Die Kanzlerin im Bürgerdialog: „Sagen Sie das mit dem Impfen auch Ihren Kumpels“
Wie Angela Merkel im Mehr-Generationen-Bürgerdialog für ihr derzeit wichtigstes Thema kämpft – und warum sie sich am meisten um die sorgt, die ganz still sind.
Bevor Angela Merkel Joe Biden besucht, trifft sie Frau Gudrun Born, 90 Jahre alt, sieben Enkelkinder. Die Dame aus Frankfurt sitzt vor ihrem Bildschirm und berichtet der Kanzlerin, dass trotz ihres bewegten Lebens so eine Pandemie, das Abgeschnittensein, fern ihrer Vorstellungskraft gewesen sei.
Merkel will angesichts des Alters wissen, ob in ihrer Familie auch damals viel über die Spanische Grippe gesprochen worden sei, die Millionen Menschenleben gekostet hat. Frau Born ist etwas verdutzt: „Nein, die spanische Grippe hat keine Rolle gespielt.“
Merkel hat vor der Reise zu ihrem letzten USA-Besuch als Kanzlerin zu einem ungewöhnlichen Bürgerdialog geladen, zu einem virtuellen Mehr-Generationen-Gespräch.
Was Gudrun Born denn der Politik mit auf den Weg gebe? „Man sollte endlich lernen, das Pflegedickicht zu durchforsten“, sagt Born und etwas gegen die finanziellen Belastungen der pflegenden Angehörigen tun. „Armut durch Pflege muss vom Tisch“, sagt Born. Merkel: „Ein klarer Auftrag.“
Eine Heimbewohnerin aus Weimar berichtet davon, wie schwer die Trennung von ihrem Mann war. Seit über 60 Jahren seien sie verheiratet, aber er muss in einem anderen Gebäude der Einrichtung intensiv betreut werden. Es wurde die Idee der Balkonkonzerte am Donnerstag geboren, da konnte sie ihn in der Pandemie sehen: „Für uns war der Donnerstag jetzt der Sonntag.“
Ein Rentner berichtet, wie er mit einer Lungenentzündung in das Krankenhaus kam und sich dort mit Corona infizierte. Es sind Schicksale, die symptomatisch für diese Zeit sind.
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Merkels A&O-Thema
Aber es geht auch viel um Projekte des Miteinander, Einkaufshilfen junger Leute für Senioren etwa. Und Merkel stellt fest, wer klare Perspektiven, Ziele, Freunde hat, sei besser durch die Zeit gekommen.
„Die, die am meisten Hilfe brauchen, sind ganz still.“ Die sind auch nicht hier bei den ausgesuchten Teilnehmern dabei. Sie betont, wenn alles überstanden sei, müsse man ganz genau hinschauen, angefangen bei Schülern, damit Folgeschäden durch die Pandemie nicht aus dem Blickfeld geraten.
Eine Studienanfängerin von der Leibniz-Uni Hannover berichtet: „Ich studiere seit einem Jahr und war noch kein einziges Mal in der Uni.“ In wenigen Tagen treffe sie das erste Mal einen Kommilitonen in der Bibliothek.
Dann kommt Merkel auf den für sie wichtigsten Punkt zu sprechen, um einen weiteren Lockdown zu verhindern. Das Impfen und Sorgen vor einer zu geringen Impfquote in den nächsten Wochen. Die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer fragt sie fast alle: Wie ist das mit dem Impfen? Die erste Impfung hat es schon gegeben. Merkel: „Schön. Also wenn Sie das auch ihren Kumpels sagen und mit ihren Mitstudenten besprechen, tun Sie was Gutes.“
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"Haben Sie an die Tür getrommelt?"
Es hätten ja alle geschimpft. „Am Anfang hatten wir zu wenig Impfstoff.“ Jetzt sei mehr als genug da. Und Aufklärung sei wichtig, falsche Behauptungen, dass man zum Beispiel nach einer Impfung nicht mehr schwanger werden könnte, sei entgegenzutreten. Eine Schülerin, die gerade Abi gemacht hat, bejaht ebenfalls die Impffrage der Kanzlerin positiv. „Wenn ich mich impfen lasse, wird es auch für andere was bringen“, sagt sie. Heftiges Nicken Merkels.
Sie will dann wissen, was sie denn im Lockdown-Winter gemacht habe, habe sie an die Tür getrommelt oder ein Lied gesungen? Nee, vor allem vor dem Bildschirm gesessen.
Merkel wirkt phasenweise müde, aber sie versucht vor allem Zuversicht zu verbreiten, trotz der Delta-Sorgen. „Viele Leute lassen sich impfen, da ist das A und O.“
Zuvor hat Merkel unter anderem schon mit Kulturschaffenden, Familien mit Kindern, Polizistinnen und Polizisten, ehrenamtlich tätigen Bürgern und Mitarbeitern von Hilfs- und Krisentelefonen solche Gespräche geführt.
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Merkel: Gebt dem Virus keine Nahrung
Als sie gefragt wird, was ihr Zuversicht gegeben habe, betont Merkel, dass so viele bei den Maßnahmen mitgemacht haben. „Wir sind ja kluge Wesen und haben ja viel hinbekommen in der Geschichte der Menschheit.“
So habe man das Virus schnell kennengelernt, auch das habe ihr Zuversicht gegeben. "Wir haben schnell gewusst, was man darf und was nicht." Zudem habe sie schnell gemerkt, dass so viele Menschen Masken getragen und Abstand gehalten und sich ehrenamtlich eingebracht hätten.
Und dass so schnell Impfstoffe, die wirklich den Unterschied machen, zur Verfügung gestanden hätten. Dann geht es weiter, der Flieger nach Washington wartet. „Wenn Sie schon im Bett liegen und schlafen, dann werde ich in Washington ankommen“, sagt Merkel zum Abschied.