„Ein Schlag in die Magengrube“: Sachsens CDU-Jugend warnt vor Schuldzuweisungen an Merkel
Ist die Kanzlerin für das Erstarken der AfD verantwortlich, wie CDU-Berater Werner Patzelt meint? „Ich kann es nicht mehr hören“, entgegnet Sachsens JU-Chef.
Herr Oest, CDU-Landeschef und Ministerpräsident Michael Kretschmer hat der AfD den Kampf erklärt. Bei den Kommunalwahlen und der Europawahl in Sachsen hat das nicht wirklich Wirkung gezeigt. Warum?
Wir wollen als Union den Freistaat weiterhin gestalten und dafür Sorge tragen, dass Sachsen auch in Zukunft lebenswert ist. Konkret stellen wir beispielsweise mehr Lehrer und mehr Polizisten ein. Ich empfehle meiner Partei sich mit konkreten politische Maßnahmen zu beschäftigen, nicht mit politischen Gegnern. Aber in der Tat: Sowohl die Kommunalwahlen als auch die Europawahl waren für uns als Sächsische Union ein Schlag in die Magengrube. Wir sind regelrecht abgestraft worden. Wir müssen feststellen, dass uns in der Fläche die Durchschlagskraft fehlt und wir nicht so tief in der Gesellschaft verankert sind, wie das für eine Volkspartei üblich ist.
Woran zeigt sich das konkret?
Es gibt Gemeinden ohne funktionierende CDU-Ortsverbände. Es ist uns nicht gelungen, flächendeckend Kandidaten für die Kommunalwahl aufzustellen. Wenn ich in der Fläche nicht präsent bin, darf ich mich nicht wundern, wenn Platz für andere politische Kräfte entsteht.
Die AfD ist in Sachsen bei der Europawahl stärkste Kraft geworden, punktete auch landauf, landab auch bei den Kommunalwahlen. Warum bestimmen AfD, rechte Wählerinitiativen und örtlich sogar Rechtsextremisten den Diskurs im Freistaat?
Sachsen war über viele Jahre geprägt von einer rigiden Sparpolitik, der ländliche Raum wurde vernachlässigt. Ich bin studierter Betriebswirtschaftler. Und weiß, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse in Sachsen schlechter sind als in anderen Teilen der Republik. Das bedeutet, dass viele Menschen sich, obwohl sie gearbeitet haben, um ihre Lebensleistung betrogen sehen. Das mündet in Unzufriedenheit. Aber das darf nicht heißen, dass AfD, Pegida und Co. die Debatten bestimmen dürfen. Ich habe schon am Tag nach der Wahl erklärt: Die sogenannten „besorgten Bürger“ sind viel zu lange ernst genommen worden.
Redet also die Union in Sachsen Pegida nach dem Mund? Ist der Dialog mit „Wutbürgern“ sinnvoll?
Es ist richtig, dass wir jedem den Dialog anbieten. Unser Ministerpräsident und CDU Chef Michael Kretschmer ist sehr viel in Sachsen unterwegs und tauscht sich mit den Menschen aus. Es ist aber festzuhalten: Wir machen nicht Politik für diejenigen, die am lautesten grölen. Wir machen Politik für die Leistungsträger, aber auch für diejenigen, denen es nicht so gut geht.
Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt, Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik und inzwischen Berater und Helfer der sächsischen CDU, hat nach dem Wahlsonntag erklärt, es werde Rückenwind für die Union bei der Landtagswahl am 1. September nur geben, wenn die Kanzlerin zurücktritt. Wörtlich: „Ihre Existenz nährt die AfD.“ Sehen Sie das auch so?
Ich kann es bald nicht mehr hören! Ich bin dafür, dass wir über die Dinge sprechen, die wir in Sachsen tatsächlich selbst in der Hand haben. Wenn es heißt, Frau Merkel sei für das Ergebnis der Kommunalwahlen verantwortlich, ist das dann doch sehr weit hergeholt. Ob jemand von uns in Jonsdorf im Zittauer Gebirge in den Gemeinderat einzieht oder nicht, liegt doch in Verantwortung der Sächsischen Union oder der CDU im Landkreis Görlitz. Stets und ständig nach Berlin zu zeigen, gar noch die Bundeskanzlerin verantwortlich zu machen, bringt uns nicht weiter. Professor Patzelt empfehle ich, intensiv an unserem Wahlprogramm zu arbeiten. Aber er sollte aufhören, in Richtung Berlin schlaue Tipps zu geben. Berlin ist für uns kein Alibi, auch nicht für die bevorstehende Landtagswahl.
Gerade junge Leute werden von der Union immer schlechter erreicht. Was läuft falsch?
Wenn ich junge Wähler erreichen möchte, muss ich auch junge Kandidaten zulassen. Da hat die Union in Sachsen sehr viel Nachholbedarf. Wir haben talentierte junge Mitglieder, aber es fehlt in vielen Ortsverbänden die Bereitschaft, diese zu integrieren. Sie dürfen nicht nur gefragt sein, wenn es ums Plakatieren geht oder ums Grillen von Würstchen.
Kretschmer hat nach der Landtagswahl erklärt, Grüne und AfD könnten keine Kompromisse schließen, würden „nur ihre eigene Position als das Absolute sehen“. Können Sie diese Äußerung nachvollziehen?
Absolut. Weder links – mit grünem Anstrich – noch die Krawallmacher mit blauem Anstrich wollen tatsächlich politische Verantwortung übernehmen. Sowohl die Grünen als auch die AfD ergötzen sich doch nur daran, Fehler der Sächsischen Union herauszuarbeiten. Ganz klar: wir haben in 29 Jahren Regierungsverantwortung auch Fehler gemacht. Wichtig dabei ist aber, dass wir seit dem Amtsantritt von Michael Kretschmer unsere Fehler korrigieren und ein ganz ausgeprägtes Verantwortungsgefühl für die Menschen im Freistaat haben.
Sind die Grünen nicht potenzieller Partner der CDU? Für Schwarz-Rot dürfte es nach dem 1. September nicht mehr reichen, oder?
Es ist noch mehr als drei Monate hin bis zur Landtagswahl. Wir sollten aufhören, uns mit möglichen Koalitionspartnern zu beschäftigen. Wir sind noch mitten dabei, kluge Ideen für die Zukunft aufzuschreiben, unser Wahlprogramm zu erstellen. Im Juli und August geht es in der heißen Phase des Wahlkampfs darum, die Menschen von uns, von unserem Spitzenkandidaten Michael Kretschmer zu überzeugen.
Aber eine Zusammenarbeit mit der AfD lehnen Sie strikt ab, da sind Sie d’accord mit Kretschmer?
Ich stamme aus Görlitz, ich kenne diese Leute. Menschen, die unseren Ministerpräsidenten Michael Kretschmer als „Volksverräter“ bezeichnen, die mit dem Galgen die Kanzlerin präsentieren - das ist keine politische Kraft, die den Grundsätzen des Anstands entspricht. Die schließen wir tatsächlich als Koalitionspartner aus.
Ein Satz noch zum Youtuber Rezo?
(Atmet laut aus.) Wenn ich zu Rezo ein Video ankündige und das Hashtag des Tages habe, muss ich das dann auch senden. Die Bundespartei hat dabei bewiesen, dass es ihr an Verständnis für soziale Medien und das Internet fehlt. Die klassischen Medien von Tageszeitung bis Tagesschau sind nicht mit den sozialen Netzwerken vergleichbar.
Florian Oest (31) ist seit April 2019 Landesvorsitzender der Jungen Union Sachsen & Niederschlesien.