Nach Ukraine-Wahl: Schwere Gefechte in Donezk
Kiew und Moskau rüsten nach der Präsidentenwahl verbal ab. Doch im Osten der Ex-Sowjetrepublik gibt es schwere Kämpfe. Bei einer „Anti-Terror-Operation“ starben mindestens 35 Menschen.
Kurz nach der Präsidentenwahl in der Ukraine erschüttern Gefechte den krisengeschüttelten Osten des Landes. Nach Separatisten-Angaben kamen bei der „Anti-Terror-Operation“ der Regierung allein in der Stadt Donezk mindestens 35 Menschen ums Leben. Zuvor hatte es erstmals seit Wochen Entspannungssignale zwischen der Ukraine und Russland gegeben. Allerdings schwelt auch der Gasstreit zwischen beiden Ländern weiter. Die Ukraine-Krise ist auch Thema bei einem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel.
Regierungstruppen gehen in der Ostukraine seit Wochen gegen Aufständische vor. Der Separatisten-Anführer Pawel Gubarew teilte am Montagabend mit, ein Lastwagen mit verletzten Kämpfern sei von regierungstreuen Truppen beschossen worden, als er vom Donezker Flughafen in ein Krankenhaus unterwegs gewesen sei. Der selbst ernannte Gouverneur der nicht anerkannten „Volksrepublik Donezk“ sprach in einer Mitteilung auch von 15 Verletzten. Die Gesundheitsbehörden bestätigten lediglich, dass es Tote und Verletzte bei Kämpfen in der Millionenstadt gegeben habe.
Die Verletzten würden in Krankenhäusern der Stadt behandelt, die Toten in Leichenhallen gebracht, teilte die regierungstreue Gebietsverwaltung mit. Die Behörde machte keine Angaben dazu, zu welcher Konfliktseite die Opfer gehörten. Donezk wird von militanten prorussischen Kräften geführt, die die Kiewer Regierung nicht anerkennen. Unabhängige Berichte über den Zwischenfall gab es nicht.
Poroschenko will „Anti-Terror-Operation“ verschärfen
Der am Sonntag gewählte neue prowestliche Präsident Petro Poroschenko hatte eine Verschärfung der „Anti-Terror-Operation“ angekündigt. Gleichzeitig bot er einen Dialog mit Moskau an. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte nach Angaben von Interfax, seine Regierung sei dazu bereit. Allerdings forderte er Poroschenko auch auf, die „Anti-Terror-Operation“ zu stoppen.
Am Tag nach der Schließung der Wahllokale traten die beiden Sieger ein zweites Mal gemeinsam vor die Medien. Der zukünftige Präsident Petro Poroschenko und der neue Bürgermeister Kiews, Vitali Klitschko, skizzierten, wie es nun weitergehen soll. Im Osten des Landes eskaliert die Lage weiter. Separatisten hatten den internationalen Großflughafen von Donezk besetzt, die ukrainische Armee flog Angriffe auf die Rebellen.
Poroschenko kündigte an, am 4. Juni nach Polen zu fahren, dort will er sich unter anderem auch mit US-Präsident Barack Obama treffen. Auch eine Reise in die Krisenregion in der Ostukraine sei geplant, er ließ aber offen, wann und in welchem Format. Erst einmal werde der Anti-Terror-Einsatz gegen die Separatisten fortgeführt. Poroschenko bot all denen eine Amnestie an, die „kein Blut an den Händen haben, mit Terroristen aber kann ich nicht verhandeln“, sagte der schwerreiche Schokoladenfabrikant.
Kiew als „Forschungslabor“ für die Ukraine
Klitschko verkündete: „Jetzt nehmen wir die Reformen in Angriff, die zu mehr Transparenz und weniger Korruption führen.“ Das werde kein leichter Weg und man müsse auch Geduld mitbringen. Trotzdem soll aus der Hauptstadt Kiew eine Art „Forschungslabor“ werden, dort werde man ausprobieren, was dann auch in anderen Landesteilen umgesetzt werden soll.
Poroschenkos Vereidigung wird am 9. oder 10. Juni erwartet, danach soll das Kabinett umgebildet werden. „Noch am Tag meiner Amtseinführung werde ich einen neuen Außenminister, Generalstaatsanwalt und einen neuen Sicherheitschef ernennen“, sagte der Politiker. Er kündigte an, Arseni Jazenjuk im Amt des Ministerpräsidenten zu belassen.
Der selbst ernannte Anführer der „Volksrepublik Donezk“, Denis Puschilin, sagte in Donezk, er sei bereit, unter bestimmten Voraussetzungen mit dem neuen Präsidenten zu verhandeln, dabei solle Russland eine Vermittlerrolle spielen. Puschilin hatte am Montag die Verhängung des Kriegsrechts und eine Generalmobilmachung erklärt.
Die Wahlkommission teilte am Montag mit, Poroschenko habe im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der Stimmen geholt und müsse daher nicht mehr in die Stichwahl. Auf dem zweiten Platz, aber mit großem Abstand, erreichte die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko 13 Prozent. Timoschenko traf sich am Montag mit ihren Beratern. Ein Vertrauter sagte, man werde nun eine genaue Analyse vornehmen. Dass sich Timoschenko, trotz der deutlichen Niederlage aus der Politik zurückziehen wird, glauben in der Ukraine nur wenige. Der Grünen-Politiker Werner Schulz verwies auf die Verdienste der früheren Ministerpräsidentin: „Auch wenn Julia Timoschenko diese Wahl deutlich verloren hat, hat auch sie durch ihre Standhaftigkeit zur demokratischen Entwicklung der Ukraine beigetragen“, sagte Schulz in Kiew, wo er als Wahlbeobachter tätig war.
OSZE-Beobachter loben Verlauf der Wahlen
Die internationalen und ukrainischen Wahlbeobachter zogen am Montag eine weitgehend positive Bilanz der Wahlen. Dort, wo die Menschen an der Abstimmung teilnehmen konnten, kam es nur zu „minderschweren Verstößen“, sagte Alexander Tschernenko, Vorsitzender des Wählerkomitees. Kritisiert wurde vor allem die Unterbesetzung der Bezirkswahlkommissionen. Auch die OSZE zeigte sich zufrieden. „Die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine fanden in Übereinstimmung mit den internationalen Normen und Standards statt“, sagte Joao Soares, Sonderkoordinator der OSZE-Mission in Kiew. Bemängelt wurden die vielerorts langen Wartezeiten, die den Bürgern abverlangt wurden. Die Wahlbeteiligung sei mit 60 Prozent hoch gewesen, gemessen an den Problemen, die es in der Ostukraine gegeben habe. Poroschenko sei legitimer Präsident, erklärte die OSZE.
In Streit um Gaslieferungen konnten sich Russland und die Ukraine derweil nicht auf ein Gesamtpaket einigen. Nach einem Spitzentreffen der beiden Energieminister mit der EU-Kommission am Montag in Berlin wurden unverändert Differenzen über den künftigen Gaspreis für die Ukraine deutlich. „Wir sind noch nicht durch“, sagte EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU). Bei einer weiteren Verhandlungsrunde am Freitag soll eine Eskalation noch abgewendet werden. (mit dpa)
Nina Jeglinski