Jemen: Schiitische Rebellen erstürmen Präsidentenpalast
Die Houthi-Milizen haben nach Militärangaben die Kontrolle über den Komplex errungen. Die Rebellen kontrollieren seit Monaten weite Teile von Sanaa, am Montag hatten sie eine neue Offensive gestartet. Von unserem Korrespondenten aus Kairo
Die schiitischen Houthi-Rebellen haben in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa gegen die bisherige sunnitische Führung unter Präsident Abed Rabbo Mansour Hadi geputscht. Am Dienstagnachmittag besetzten ihre Kämpfer nach Augenzeugenberichten das Gelände mit dem Präsidentenpalast und nahmen auch die Privatresidenz Hadis unter Feuer, wo sich das Staatsoberhaupt offenbar derzeit aufhält. Der UN-Sicherheitsrat in New York trat am späteren Abend zu einer Krisensitzung zusammen. Bereits tags zuvor hatten sich die Houthis aus dem Nordjemen schwere Gefechte mit der Präsidentengarde geliefert und ein Militärgelände auf einer Anhöhe besetzt, von dem aus sich das Palastareal einsehen lässt. . Schwere Detonationen waren zu hören, Rauchsäulen standen über der Stadt, Bewohner nahe gelegener Viertel verließen in Panik ihre Häuser und suchten in anderen Teilen Sanaas Schutz. Am Samstag hatten die Houthis bereits den Bürochef Hadis, Ahmed Awad bin Mubarak, entführt, der für die Organisation der Verfassungsreform zuständig ist. Auch der Konvoi von Premierminister Khalid Bahah wurde beschossen. Der Regierungschef konnte jedoch entkommen und blieb unverletzt. Nach ersten Angaben starben bei den jüngsten Unruhen mindestens neun Menschen, wahrscheinlich jedoch liegt die Zahl der Opfer deutlich höher. Zudem brachten die Aufständischen den staatlichen Fernsehsender und die jemenitische Nachrichtenagentur Saba unter ihre Kontrolle.
Die Rebellen haben hohe politische Forderungen
Die schiitischen Kämpfer aus dem Nordjemen hatten die Hauptstadt Sanaa im letzten September angegriffen, erobert und besetzt. Bei den dreitägigen heftigen Gefechten starben damals weit mehr als 200 Menschen. Die Besatzer wollen erreichen, dass ihre Belange in einer neu gebildeten Regierung besser berücksichtigt werden, einer aus ihren Reihen Berater des Präsidenten wird und mehr öffentliche Investitionen in ihre Siedlungsgebiete fließen. Dazu besetzten sie auch mehrere Ministerien, schickten die Angestellten nach Hause und begannen die Etats in Eigenregie zu verwalten. Internationale Vermittler, wie der UN-Sondergesandte Jamal Benomar, versuchten bisher vergeblich, die Houthis durch politische Verhandlungen zu einem friedlichen Abzug zu bewegen.
Der Suezkanal ist einer der Knackpunkte
Der entführte Büroleiter Mubarak stammt aus der Hafenstadt Aden im Südjemen und ist Generalsekretär des so genannten „Nationalen Dialogs“, der seit 2012 tagt und eine neue Verfassung mit einer föderalen Struktur für den Jemen ausarbeiten soll. Ein kürzlich veröffentlichter erster Entwurf sieht vor, das Land in sechs halbautonome Regionen zu unterteilen. Die Führung der Houthis lehnt dies genauso ab wie die Unabhängigkeitsbewegung in Südjemen, die wieder einen eigenen unabhängigen Staat wie vor 1989 haben will. Die Houthis wiederum befürchten, eine Föderalisierung werde die Teilung des Jemen in arme und reiche Regionen zementieren. Zudem hätte ein faktischer Zerfall des bitterarmen Landes unabsehbare Folgen für die Seefahrt. Vom Suezkanal kommend führt durch den Golf von Aden zwischen Somalia und Jemen eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt.
"Charlie Hebdo"-Attentäter aus Jemen beauftragt
Jemens Existenzkrise hat nationale Ursachen, ist gleichzeitig aber auch Spiegelbild der wachsenden Spannungen zwischen sunnitischen und schiitischen Kräften im Nahen Osten sowie zwischen den verfeindeten Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran. Die schiitischen Houthis machen etwa 40 Prozent der 35 Millionen Jemeniten aus. Im letzten Jahrzehnt führten sie sechs Bürgerkriege mit über Hunderttausend Toten gegen die Zentralregierung in Sanaa. Im Jemen operiert aber auch die sunnitische „Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel“, die mehr als tausend Kämpfer aus elf Nationen in ihren Reihen hat, darunter viele Saudis. Die jemenitische Filiale gilt als gefährlichster Ableger des von Osama bin Laden gegründeten Terrornetzwerks. So wurden die beiden Attentäter auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo", die am 7. Januar zwölf Menschen in den Pariser Redaktionsräumen erschossen, im Jemen ausgebildet und offenbar von dort aus mit der Bluttat beauftragt.
Martin Gehlen