Streit über Rundfunkbeitrag: Sachsen-Anhalts Innenminister Stahlknecht nach Interview gefeuert
Die politische Krise in Magdeburg spitzt sich zu. Ministerpräsident Haseloff entlässt den Innenminister und beklagt ein „schwer gestörtes Vertrauensverhältnis“.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hat Landesinnenminister Holger Stahlknecht (beide CDU) entlassen. Haseloff begründete dies am Freitag in Magdeburg mit einem schwer gestörten Vertrauensverhältnis. Stahlknecht ist auch CDU-Landeschef.
Stahlknecht habe während der laufenden Bemühungen des Ministerpräsidenten, die Kenia-Koalition im Streit um den Rundfunkbeitrag zu stabilisieren, unabgestimmt und "öffentlich den Koalitionsbruch und die Möglichkeit einer allein von der CDU gebildeten Minderheitsregierung in den Raum gestellt", kritisierte Haseloff.
Der Hintergrund: Die CDU in Sachsen-Anhalt spricht sich gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent aus. Genauso wie die AfD in dem Bundesland. Grüne und SPD - die in Magdeburg gemeinsam mit der CDU regieren - werfen der CDU vor, gemeinsame Sache mit der AfD zu machen. Seit Tagen wird deshalb über einen Koalitionsbruch in dem Bundesland spekuliert.
Stahlknecht hatte in einem Interview mit der „Magdeburger Volksstimme“ auf die Frage, ob die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt über dem Gebührenstreit zerbricht, gesagt: „Wir [die CDU, Anm. d. Red.] bleiben bei unserer Position. Der Ball liegt jetzt im Feld von SPD und Grünen. Ich gehe davon aus, dass sich beide ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst sind und nicht von sich aus die Koalition beenden.“
Falls doch, käme es „zu einer CDU-Minderheitsregierung und zur regulären Landtagswahl am 6. Juni 2021“, hatte Stahlknecht in Aussicht gestellt.
„Politische Stabilität“ von CDU-Vorsitzender gefordert
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat die schwarz-rot-grüne Koalition in Sachsen-Anhalt nach der Entlassung von Stahlknecht zu Stabilität aufgerufen. „Ich hoffe, dass in Sachsen-Anhalt alle verantwortlichen Kräfte gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten für politische Stabilität sorgen“, sagte die Bundesvorsitzende am Freitag in Berlin der Deutschen Presse-Agentur.
Dafür habe Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) entsprechende Vorschläge gemacht. „Die Entscheidung liegt jetzt insbesondere bei SPD und Grünen, die sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst werden müssen.“
Der Koalitionspartner SPD hat die Entlassung von Stahlknecht durch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff begrüßt. „Wir haben die Entscheidung des Ministerpräsidenten mit Respekt zur Kenntnis genommen“, teilte Fraktionschefin Katja Pähle am Freitag mit.
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„In einer Zeit, in der die Demokratie innerhalb und außerhalb der Parlamente bekämpft wird, kommt es besonders auf Haltung an“, so Pähle. „Reiner Haseloff hat heute Haltung gezeigt.“ Die Entlassung Stahlknechts zeige, dass der Regierungschef „den Auftrag an diese Koalition ernst nimmt, in schwieriger Lage demokratische Mehrheiten sicherzustellen“.
Ranghoher Grüner befürchtet Rechtsdrift der CDU in Sachsen-Anhalt
Der politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, hat die Bundes-CDU im Magdeburger Streit um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags zuvor zum Eingreifen aufgefordert. „Ich hoffe sehr, dass die CDU im Bund noch irgendeinen ordnenden Einfluss hat, damit die CDU in Sachsen-Anhalt in der Mitte bleibt und nicht nach rechts abdriftet“, sagte Kellner dem „Handelsblatt“. „Wir sind in ernsthafter Sorge.“
Die Grünen in Sachsen-Anhalt hätten gemeinsam an der Seite von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) die Kenia-Koalition vier Jahre lang „durch viele Stürme geführt und gegen alle Angriffe des AfD-Flügels der CDU verteidigt“. Kellner sieht die CDU als stärkste Regierungspartei in Sachsen-Anhalt in einem Machtkampf.
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„Da geht es nicht um 86 Cent mehr an Rundfunkgebühren, sondern um den Versuch, den eigenen Ministerpräsidenten zu beschädigen und die Tür zu einer Minderheitsregierung, die von der AfD toleriert wird, aufzustoßen.“
Wegen des Streits in der Koalition wurde das Votum des Ausschusses für die Landtagsabstimmung am 15. Dezember vor einigen Tagen um eine Woche auf den 9. Dezember vertagt. Zeit, die Ministerpräsident Haseloff nutzen wollte, um seine Koalition zu retten. Die verfahrene Lage hat auch zu Verstimmungen in der Bundes-CDU geführt.
Die Auseinandersetzung in Magdeburg ist allerdings komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheint. Die CDU im Bundesland spricht sich seit Jahren gegen eine Erhöhung der Rundfunkgebühren aus. Die AfD sei erst später auf den Zug aufgesprungen, heißt es aus Fraktion und Partei.
„Beitragsstabilität“ eigentlich ausgemacht in Kenia-Koalition
Zudem haben eigentlich auch SPD und Grüne im Koalitionsvertrag eine Einigung auf „Beitragsstabilität“ unterschrieben. Allerdings fehlt dort ein Passus, wie man sich verhält, wenn die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) – wie geschehen – die erste Beitragserhöhung seit elf Jahren empfiehlt.
Der empfohlenen Erhöhung müssen alle Länderparlamente zustimmen. 14 haben schon zugestimmt, Thüringen wird dies wohl noch tun.
Dass die Union in Sachsen-Anhalt schon lange gegen die Erhöhung ist, betonte auch Stahlknecht noch einmal im Interview mit der „Magdeburger Volksstimme“: „Die CDU hat klare Positionen. Von denen sie nicht deshalb abrückt, nur weil die AfD sich mit diesen gemein macht.“
Und er holte zum Gegenschlag aus. Den Koalitionspartnern von SPD und Grünen warf er im Gebührenstreit „eine Pervertierung der Demokratie“ vor.
Nicht nur über diese Worte wird in Magdeburg in den kommenden Tagen noch heftig gestritten werden. Stahlknecht monierte - ohne ersichtlichen Grund - Gendersprache und eine um sich greifende Unterdrückung politisch unkorrekter Witze. Er beklagte zudem die „Moralisierung einer intellektuellen Minderheit“. Stahlknecht warnte davor, dass sich eine „verkniffene Gesellschaft“ entwickle. Verantwortliche machte der CDU-Chef dafür implizit auch die Koalitionspartner und ihr politisches Milieu.
In der SPD stießen die Äußerungen denn auch umgehend auf Kritik. Prominente SPD-Politiker wie Kevin Kühnert und Niels Annen warfen Stahlknecht „AfD-Duktus“ und „Erpressung“ vor; er bereite mit seinen Worten eine von der AfD tolerierte Minderheitsregierung vor. Die SPD in Sachsen-Anhalt sprach von einem „Dammbruch“.
Nun könnte es heißen: Haseloff gegen Stahlknecht
Neben der Auseinandersetzung in der Koalition bricht für Haseloff nach dem Stahlknecht-Interview aber noch eine weitere Front auf. Der Ministerpräsident könnte sich einer Opposition aus der eigenen Partei gegenüber sehen. Denn auch die CDU-Fraktion im Landtag ist stramm auf Linie von Stahlknecht. Unwahrscheinlich, dass sie im Gebührenstreit von ihrer Position abrückt. Kommt es nun zu einem Misstrauensvotum? Muss dann Haseloff selbst gehen?
Dem Ministerpräsident und der Koalition wiederrum stärkten kurz nach dem Rauswurf von Stahlknecht mehrere CDU-Landräte den Rücken. "Das Land braucht jetzt Stabilität!", schreiben sie zusammen mit Kollegen von SPD und Linke in einem offenen Brief. Doch dafür könnten sich alle Seiten schon zu unversöhnlich gegenüber stehen. Am Rand steht lachend die AfD. (mit dpa, rec)
Korrektur: In einer vorherigen Version war von acht CDU-Landräten die Rede, die Haseloff unterstützen. Es sind tatsächlich drei, die anderen sind in anderen Parteien.