Der Krisenkanzler: Scholz' Lehren aus Putins Krieg
Mehr Geld für Rüstung, weg vom russischen Erdgas. Die Welt ordnet sich durch Putins Verbrechen neu, wird unsicherer. Olaf Scholz steht vor schweren Tagen.
So schnell wird Olaf Scholz nicht mehr im Kreml auftauchen. Letztlich war der Kanzler auch nur ein Statist in Putins Spiel, wie auch der französische Präsident Emmanuel Macron – so scheint es im Nachhinein. Öffentlich konzentrierte man sich an jenem 15. Februar, als Scholz in Moskau war, auf die Ankündigung eines russischen Teilabzugs. Dabei ging der Beschluss der Duma unter, die von russischen Separatisten kontrollierten Gebiete in der Ostukraine als eigene Staaten anzuerkennen.
Scholz ging davon aus, dass Putin dem Duma-Beschluss nicht folgen würde. Als er in Moskau darauf angesprochen wurde, dass Putin in den Raum gestellt habe, dass er dem Beschluss der Staatsduma, die Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ostukraine anzuerkennen, folgen könnte, sagte Scholz: "Ich glaube, dass Sie da die Antwort überinterpretieren, aber das werden wir ja sehen." Er habe heute ja in einer Pressekonferenz mit jemandem gestanden, "der dazu aufgefordert hat, sich an die Minsker Vereinbarungen zu halten.“
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Einige Tage später bei der Sicherheitskonferenz in München war er schon skeptischer, verwies auf Putins Aufsatz aus dem vergangenen Jahr, in dem dieser die Ukraine und Belarus historisch als Teil der russischen Nation beschreibt. Die dort ausgeführten Gedanken bildeten den Kern der mit Verdrehungen gespickten Rede vom 21. Februar, in der Putin der Ukraine das Recht als souveräner Staat zu existieren absprach.
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Es zeigt sich wieder, dass Autokraten am Ende genau das tun, was sie gesagt haben. Scholz wird sich merken, was Putin da mit ihm gespielt hat in Moskau. Da kann er auch eine entsprechende Härte zeigen.
Als Deutschland an diesem 24. Februar mit der Nachricht aufwacht, dass Putin die Ukraine bombardieren lässt, kommt schnell eine erste Stellungnahme des Kanzlers.
"Dies ist ein furchtbarer Tag für die Ukraine und ein dunkler Tag für Europa", betont Scholz. Der russische Angriff auf die Ukraine sei ein eklatanter Bruch des Völkerrechts. "Er ist durch nichts zu rechtfertigen. Deutschland verurteilt diesen rücksichtslosen Akt von Präsident Putin aufs Schärfste. Unsere Solidarität gilt der Ukraine und ihren Menschen. Russland muss diese Militäraktion sofort einstellen. Im Rahmen der G7, der Nato und der EU werden wir uns heute eng absprechen."
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Für den frühen Nachmittag hat Scholz eine Schalte der G7-Staats- und Regierungschefs anberaumt, Deutschland hat hier derzeit den Vorsitz. Keine 100 Tage im Amt, ist der Sozialdemokrat mit der schlimmsten Situation in Europa seit Jahrzehnten konfrontiert. Deutschland steht vor den Trümmern seiner Russlandpolitik, die immer auch darauf setzte, dass Putin ein rationaler Player ist. Und ihn mit Gasgeschäften einzuhegen, auch diese Milliarden haben dazu beigetragen, dass Russland sich hochrüsten konnte. Was Angela Merkel in diesen Tagen denken mag?
Sicherheit mit oder gegen Russland?
Der Kanzler sagte im Kreml einen Schlüsselsatz: „Für uns Deutsche, aber auch für alle Europäer ist klar, dass nachhaltige Sicherheit nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland erreicht werden kann.“ Doch wie soll mit einem Russland, das sich nicht mehr an internationale Vereinbarungen, Grenzen und das Völkerrecht hält, verhandelt werden? Scholz glaubt an die Kraft des Dialogs, die Stärke der Demokratie – das ist seine politische DNA. Und dass man sich auf ein gegebenes Wort verlassen kann, man nicht belogen wird.
Er macht in diesen Tagen einiges richtig, zeigte mit dem Stopp des 10-Milliarden-Projekts Nord Stream 2 Handlungsstärke. „Ich bin enttäuscht, aber nicht unvorbereitet“, sagte er im ARD-Brennpunkt über Putins Bruch.
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Klar ist, mit diesem 24. Februar wird nichts bleiben wie es ist. Was wenn Putin nicht bei der Ukraine halt macht? Scholz pocht auf eine bessere gemeinsame Verteidigungspolitik im Europa, mit weniger unterschiedlichen Waffensystemen.. Er ist als G7-Präsident in einer Schlüsselposition, um im Kreis der führenden westlichen Staaten bis zum Juni-Gipfel in Elmau eine Gegenstrategie zu entwickeln, auch mit mehr militärischer Abschreckung.
Schon wird befürchtet, dass China im Windschatten der Russland-Krise nach Taiwan greifen könnte. Im Kanzleramt sind sie froh, dass ein Rationalist wie Joe Biden im Weißen Haus sitzt und nicht Donald Trump. Der sagte am Dienstag im Radio mit Blick auf Putins Eskalation: „Das ist genial.“ Putin erkläre einen großen Teil der Ukraine für unabhängig und schicke „Friedenstruppen“ dorthin. „Wie schlau ist das denn?“
Grenzen gelten nicht mehr - sondern das "Recht des Stärkeren"
Scholz muss erkennen, dass die Welt unsicherer wird, als sie es zu Zeiten des Kalten Kriegs gewesen ist. Als es ein Gleichgewicht der Abschreckung gab und im Kreml das gegebene Wort mehr galt. Das bedeutet: Mehr eigene Abschreckung wird entscheidend – die Welt wandelt sich vom Prinzip „Die Stärke des Rechts“ zum Prinzip „Das Recht des Stärkeren“.
Bei der Münchner Sicherheitskonferenz war seine Schlüsselbotschaft an die Nato-Partner, dass Deutschland mehr für Verteidigung ausgeben wird, das 2-Prozent-Ziel erfüllen will. Auch das war jahrelang so umstritten wie Nord Stream 2. Plötzlich werden die Streitfragen von der Realität gelöst.
Die wichtigste Lehre des Kanzlers aus der Krise: Je enger sich EU und USA abstimmen, desto erfolgreicher ist man. Und Konkurrenten oder Gegnern wie China und Russland will er mit einer Doppelstrategie begegnen: Kooperation suchen, wo es im beiderseitigen Interesse ist, etwa beim Kampf gegen Klimawandel und Armut oder, falls möglich, bei der Rüstungskontrolle. Und dort klar gegenhalten, „wo der Erhalt der multilateralen Ordnung bedroht ist oder Menschenrechte mit Füßen getreten werden“.
Aber Scholz weicht bisher der Frage aus, ob Deutschland 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs bereit ist, militärisch deutklich mehr Verantwortung zu übernehmen. Er bekennt sich bisher nur zur Beistandspflicht für Nato-Partner, wenn ein Land angegriffen wird.
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Wie soll russisches Gas ersetzt werden?
Auch im Ausland wird anerkannt, dass Scholz den Zertifizierungsprozess für Nord Stream 2 gestoppt hat. Aber er schmückt sich da auch mit fremden Federn. In Regierungskreisen heißt es, dass dieser Schritt bereits seit einigen Monaten von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorbereitet wurde.
Konkret wurde ein Bericht zur Versorgungssicherheit bei der Bundesnetzagentur zurückgezogen, ohne den die Zertifizierung nicht erfolgen kann. Denn darin ging man von der Prämisse aus, dass Russland auch in Zukunft selbst bei Sanktionen ein sicherer Gaslieferant ist – doch die Führung hatte schon 2021 offensichtlich Lieferungen gedrosselt, die Preise explodierten. Und nun wird offen mit drei Mal höheren Preisen gedroht.
Habeck hatte bereits nach Amtsantritt die geopolitischen Veränderungen und die Lage dieses Winters prüfen lassen, ebenso wie die juristischen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheitsanalyse gerade für den Fall einer Eskalation in der Ostukraine.
Dank Habecks Vorarbeiten konnte Scholz rasch diese Karte spielen. Der neue Bericht wird erstmal lange dauern, dass die Pipeline jemals in Betrieb geht, scheint unwahrscheinlich.
Aber das wirft grundsätzliche Fragen auf, alle sind unangenehm - eine Herkulesaufgabe gerade auch für Habeck. Die Grünen betreiben aus Sicht der Kritiker eine ideologische Klimapolitik: Der Kohleausstieg soll möglichst schnell kommen, russisches Erdgas soll es am liebsten auch nicht sein – aber im Wahlprogramm für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein werden auch Terminals an der Küste für die Verarbeitung von Flüssiggas aus den USA oder Katar abgelehnt.
Gewaltig wachsender Strombedarf
Zugleich wird aber der Strombedarf in Deutschland gewaltig steigen, wenn Millionen Autos mit Strom fahren und Stahlwerke von Kokskohle-Hochöfen auf eine Elektrifizierung der Produktion umstellen sollen. Das wird, da muss man kein Prophet sein, bald zu einer Debatte führen, ob die drei noch laufenden Kernkraftwerke Isar, Emsland und Neckarwestheim nicht im Dezember 2022 abgeschaltet, sondern länger laufen sollten, um die nächsten Winter und Stromlücken gut zu meistern.
Deutschland importiert laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft über die Hälfte seines Erdgases aus Russland. Knapp ein Viertel aller russischen Gasexporte landen in Deutschland. Vielleicht muss letztlich die wirtschaftliche Stärke besser gegen die russische militärische Stärke ausgespielt werden, der Fall Nord Stream 2 ist ein erster Versuch.
Wenn Russland den Gashahn ganz zu drehen sollte, wäre Deutschland der IW-Studie für die Atlantik-Brücke zufolge immer noch gewappnet. Zum einem über die - allerdings nur zu gut 30 Prozent gefüllten - Gasspeicher, zum anderen über eine gute Anbindung an Flüssiggasterminals wie den Niederlanden.
Ein früherer Minister warnt vor "tödlichen Energiepreisen"
Sigmar Gabriel war Energie- und Wirtschaftsminister nach der Annexion der Krim, er sieht gewaltige Herausforderungen. „Alle Alternativen zu russischem Erdgas sind teurer“, sagt der SPD-Politiker auf Tagesspiegel-Anfrage. „Und da wir vor 30 Jahren in Europa dem Energiemarkt - vor allem Strom und Gas - liberalisiert haben, entscheiden nicht mehr Staaten oder staatliche Versorgungsunternehmen, woher sie ihre Energie beziehen, sondern: der Markt, also Anbieter und Nachfrager.“ Nord Stream 1 und 2 seien möglich gewesen, weil sich Gazprom an die europäische Rahmengesetzgebung gehalten habe. Putin beende nun die Liberalisierung des Energiemarktes, „denn die Folge der aktuellen Krise wird doch sein, dass die Staaten jetzt wieder Einfluss nehmen werden“.
Das bedeute aber: Es wird teurer – viel teurer, als Energie derzeit aus anderen Gründen bereits ist. Dies hänge auch mit Lieferkettenproblemen und einer gigantisch gestiegenen Nachfrage in Asien zusammen.
Die Klimapolitik der Ampel müsse eigentlich überarbeitet werden. Denn die setze neben dem Ausbau erneuerbarer Energien auf einen massiven Ausbau der Gasnutzung als Brückentechnologie statt Kohle. Und, das ist auch eine Mahnung Gabriels an Scholz: „Wenn der Bundesregierung nichts einfällt, wo sie die breite Masse der Bevölkerung steuerlich oder in den Sozialabgaben massiv entlastet, werden die Energiepreise politisch tödlich. Das weiß auch Herr Putin.“
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