihr 31-jähriger Spitzenkandidat – steife Hemden, Jackett, Einstecktuch und brave Scheitel –, grinsen und geben sich High-Fives.
Mehr als sieben Prozentpunkte hat die ÖVP dazu gewonnen. Und Sebastian Kurz hat geschafft, was seiner Partei seit Mitte der 60er Jahre überhaupt erst zum zweiten Mal gelingt: mehr Stimmen zu bekommen als die Sozialdemokraten (SPÖ). Zwar haben einige Umfragen und viele der Gäste auf der Wahlparty Kurz zuletzt noch weiter vorn gesehen. Doch 31,4 Prozent laut vorläufigem Endergebnis sind ein Sieg. Das endgültige Endergebnis wird erst am Donnerstag bekannt gegeben, wenn auch die Briefwahl ausgezählt sein wird.
Als Kurz dann wenig später auf dem Weg ins nächste TV-Studio noch bei der Party vorbei schaut, drängen die Anhänger in den überfüllten Saal. Unter tosendem Applaus bedankt sich Kurz minutenlang. „Wir haben das Unmögliche möglich gemacht“, ruft er, als er sich endlich Gehör verschaffen kann. Man habe ihn und seine Bewegung – das Wort Partei benutzt er in letzter Zeit kaum mehr – anfangs oft belächelt. Gleichzeitig warnt er vor Überheblichkeit: „Heute ist nicht der Tag des Triumphes über andere.“ Er stehe für eine neue politische Kultur.
Kurz übernahm. Und wie.
Kurz war im Wahlkampf ein hohes Risiko eingegangen. Er hatte die Partei total auf sich zugeschnitten. Über lange Zeit hatten er und seine Getreuen den vormaligen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner demontiert. Als dieser dann im Frühjahr entnervt den Platz räumte, übernahm Kurz. Und wie. Er verpasste der Partei ein neues Image, sie trat zur Wahl als „Liste Kurz, die neue Volkspartei“ an. Kurz suchte die Kandidaten selbst aus, aus der schwarzen Parteifarbe wurde ein freundliches Türkis. Wäre die Wahl anders ausgegangen – es wäre allein Kurz anzulasten. Umso selbstbewusster geht er aus dieser Wahl hervor. Wie seine angekündigte neue Kultur aussehen soll, ist vor allem eine Frage des Koalitionspartners. Der alte Außenminister wird zwar der neue Bundeskanzler. Offen blieb aber am Abend, wer ihn dazu wählen wird. Kurz selbst gibt sich im ORF bescheiden: „Wir werden heute Abend keine Spekulationen anstellen. Ich werde mit allen Parteien sprechen.“
Am wahrscheinlichsten ist, dass Kurz mit dem zweiten Wahlsieger des Abends besonders viele Gemeinsamkeiten finden wird. Heinz-Christian Strache und seine FPÖ haben ebenfalls stark dazugewonnen, fast sechs Prozentpunkte. Die beiden rechten Parteien haben also zusammen genommen gut 13 Prozentpunkte zugelegt. Die FPÖ liegt laut vorläufigem Endergebnis mit 27,4 Prozent vor SPÖ, die auf 26,7 Prozent kommt, und liegt sogar über dem Rekordergebnis von Jörg Haider aus dem Jahr 1999.
Strache und Kurz sprechen zwar unterschiedliche Wählergruppen an, die FPÖ ist Partei der Arbeiter und Kleinbürger, in der ÖVP dagegen fühlen sich viele Porschefahrer zuhause. Doch in den letzten Wochen des Wahlkampfes waren beide inhaltlich so nah zusammen gerückt, dass im Wahlkampf der Eindruck entstand, das seien bereits die ersten Koalitionsgespräche.
Unter Strache hat sich die FPÖ professionalisiert
Kurz bediente Ressentiments über Zuwanderer und den Islam, warb damit, die Balkanroute geschlossen zu haben – so dass der FPÖ letztlich nur der Konter einfiel: zu spät. Beim letzten TV-Duell der beiden überboten sie sich verbal damit, wer die größere Nähe zum ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban habe. In Oberösterreich regieren ÖVP und FPÖ bereits zusammen, relativ harmonisch. Beide warben im Wahlkampf mit dem dort ersonnenen Modell, Flüchtlingen die Grundsicherung zu kürzen, unter das Niveau für Österreicher. Schwarz-Blau, da sind sich die Beobachter einig, würde die politische Wortwahl und das gesamte Parlament weiter nach rechts führen. Im Bund hatten beide Parteien schon ab 2000 zusammen regiert. Besonders die FPÖ blamierte sich an der Macht, spaltete sich und stürzte dann ab.
Dass Strache, der die Partei seit 2005 führt, die Fehler von damals wiederholen wird, ist unwahrscheinlich. Die FPÖ hat sich professionalisiert. Kurz wie Strache gerierten sich als die frischen, unverbrauchten Gesichter des Wandels, obwohl sie Volksparteien vorsitzen und seit Jahren in der Politik sind. Österreichische Medien berichten darüber, Kurz habe bereits Eckpunkte für die Koalition mit den Blauen: Bis zum Nationalfeiertag, elf Tage nach der Wahl, sollen die groben Linien stehen. Experten könnten sich dann um die Detailfragen kümmern.
Trotz dieser inhaltlichen Übereinstimmungen – die SPÖ hatte in der letzten Woche erfolglos versucht, vor einer Koalition der sozialen Kälte zu warnen – halten sich derzeit die Parteiführungen zurück. Bei der ÖVP wohl auch ein bisschen, um zu zeigen: Wir sind hier die Großen, sollen die anderen doch zu uns kommen. Und natürlich gilt für Koalitionsverhandlungen: Wer sich alle Optionen offen hält, kann in den Verhandlungen mehr rausschlagen. FPÖ-Chef Strache warnt wie schon im Wahlkampf eher vor Schwarz-Rot, als dass er für eine eigene Regierungsbeteiligung wirbt: „Das ist schließlich die wahrscheinlichste Koalition“, sagt er im ORF.
Eine Fortsetzung der großen Koalition ist unwahrscheinlich
Das stimmt so allerdings nicht. Zum einen war die Stimmung in der großen Koalition zuletzt mies. Die Rede ist von offenen Gehässigkeiten auf den Regierungsfluren. Besonders, seit Sebastian Kurz die Koalition gesprengt und diese Neuwahlen erzwungen hat. Dass Teile der SPÖ bis zuletzt eine neue große Koalition nicht ausschließen wollten, liegt lediglich daran, dass manche im mächtigen Wiener Landesverband sich eine Sozialdemokratie ohne Regierungsverantwortung schlicht nicht vorstellen können. Und auch aus dem Burgenland meldete sich der einflussreiche Landesvater mit einem Franz-Müntefering-Zitat: „Opposition ist Mist.“
Doch die SPÖ wird sich schwer tun, einen neu erstarkten Kurz zum Kanzler zu wählen. Auch wenn das eigene Wahlergebnis nicht so schlecht ausgefallen ist, wie zuvor befürchtet worden war. Prozentuell haben sich die Sozialdemokraten im Vergleich zu 2013 kaum bewegt. Aber der erste Platz ist eigentlich immer der Anspruch, wie auch Wiens Bürgermeister Michael Häupl klarstellt. Als die SPÖ in den Hochrechnungen, in denen im Gegensatz zum vorläufigen Endergebnis auch die Briefwahlstimmen berücksichtigt werden, die FPÖ überholt hat, gibt es viel Jubel, Kreischen, anhaltenden Applaus.
Ohnehin sprechen die Gesichter vieler Sozialdemokraten eine ganz andere Sprache. Dass es für die SPÖ in die Opposition gehen könnte, deutet sich in den Reden auf der Bühne an, und auch die SPÖ-Basis scheint damit zu rechnen. Denn will man nicht Kurz zum Kanzler wählen, bleibt nur eine rot-blaue Koalition. Und das wäre für die SPÖ trotz einiger taktischer und inhaltlicher Annäherungen an die FPÖ ein Tabubruch. Noch-Bundeskanzler Christian Kern, der schon vor der Wahl angekündigt hatte, in jedem Fall Parteichef bleiben zu wollen, scheint dank des akzeptablen Ergebnisses aber fürs Erste als SPÖ-Vorsitzender unangefochten. Er sei trotz allem, so heißt es in seiner Partei, der beste rote Wahlkämpfer seit langer Zeit.
Dieser Text erschien zuerst auf zeit.de
Ferdinand Otto
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