Bildungsföderalismus: Schluss mit der Kleinstaaterei im Schulwesen!
Deutschland leistet sich 16 verschiedene Bildungssysteme. Das ist weder effizient noch zeitgemäß - und muss aufhören. Ein Gastbeitrag.
Nun sind einige Länder aufgewacht. Berlin hat zusammen mit vier weiteren SPD-geführten Bundesländern angekündigt, zwei Tage vor der Bundestagswahl das Kooperationsverbot mit einer Bundesratsinitiative aufheben zu wollen. Das Kooperationsverbot verbietet dem Bund, in Bildung zu investieren, weil dafür die Länder zuständig sind. Es ist eine unnötige Fessel. Denn die Kommunen sind schon lange nicht mehr in der Lage, die Herausforderungen wie Integration, Inklusion und Schulsanierung allein zu stemmen. Für die Hochschulen wurde das Kooperationsverbot 2014 bereits zurückgenommen, nun muss es auch für die Schulen fallen. Wer die Rücknahme dann als historischen Erfolg feiert, sollte erwähnen, dass das Kooperationsverbot nicht aus dem Jahr 1949 stammt, sondern erst im Zuge der Föderalismusreform 2006 erlassen wurde. Es hat die schulische Kleinstaaterei im Grundgesetz noch einmal zementiert. Die Aufhebung des Kooperationsverbotes reicht aber nicht aus. Der gesamte Bildungsföderalismus hat sich überlebt – und gehört abgeschafft!
Den Föderalismus-Dschungel bekommen besonders Familien zu spüren, die sich mobil zeigen und von einem Bundesland ins andere wechseln. Der Umzug gleicht einem bildungspolitischen Hürdenlauf und erinnert an die Währungsschranken in der Zeit der deutschen Kleinstaaterei im 19. Jahrhundert. Während es beispielsweise in Baden-Württemberg die Hauptschule, die Werkrealschule, die Realschule, das Gymnasium und die Gemeinschaftsschule gibt, existieren in Berlin nur zwei Formen: Gymnasium und Integrierte Sekundarschule. Und für jede Schulform gibt es einen Lehrplan, nach denen die Verlage spezielle Schulbücher konzipieren. Es gibt Hunderte Lehrpläne, für mehr als 30 verschiedene Schularten. Und natürlich unterscheiden sich auch die Bezeichnungen für die Fächer von Schulform zu Schulform, von Bundesland zu Bundesland. Welche Bildungsblüten der Föderalismus treiben kann, verdeutlicht auch die G8-Reform. Sie ist der Treppenwitz der deutschen Schulgeschichte. Schaut man auf die bildungspolitische Deutschlandkarte, gleicht sie in der Frage, in wie viel Jahren man zum Abitur gelangt, einem Flickenteppich: Nach 12 oder nach 13 Jahren? Oder geht vielleicht beides?
Zwar hat die Kultusministerkonferenz nach dem Pisa-Schock bundesweite Bildungsstandards eingeführt und einen zentralen Pool für Abituraufgaben in vier Kernfächern geschaffen. Aber das reicht nicht aus. Denn die Bundesländer müssen sich nicht aus dem Pool bedienen und wenn sie es täten, werden die Abiturergebnisse in den Ländern ohnehin unterschiedlich gewichtet. So schließen in Thüringen doppelt so viele Prüflinge mit einer Eins vor dem Komma ab wie im benachbarten Niedersachsen. Bei Bewerbungen sind die Thüringer Abiturienten damit klar im Vorteil. Mit Bildungsgerechtigkeit hat das wenig zu tun.
Die Länder werden sich wehren, aber dann muss der Bund Druck ausüben
Was ist zu tun? Die Bundesländer müssen ihre Bildungshoheit an den Bund übergeben. Und die Bundesregierung könnte ein Deutsches Bildungsforum einberufen. Ein Forum, in dem die besten Ideen vorgestellt und diskutiert werden. Ein Forum, das seinen Namen verdient. Darin dürften nicht nur Wissenschaftler sitzen, sondern auch Lehrer, Eltern, Schüler und Studenten. Zentrale Aufgaben des Bildungsforums wären Empfehlungen für eine länderübergreifende Vereinheitlichung des Schulsystems, für Kerninhalte von Lehrplänen, für gleiche Übertrittsregelungen von einer Schulform in die andere, für standardisierte Prüfungsinhalte und -anforderungen beim Mittleren Schulabschluss und beim Abitur sowie für eine gemeinsame Lehrerausbildung. Automatisch würden sich in einem Übergangsprozess auch die Niveaus angleichen. Die Pisa-Gewinner müssen dabei nicht befürchten, sich auf dem Level der Verlierer einzupendeln. Die Besten müssen der Maßstab sein. Bildung ist Deutschlands wichtigster Rohstoff. Daher müssen auch erst die Lehrpläne vereinheitlicht – und dann ein gemeinsamer Prüfungspool geschaffen werden. Und nicht umgekehrt – wie in diesem Jahr von der KMK initiiert.
Die Vereinheitlichung der Schulbildung darf aber weder zu einem Bürokratisierungsmonster in Berlin führen noch auf Kosten der regionalen Besonderheiten gehen. Diese Balance ist die größte Herausforderung bei der Abschaffung des Bildungsföderalismus. Daher sollte in jedem Bundesland ein Institut für Schulbildung gegründet werden, um die bereits existierende Bildungsvielfalt in den Städten und Gemeinden zu erhalten. Diese Institute würden die Lehrerausbildung koordinieren, die Lehrpläne mit regionalen Spezifika anreichern und in Kooperation mit den Hochschulen pädagogische Konzepte entwickeln.
Natürlich werden sich die Bundesländer mit Händen und Füßen wehren. Aber der Bund könnte Druck ausüben. Laut Umfragen hätte er auch die Mehrheit der Deutschen hinter sich. Deutschland leistet sich als vergleichsweise kleines Land für seinen wichtigsten Rohstoff, die Bildung, 16 verschiedene Bildungssysteme. Das ist weder effizient noch zeitgemäß. Der Bildungsföderalismus ist kein staatspolitisches Naturgesetz – wir sollten uns eingestehen, dass er sich überlebt hat.
- Der Autor ist Lehrer und Seminarleiter für Geschichte in Berlin und war 2013 „Lehrer des Jahres“
Robert Rauh
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