Debatte um Verfassungschef Hans-Georg Maaßen: Schwarz-Rot verlängert die Krise
Die Gespräche der Koalitionsspitzen sollen am Dienstag fortgesetzt werden. Die SPD fordert die Ablösung des Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen.
- Laura Hofmann
- Lutz Haverkamp
Wenige Wochen nach der Krise um die Flüchtlingspolitik bringt die Debatte um den Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen die schwarz-rote Regierung erneut an den Rand eines Koalitionsbruchs. Die Parteichefs von CDU, CSU und SPD sind am Donnerstag zu einem Krisentreffen wegen des Streits um den Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes zusammengekommen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beriet in der Regierungszentrale in Berlin mit SPD-Chefin Andrea Nahles und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer. Die Gespräche sollen am kommenden Dienstag fortgesetzt werden. Es sei ein gutes, ernsthaftes Gespräch mit dem Ziel gewesen, als Koalition weiterzuarbeiten, hieß es. Über die Ergebnisse des rund 90-minütigen Treffens wurde Stillschweigen vereinbart. Die SPD forderte Maaßens Ablösung – Auslöser waren dessen umstrittene Aussagen zu den Ereignissen in Chemnitz.
Seehofer hatte Maaßen am Mittwoch und erneut am Donnerstag im Bundestagsplenum das Vertrauen ausgesprochen. In Koalitionskreisen wurde nicht ausgeschlossen, dass der umstrittene BfV-Präsident am Ende selbst die Konsequenzen aus dem Wirbel um ihn ziehen und sein Amt zur Verfügung stellen könnte.
Die SPD forderte am Donnerstag die Entlassung Maaßens nach dessen umstrittenen Äußerungen zu den Ereignissen in Chemnitz. „Für die SPD-Parteiführung ist völlig klar, dass Maaßen gehen muss. Merkel muss jetzt handeln“, erklärte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Donnerstag auf Twitter. Der Vorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert, forderte den Ausstieg seiner Partei aus der großen Koalition, sollte Maaßen im Amt bleiben. Zuvor hatte bereits die SPD-Abgeordnete Eva Högl die Kanzlerin aufgefordert, „für Klarheit“ zu sorgen. Sie sagte, Maaßen sei „nicht mehr der Richtige an der Spitze des Verfassungsschutzes“. Er habe selbst das Vertrauen in ihn und die Behörde erschüttert und es durch seinen Auftritt im Innenausschuss des Bundestags nicht wiederherstellen können.
Maaßen hatte die Authentizität eines viel verbreiteten Videos über rechte Ausschreitungen in Chemnitz infrage gestellt und den Vorwurf „gezielter Falschinformation“ in den Raum gestellt. Er löste damit eine Debatte über die Deutung der Ereignisse in Chemnitz aus, wo es bei Demonstrationen rechtsextreme Ausschreitungen gab, offen der Hitlergruß gezeigt wurde und ein jüdisches Restaurant angegriffen wurde. Am Mittwochabend sagte er zweieinhalb Stunden im Innenausschuss des Bundestags aus. Seehofer sagte danach, Maaßen habe Bedauern ausgedrückt. Er sehe daher keinen Anlass für personelle Konsequenzen.
Auch die FDP im Bundestag verlangte, dass Maaßen seinen Posten räumt
Vertreter anderer Parteien gaben sich damit nicht zufrieden und forderten die Entlassung Maaßens. „Mit diesem Verfassungsschutzpräsidenten geht es nicht weiter“, sagte André Hahn (Linke). Der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz sprach von einem „bizarren Schauspiel“ und einem „unfassbaren Vorgang“ im Innenausschuss. Maaßen habe die erste „Verschwörungstheorie“, dass die rechten Ausschreitungen nicht so schlimm gewesen seien, in eine nächste verwandelt, „nämlich dass die Medien durch ihre falsche und verzerrende Berichterstattung schuld an der aufgeheizten Stimmung und an der gesellschaftlichen Spaltung in diesem Land seien“, sagte er. Durch die Entscheidung Seehofers bestätigt fühlte sich die AfD in ihrer Medienschelte und Deutung der Ereignisse in Chemnitz. Es habe „Medienfälschungen gröbster Art“ gegeben, sagte der Abgeordnete Jürgen Braun. Auch die FDP im Bundestag verlangte, dass Maaßen seinen Posten räumt. Maaßen sei gegenüber der AfD nicht neutral, sagte der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle. „Und deswegen muss der Bundesminister des Innern Maaßen sofort entlassen.“ Nach Maaßens Auftritt im Innenausschuss hatte er noch gesagt, Seehofer müsse selbst entscheiden, ob Maaßen noch haltbar sei.
Nun erklärte er, eine Entlassung solle nicht allein wegen Maaßens umstrittener Äußerungen zu den Ereignissen in Chemnitz geschehen, „sondern auf der Grundlage einer Gesamtschau der Ereignisse der letzten Wochen und Monate“. Nun sei aber bekannt geworden, dass Maaßen vertrauliche Informationen an die AfD-Fraktion gegeben haben soll. „Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Konsequenzen zu ziehen“, sagte Kuhle. Das ARD-Magazin „Kontraste“ hatte berichtet, Maaßen habe dem AfD-Politiker Stephan Brandner Informationen aus dem Verfassungsschutzbericht 2017 vor der Veröffentlichung weitergegeben. Das Bundesamt für Verfassungsschutz dementierte die Darstellung. Es seien keine Informationen ohne rechtliche Grundlage weitergegeben worden.
Aufklärung zieht sich hin
Hinterbliebene des Terroranschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz werfen Maaßen Falschaussage in Bezug auf die Aktivitäten seiner Behörde im Zusammenhang mit Attentäter Anis Amri vor. In einem offenen Brief vom 11. September, den der RBB veröffentlicht hat, kritisieren sie den Verfassungsschutzchef dafür, „den Bundestag und die Öffentlichkeit über die Aktivitäten seiner Behörde wissentlich falsch informiert“ zu haben. Ende August war bekannt geworden, dass der Verfassungsschutz einen V-Mann in Amris Umfeld platziert hatte. Das sollte offenbar nicht öffentlich werden. Auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen hatte die die Bundesregierung im Januar 2017 erklärt, im Umfeld des Attentäters keine V-Leute eingesetzt zu haben. Am Donnerstag kam im Untersuchungsausschuss im Bundestag heraus,dass der Verfassungsschutz schon im Januar 2016 begonnen hatte, Informationen über Amri zu sammeln. Die Verfasser des Briefs fordern Maaßen auf, „sich kurzfristig und umfänglich“ dazu zu erklären. „Für uns ist es unerträglich, wie sich die Aufklärung um den Terroranschlag hinzieht und sich über Jahre zu einem Drama entwickelt, dessen Ende nicht abzusehen ist.“ (mit dpa/epd)