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Ist gegen die Erhöhung: Markus Kurze, CDU-Landtagsabgeordneter.
© Christian Schroedter/imago images

Politikrimi um Rundfunkbeitrag: Fünf Szenarien, was in Sachsen-Anhalt nun passieren kann

Es geht um viel: die bundesweite Erhöhung des Rundfunkbeitrags, die Kenia-Koalition. Und um die Macht der AfD. Beobachtungen aus dem Landtag in Magdeburg.

Markus Kurze ist keiner, der die klare Kante scheut, das zeigt schon sein Mund-Nasen-Schutz. Eine schwarze Maske, darauf der weiße Bullenschädel, das Symbol des größten Heavy-Metal-Festivals der Welt in Wacken.

Ob die CDU doch noch der Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent auf 18,36 Euro im Monat zustimmt? „Nein, schließe ich aus“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt. Er und die anderen Kenia-Koalitionäre stehen mal wieder am Abgrund.

Nun versuchen sie, mit vereinten Kräften, die Bombe von Magdeburg noch zu entschärfen. Selten ist eine Sitzung des Medienausschusses dieses Landtags von so großem, bundesweiten Interesse. Wegen Corona ist man in die Landtagskantine ausgewichen, jeder Abgeordneter hat einen eigenen Tisch, dazwischen ein guter Meter Abstand.

Gleich zwei Mal tagte der Koalitionsausschuss am Dienstag, am Mittwoch gelingt es CDU, SPD und Grünen im Ausschuss Zeit zu gewinnen, so wie von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gewünscht. Das wegweisende Votum des Ausschusses für die Landtagsabstimmung am 15. Dezember wurde um eine Woche auf den 9. Dezember vertagt.

Einigungswillen und Ratlosigkeit

Doch eine Woche ist fast nichts: Daher zeigen einige Koalitionäre auch deutlich auf Haseloff, der zwar unter dem Vorbehalt der Parlamentszustimmung dem neuen Rundfunkstaatsvertrag und der Beitragserhöhung zustimmte, aber in der Sache kaum was unternahm, um eine Einigung zu finden.

Kurze steht nach der Ausschusssitzung in der lichtdurchfluteten Kantine des Landtags, der etwas traurige Weihnachtsbaum mit vielen Leerstellen und spärlichem Kerzenschmuck passt zur trüben Stimmung in der Kenia-Koalition. Wer mit den führenden Lösungssuchern spricht, erkennt vor allem eins: Einigungswillen und Ratlosigkeit.

„Von der politisch-ideologischen Debatte sind wir wieder in der Sachdebatte angelangt“, lobt Kurze. Will heißen, es werde jetzt weniger über eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD geredet, das Ziel ist eine Lösung, bei der es auf die AfD nicht ankommt.

Auf einem Tisch liegt ein Anschreiben und Überweisungsträger für die Rundfunkgebühren.
Auf einem Tisch liegt ein Anschreiben und Überweisungsträger für die Rundfunkgebühren.
© Nicolas Armer/dpa

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist richtig und wichtig. Aber er ist über Jahrzehnte zu groß und zu teuer geworden.“ Er bekomme dazu gerade viele Zuschriften, die seine Linie stützen. Kurze ist auch der Medienpolitische Sprecher und Vorsitzender der Landesmedienanstalt Sachsen-Anhalt, seit 27 Jahren in der CDU ein Unterstützer der Öffentlich-Rechtlichen.

Aber „die, die hart arbeiten gehen, wollen auch, dass genug Geld in ihrer Tasche bleibt“. Keiner sollte versuchen, anderen Belehrungen zu machen. Die Bundes-CDU mischt sich bisher bewusst nicht ein, das mediale Schwingen der „Nazi-Keule“ von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil wegen eines möglichen Kippens der Beitragserhöhung durch CDU und AfD in Magdeburg halten sie dort aber für ein grobes Foulspiel.

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Auch weil dieser Fall keineswegs mit Thüringen zu vergleichen sei, wo die Wahlverlierer von der CDU mit der AfD den FDP-Mann Thomas Kemmerich in das Amt des Ministerpräsidenten hievten. Und zum anderen weil die CDU in Sachsen-Anhalt das Ziel der „Beitragsstabilität“ bei den Fernseh- und Rundfunkgebühren schon lange verfolgt, also keine AfD-Position aufgreift.

Fehlender Passus im Koalitionsvertrag

Und die Einigung auf „Beitragsstabilität“ haben SPD und Grüne auch im Koalitionsvertrag auf Seite 136 unterschrieben – dort fehlt ein Passus, wie man sich verhält, wenn die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) – wie geschehen – die erste Beitragserhöhung seit elf Jahren empfiehlt.

Vertreter von SPD und Grünen räumen in Magdeburg zerknirscht ein, schlecht an dieser Stelle verhandelt zu haben. Dass beide Partner nun für die Erhöhung stimmen wollen, bringt Kurze in Rage: „Wer bringt uns denn in diese Situation? Ich hab‘ das noch nie erlebt, wenn man sich an einen Vertrag hält, dass diejenigen, die sich nicht daran halten und das plötzlich anders interpretieren, von uns verlangen, sich zu erklären“, sagt Kurze.

Bisher zeichnen sich in diesem Polit-Krimi fünf Möglichkeiten ab:

  • Eine Einigung der Kenia-Koalition. Die Grünen schlagen vor, den Rundfunkstaatsvertrag, der ab 1. Januar in Kraft treten soll, zu billigen, aber wegen der Corona-Folgen die Beitragserhöhung erstmal bundesweit zu verschieben. Das würde das Problem bis zur Landtagswahl im Juni vertagen.
  • Haseloff wird aufgefordert neu zu verhandeln, er hat ja nur unter dem Vorbehalt der Parlamentszustimmung im Kreis der Ministerpräsidenten zugestimmt. Aber das Unterfangen erscheint aussichtslos. Und das Ergebnis wäre ähnlich: Erstmal keine Beitragserhöhung.
  • Haseloff versucht seine CDU-Fraktion auf Linie zu bringen, etwa durch das Stellen der Vertrauensfrage, ein Teil stimmt gegen den Erhöhung, aber mindestens 12 der 30 CDU-Abgeordneten müssten dann mit Linkspartei, SPD und Grünen für Staatsvertrag und die Beitragserhöhung stimmen, um eine Mehrheit gegen die Beitragserhöhungsgegner von AfD, fraktionslosen Abgeordneten und Teilen der CDU zu haben.
  • Die Koalitionäre verständigen sich, wie in solchen Situationen üblich, wo wie hier Grüne und SPD vom Koalitionsvertrag abweichen wollen oder ihn anderes interpretieren, auf eine Enthaltung. Dann würde aber die AfD gegen die Stimmen der Linkspartei die Erhöhung kippen.
  • Keine Einigung, die Koalition zerbricht, der Medienausschuss empfiehlt die Ablehnung von Staatsvertrag und Beitragserhöhung um 86 Cent im Monat. CDU und AfD stimmen gemeinsam im Parlament ab, die CDU hat auch im Bund ein großes Problem. Ministerpräsident Haseloff und CDU-Landeschef Holger Stahlknecht stünden vor einem Scherbenhaufen.

14 Parlamente haben schon zugestimmt, Thüringen wird dies noch tun. Aber kaum ein Szenario in Sachsen-Anhalt deutet auf ein Abnicken der Erhöhung hin. Wenn aber das Ganze dann nur an Sachsen-Anhalt scheitert, sind Klagen von Anstalten und anderen Ländern von dem Bundesverfassungsgericht sehr wahrscheinlich. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Kurzes CDU-Kollege Marco Wanderwitz, betont, 2009 bis 2015 habe der Beitrag bei 17,98 Euro gelegen. „2015 Senkung“ um 48 Cent, nach mehr als fünf Jahren ist die Erhöhung um weniger als 1 Euro maßvoll“, twittert er.

Kurze sagt dazu: „Das ist so in der Demokratie, das muss eine Demokratie aushalten, da muss es auch welche geben, die mal Nein sagen.“ Wenn der Staatsvertrag nicht komme, bleibt der Alte bestehen und der Beitrag bei 17,50 Euro.

„Wir mischen uns ja in Berlin auch nicht ein. Hier geht nicht um die große Politik, sondern um ein Sachthema.“ Aber groß ist das Thema inzwischen schon, zumindest was Aufregung und Auswirkungen des Votums betrifft. Bei der Abstimmung in Sachsen-Anhalt geht es ja nicht um 89 Cent im Monat, „sondern um insgesamt 1,5 Milliarden“, räumt Kurze mit Blick auf den festgestellten Finanzierungsbedarf über mehrere Jahre ein

Rechnungen für Bestellungen der Politik

Der SPD-Abgeordnete Holger Hövelmann sagt es im Gespräch mit dem Tagesspiegel so: „Das ganze Land schaut auf uns.“ Das was jetzt auf dem Tisch liege, sei aber letztlich die Rechnung für die Bestellungen, die die Politik in der Vergangenheit gemacht habe.

„Die KEF hat ja nicht ermittelt, was die Öffentlich-Rechtlichen gerne hätten, sondern was haben die Regierungen, die Parlamente, also auch wir, (…) dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk in Gesetze reingeschrieben und was brauchen Sie dafür.“

Von daher sei das mit der Beitragsstabilität so gemeint, dass die SPD natürlich die Menschen nicht über Gebühr belasten wolle, aber dem Rechnung zu tragen sei. Zugleich mahnt auch er mehr Reformen an: Klar gebe es Übertreibungen bei den Intendantengehälter und Doppelstrukturen.

Aber auch das ist durch Gremien entschieden worden. Und in vielen haben CDU-, SPD- und Grünen-Politiker großen Einfluss. Er rechnet mit einer Klagewelle, sollte das an Sachsen-Anhalt scheitern: „Wenn alle die 2. Ausfahrt rechts nehmen und Sachsen-Anhalt kurz vor der Abfahrt sagt, nee, wir biegen aber links ab, stellt sich doch gleich die Frage: Ist das überhaupt rechtlich möglich?“

Unter Druck: Ministerpräsident Reiner Haseloff, CDU.
Unter Druck: Ministerpräsident Reiner Haseloff, CDU.
© Christian Schroedter/imago images

Der Wacken-Fan Kurze glaubt, dass viele Bürger auf seiner Seite seien. „Eigentlich habt ihr Recht, aber so richtig trauen wir uns nicht, das öffentlich zu sagen“, würde er immer wieder hören.

Wie lange hält die Brandmauer zu den Rechten?

Aber gerade auch der Wahltermin im Juni, die starke AfD, all das erhöht den Druck, hier standhaft zu bleiben. Nur mit Mühe hat Ministerpräsident Haseloff bisher die Brandmauer zu den Rechten aufrecht erhalten können, je nach Mehrheitsverhältnissen droht diese ganze Frage nach der Wahl wieder mit voller Wucht auszubrechen.

Landeschef Holger Stahlknecht hat immer wieder Mühe, den Laden zusammenzuhalten. Angesprochen darauf, dass Kenia auch nach der im Juni anstehenden Landtagswahl wieder die einzige Variante mit einer Mehrheit gegen AfD und Linke sein könnte, flüchtet Kurze sich in Zweckoptimismus: Vergesst mir nicht die FDP.

Warum ausgerechnet er die notwendige Ausstattung besser als die KEF oder die anderen Landesparlamente beurteilen könnte? „Wir arbeiten seit 2004 deutschlandweit an der Frage, wie können wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukunftsfest machen. Wir sind hier in einer Demokratie und wenn es hier keine Mehrheit dafür gibt, dann ist das so.“

Das neue Ziel: Mit CDU und Grünen einen gemeinsamen Antrag zu erarbeiten, „um die aktuelle Corona-Krise mit einzuarbeiten“. Das ist aus seiner Sicht die goldene Brücke.

Akzeptanz bei "Otto Normalverbraucher"

Wegen der Verwerfungen müssten viele Bürger den Gürtel enger schnallen, daher sei die Erhöhung nicht vermittelbar – die Gegenseite argumentiert, dass gerade die gute Berichterstattung und Information in der Pandemie den Bedarf eines gut finanzierten Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks unterstreiche. 

Es gehe hier aber vor allem um Akzeptanz bei Otto Normalverbraucher. Und gerade kleine, mittelständische Unternehmen seien durch die Umstellung von der GEZ-Gebühr auf den festen Beitrag stärker belastet worden.

„Das muss man auch mal sehen.“ Er sei froh, dass die Debatte jetzt richtig Fahrt aufnehme. Ein paar Meter entfernt steht Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann im Kantinensaal, sie sieht nicht so froh aus, dass die Debatte solche wuchtige Fahrt aufgenommen hat.

Die Grünen-Fraktionschefin setzt auf "Fantasie"

„Wir sind der letzte Landtag, der jetzt hier vor diesem Staatsvertrag steht“, sagt sie. Sie will zumindest den Vertrag retten. Auch wenn nur eine Woche bleibt und es wie Quadratur des Kreises wirkt: Sie muss etwas schmunzeln, bei der Frage, ob ihr nicht langsam die Fantasie für eine Lösung fehle: „Wenn Sie viereinhalb Jahre Kenia Revue passieren lassen, dann ist die Fantasie etwas größer.“

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