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Verkehrsminister Andreas Scheuer.
© imago images/Future Image

Der Verkehrsminister und die Mautaffäre: Scheuers Handeln bleibt folgenlos – was sagt das über unser Land?

In den 50er Jahren reichte ein uneheliches Kind für den politischen Ruin. Heute kann man massiven Schaden anrichten – und was passiert? Nichts. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Rücktritte von Ministern und Spitzenpolitikern sagen viel über eine Gesellschaft und ihre Normen aus. Muss ein Minister wegen privaten oder professionellen Fehlverhaltens zurücktreten, zeigt sich, dass ein Verstoß gesellschaftlich sanktioniert wird und nicht folgenlos bleibt.

Anders herum: Es sagt viel über Prioritäten und Schmerzgrenzen einer Gesellschaft, wenn ein Minister trotz massivster Verschleuderung von Steuergeldern nicht zurücktreten muss. Glücklicherweise hat sich in einigen Bereichen über die Jahre viel verändert.

Reichte in den 50er Jahren ein uneheliches Kind für den gesellschaftlichen und politischen Ruin, so hat Horst Seehofer 2007 die Enthüllung über eine uneheliche Tochter selbst im katholischen Bayern nicht geschadet.

Seit den 90er Jahren werden Vergünstigungen von Unternehmen für Politiker streng geahndet – damit hatte sich Franz-Josef Strauß Jahrzehnte zuvor noch gebrüstet. Bundespräsident Christian Wulff wurde auch wegen eines geschenkten Bobbycars zum Rücktritt gedrängt.

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Über das Vergehen eines Wirtschaftsministers Jürgen Möllemann muss man heute fast lächeln: Er hatte sich für einen Plastikchip für Einkaufswagen seines angeheirateten Vetters stark gemacht – allerdings auf dem Briefkopf des Ministeriums. Darum musste er zu Recht 1993 zurücktreten

Diese Vermischung von Amt und Privatleben geht schon lange nicht mehr. Beim minimalen Verdacht persönlicher Vorteilsnahme vergibt diese Gesellschaft nichts.

Das Wohl der Partei über das Wohl des Volkes gestellt

Wenn ein Minister allerdings in seiner Amtsausübung massiven Schaden anrichtet– sehendes Auges und trotz vieler Warnungen – , wenn er als Minister das Wohl seiner Partei über das Wohl der Bürger der Bundesrepublik stellt, dann droht ihm in der bundesdeutschen Gesellschaft des Jahres 2021 – gar nichts.

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) als Zeuge im Maut-Untersuchungsausschuss des Bundestags am Donnerstag.
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) als Zeuge im Maut-Untersuchungsausschuss des Bundestags am Donnerstag.
© dpa

Verkehrsminister Andreas Scheuer ist so ein Fall. Er hat einen Amtseid abgelegt, dass er Schaden vom deutschen Volk abwendet.

Dann aber hat er ein Prestigeprojekt seiner Partei, die Autobahnmaut, wider alle Argumente kurz vor einem entscheidenden EU-Gerichtsurteil durchgepeitscht, womöglich Vergabe- und Haushaltsrecht verletzt – Politiker der „Grünen“ sprechen von fast schon krimineller Energie.

Das alles wird vom direkten Vorgesetzten, CSU-Chef Söder, und der Kanzlerin akzeptiert, aus koalitionsarithmetischen Überlegungen. Geht auch, weil es keinen gesellschaftlichen Druck gibt. Das ist das eigentlich Interessante.

Offensichtlich ist keine Schamschwelle überschritten – in einer Gesellschaft, in der das Erregungspotenzial andernorts ständig wächst. Entweder ist die Bevölkerung so abgestumpft – der BER-Skandal hatte ja auch schon keine politischen Konsequenzen; oder diese Art von Fehlverhalten ist nicht personalisiert und emotionalisiert genug. Ein Freifahrtschein für verantwortungslose Politik - auch in Zukunft.

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