Linke vor Europawahl: Sahra Wagenknecht: Die AfD verachtet die Schwachen
Bei der Bundestagswahl hat die Linke überproportional viele Stimmen an die AfD verloren. Jetzt kritisiert die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht die Euro-kritische Partei - und wirft ihren eigenen Genossen vor, bisher mit dem Thema falsch umgegangen zu sein.
Ein halbes Jahr vor der Europawahl hat die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) scharf attackiert. In einem Beitrag für die "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform" schrieb die stellvertretende Partei- und Fraktionsvorsitzende, es handele sich bei der AfD um eine "national-liberale Partei, die den Ausleseprozess des Marktes verherrlicht und das neoliberale Regime radikal verteidigt". Im Weltbild der Partei müsse der "Leistungsträger" vor dem "Nutzlosen" geschützt werden. Wagenknecht war selbst lange Jahre Wortführerin der KPF, einer Gliederung am linken Rand der Partei.
Wagenknecht griff namentlich Konrad Adam an, der frühere "FAZ"-Journalist ist einer der Vorstandssprecher der AfD. Dieser wolle Arbeitslosen das Wahlrecht entziehen, schrieb sie. "Die Verachtung des Schwachen ist ein geistiges Bindeglied zwischen Neoliberalismus und völkischem Nationalismus." Die Linke und die AfD befänden sich daher "ideologisch klar in einem antagonistischen Verhältnis". Die Sorge, Linke und AfD könnten in einen Topf geworfen werden, sei deshalb "von Anfang an unverständlich" gewesen. Allerdings gab die Linken-Politikerin zu, dass "einige Forderungen in Bezug auf die Euro-Krise ähnlich" seien. Doch das den Forderungen zugrunde liegende Politikverständnis bleibe völlig anders. Im Frühjahr hatte Wagenknechts Lebensgefährte, der frühere Parteivorsitzende Oskar Lafontaine, einen geordneten Ausstieg aus dem Euro ins Gespräch gebracht.
Kritik an der Wahlkampfstrategie der Linken zur Euro-Krise
Wagenknecht kritisierte in ihrem Aufsatz für die Mitteilungen der KPF auch den Umgang der eigenen Partei mit dem Thema. Die Linke habe im Bundestagswahlkampf darauf verzichtet, zu Bankenrettungen und Euro-Krise Stellung zu beziehen - "und das, obwohl sie im Bundestag als einzige Partei die so genannten Rettungspakete konsequent abgelehnt hatte". Stattdessen habe dann die AfD zu diesem Thema plakatiert mit Slogans wie "Die Griechen leiden. Die Deutschen zahlen. Die Banken kassieren." In der Folge seien bei der Bundestagswahl 30 Prozent der verloren gegangenen Linke-Stimmen zur AfD gewandert.
Tatsächlich hatte die Linke nach einer Analyse der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung 360.000 Stimmen an die AfD verloren, so viele wie sonst nur an die SPD. Ins Nichtwähler-Lager gingen demnach 310.000 Stimmen, an die CDU 160.000 Stimmen und an die Grünen 30.000 Stimmen. Bei der Europawahl gelte es hier anzusetzen, forderte Wagenknecht. "Nur wenn das gelingt, kann die AfD zukünftig klein gehalten und in ihrer Gefährlichkeit wirksam bekämpft werden." Den Bundestagswahlkampf für die Linke gemanagt hatte Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn, der zum Reformerflügel der Partei gehört.
Wagenknecht-Vertraute wollen ins Straßburger Parlament
Der Parteivorstand der Linken debattiert an diesem Wochenende den Entwurf für ein Programm zur Europawahl am 25. Mai. Für die Linken-Liste zur Europawahl, die im Februar auf einem Parteitag in Hamburg aufgestellt werden soll, gibt es bereits mehrere Dutzend Bewerbungen. Eine erneute Kandidatur angekündigt haben alle acht jetzigen Europaabgeordneten der Partei, darunter die Delegationsleiterin Gabi Zimmer, Ex-Chefin der PDS. Ins Straßburger Parlament wollen auch mehrere Linken-Politiker aus dem Umfeld von Wagenknecht, darunter ihre Büroleiterin im Bundestag, Ruth Firmenich, sowie der Friedens-Aktivist Tobias Pflüger, für den sich Wagenknecht bereits vor der Europawahl 2009 eingesetzt hatte. Auch Wagenknechts Ex-Ehemann Ralph Niemeyer hat eine Bewerbung eingereicht. Aus dem Lager der Realpolitiker bemüht sich der langjährige PDS-Vordenker André Brie um ein Comeback. Wagenknecht selbst war von 2004 bis 2009 eine Legislaturperiode lang Europaabgeordnete der Linken.
Bei der Bundestagswahl war die AfD mit 4,7 Prozent der Stimmen relativ knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert. Bei der Europawahl gilt nach einem Beschluss des Bundestages vom Juni für deutsche Parteien nur eine Drei-Prozent-Sperrklausel, die für die AfD nach gegenwärtiger Stimmungslage vermutlich kein Hindernis ist. Anders als die Piraten will die AfD auf eine Klage gegen die Dreiprozenthürde verzichten.
Matthias Meisner