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Dirk Behrendt (46) ist seit Dezember 2016 Justizsenator in Berlin.
© Mike Wolff

Berlins Justizsenator Behrendt im Interview: "Schwarzfahren ist schädlich wie falsch parken"

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt spricht über Schwarzfahrer, Anzeigen und eine überlastete Justiz.

Herr Behrendt, BVG und S-Bahn legen der Berliner Staatsanwaltschaft in diesem Jahr erstmals mehr als 50.000 Strafanzeigen wegen Beförderungserschleichung auf den Tisch. Hat die Justiz nichts Besseres zu tun?

Es gilt das Legalitätsprinzip. Straftaten müssen verfolgt werden. Ermittler können sich nicht aussuchen, welche Delikte sie verfolgen oder nicht. Sie haben einen Auftrag zu erfüllen. Dass es sich um ein Massendelikt handelt, ändert daran nichts.

Lohnt denn hier der Einsatz der Strafverfolgungsbehörden?

Es handelt sich hier um Bagatellkriminalität. Um diese Form der Kriminalität zu bewältigen, werden erhebliche Ressourcen gebunden, angefangen bei der Polizei bis hin zu den Gefängnissen. Es ist davon auszugehen, dass allein in Berlin ständig 100 bis 200 Personen wegen Schwarzfahrens in Haft sind. Aber man kommt bisher nicht darum herum. Schwarzfahren ist noch immer eine Straftat, die im Strafgesetzbuch steht. Allerdings ist es eine Vorschrift der 1930er Jahre, bei der man rechtspolitisch darüber streiten kann, ob sie noch sinnvoll ist.

Was spricht dagegen?

Alle Eingangskontrollen wurden abgebaut, man muss seinen Fahrschein nur noch sporadisch zeigen. Die Situation ist damit eine andere als vor Jahrzehnten. Man kann schwarzfahren, ohne Hürden oder Kontrollen zu überwinden. Die Sozialschädlichkeit der Tat ist damit gering, sie liegt in etwa so hoch wie beim Falschparken. Auch dies ist ein Massendelikt, aber es wird nicht als Straftat, sondern nur als Ordnungswidrigkeit verfolgt.

Der NRW-Justizminister will deshalb Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit herabstufen. Sie auch?

Das ist ein erfrischender Vorstoß. Es wäre zu wünschen, dass man sich bei der Justizministerkonferenz oder im Bundesrat zu einer entsprechenden Initiative entschließt. Die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus setzt sich seit Langem dafür ein. Aber in den Berliner Koalitionsgesprächen konnten wir uns darüber leider nicht verständigen.

Woran hat es gehakt?

Wenn Schwarzfahren keine Straftat mehr ist, würde dies auch für die Deutsche Bahn und ihre Passagiere gelten. Dort geht es pro Fahrschein um deutlich höhere Summen. Man meint, der Bahn hier beistehen und die zivilrechtliche Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen Schwarzfahrer mit dem Strafrecht flankieren zu müssen.

Können Sie das nachvollziehen?

Nein. Andere Wirtschaftsunternehmen unterstützen wir auch nicht dabei, wenn sie ihre sicher berechtigten Forderungen eintreiben.

Könnte es Kompromisse oder andere Lösungen geben?

Zugangssperren würden bei dem Problem zumindest in Berlin wohl nicht weiterhelfen. Es ist oft zu wenig Platz dafür, sie zu errichten und gleichzeitig ausreichend Fluchtwege bereitzustellen. Denkbar wäre jedoch, beim bisherigen Straftatbestand eine Regelung zur Geringfügigkeit aufzunehmen. So könnten Beförderungserschleichungen beispielsweise nur noch verfolgt werden müssen, wenn der Ticketpreis über zehn Euro liegt. Die Justiz wäre damit deutlich entlastet.

Werden sich für einen solchen Vorschlag Mehrheiten finden?

Wenn die Justiz weiterhin mit immer mehr Strafanzeigen in Anspruch genommen wird, wird das die Diskussion zumindest befördern. Irgendwann wird sich der politische Kurs ändern. Meine Prognose ist, dass es den Straftatbestand in zehn Jahren so nicht mehr geben wird.

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