Landtagswahl: Sachsen-Anhalt wählt die Kenia-Koalition
Novum im Nachkriegsdeutschland: In Sachsen-Anhalt kommen CDU und SPD nicht auf eine Regierungsmehrheit - und müssen die Grünen ins Boot holen.
Die schwarz-rote Koalition hat im künftigen Landtag von Sachsen-Anhalt keine Mehrheit mehr. Zwar ist die CDU weiterhin mit knapp 30 Prozent stärkste Partei, kommt aber gemeinsam mit der deutlich abgeschlagenen SPD nur noch auf rund 40 Prozent der Stimmen. Zweitstärkste Kraft im neuen Magdeburger Landtag ist die AfD, die mehr als 24 Prozent der Stimmen erreichte. Knapp über die Fünfprozenthürde schaffen es die Grünen, die als Mehrheitsbeschaffer benötigt werden.
Der Kommentar des CDU-Spitzenkandidaten und Ministerpräsidenten Reiner Haseloff: Der Eintritt der AfD ins Landesparlament sei "schmerzlich", der Verlust der Regierungsmehrheit von Schwarz-Rot "nicht gut". Eine Koalition mit der AfD schließt er aus. Und doch: "Ohne die CDU kann keine Regierung gebildet werden." Der CDU-Politiker behauptet, die AfD-Wähler werde er in fünf Jahren "zurückholen".
Immerhin, ein gutes Resultat gibt es: Die Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt ist wieder gestiegen. Sie lag nach den Zahlen des Statistischen Landesamtes mit 61,1 Prozent so hoch wie seit 1998 nicht mehr. Bemerkenswert war das schon deshalb, weil noch vor wenigen Tagen 43 Prozent der Wahlberechtigten laut Umfrage erklärt hatten, ihre Wahlentscheidung sei noch nicht sicher.
Mancher hoffte deshalb, die rechte AfD würde nicht so gut abschneiden wie von den Demoskopen vorausgesagt. Ein Blick in die Statistik vergangener Wahlen gab einen Hinweis darauf, dass das Gegenteil der Fall sein könnte. 1998 war die Wahlbeteiligung mit 71,5 Prozent so hoch wie bei keiner Landtagswahl in diesem Bundesland vorher und nachher. Und die rechtsextreme DVU zog damals mit 12,9 Prozent aus dem Stand ins Magdeburger Landesparlament ein. Auch diesmal hat eine vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung nicht dazu geführt, einen Wahlerfolg der rechten AfD zu verhindern. AfD-Spitzenkandidat André Poggenburg jubelt: Die Menschen hätten "Protest und Unmut nicht nur auf die Straße gebracht, sondern auch in die Wahlkabinen". Die AfD sei als Opposition ins Rennen gegangen und wolle nun Opposition sein.
AfD schöpfte Protestwahlpotenzial voll aus
Die Forschungsgruppe Wahlen analysierte am Abend, der AfD sei es gelungen, das große Protestwahlpotenzial des Landes "voll auszuschöpfen". Fast jeder vierte der AfD-Wähler beurteile seine eigene wirtschaftliche Lage als schlecht, im Land insgesamt sind das nur elf Prozent. Fast die Hälfte der AfD-Wähler wollten vor allem den anderen Parteien "einen Denkzettel verpassen".
Es war ein riskantes Kalkül des seit 2011 amtierenden Ministerpräsidenten, im Wahlkampf nicht auf klare Abgrenzung zur AfD zu setzen. Zwar schloss seine Partei eine Koalition mit der rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Partei aus. Doch Haseloff sagte auch Dinge wie: "Ein Teil der Bevölkerung hat die Absicht, diese Partei zu wählen. Damit muss man sich auseinandersetzen." Und: "Im übrigen stehen hinter der AfD nicht nur Extremisten, sondern ehemalige Wähler aller Parteien. Manche Anhänger haben berechtigte Sorgen etwa in der Flüchtlingsfrage, wir müssen sie in der Wahlauseinandersetzung für unsere Politik gewinnen." So ermunterte er jene, die die Abstimmung in Sachsen-Anhalt auch als Votum über die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel begriffen. Und machte die AfD erst groß, wie sein Herausforderer von der Linkspartei, Wulf Gallert, sagte.
Am Sonntag erklärte er: "Der heutige Abend ist eine Niederlage. Wir werden über die Ursachen nachdenken, manches hinterfragen, nicht aber unsere Ablehnung von Rassismus."
SPD-Landeschefin weist Rücktrittsforderungen zurück
Immerhin eines ist der CDU gelungen: Rot-Rot-Grün, nach der Wahl von Bodo Ramelow im Dezember 2014 zum Ministerpräsidenten von Thüringen auch in Sachsen-Anhalt eine Weile lang denkbar, wurde in Sachsen-Anhalt nicht möglich. Mal ganz abgesehen davon, dass sich die SPD mit ihrer Spitzenkandidatin, der Landes- und Fraktionschefin Katrin Budde, nicht festlegen wollte: Einem #r2g-Bündnis fehlt die Regierungsmehrheit.
Die von Budde angestrebte Bewerbung für das Amt der Regierungschefin hat sich ebenso erledigt wie die des Linken Gallert, der es bereits im dritten Anlauf versucht hatte. Bitter für die Linke: Den Platz der zweitstärksten Kraft im Landtag muss sie an die AfD abgeben. Das gute Abschneiden der CDU führt die Forschungsgruppe Wahlen auf den Amtsbonus von Haseloff zurück, dem beim Ansehen allgemein zwei schwache Kandidaten gegenüber gestanden hätten.
Im Wahlkampf Buddes war ziemlich viel schief gelaufen. Die Sympathiewerte der Spitzenkandidatin waren miserabel. Am Sonntag fiel die im schwarz-roten Bündnis mitregierende Partei hinter CDU, Linken und AfD auf Rang vier. Die SPD verlor dramatisch und kam nur noch mit Mühe auf einen zweistelligen Wert – und vom Anspruch der Volkspartei weit entfernt. Ein "katastrophales Wahlergebnis", wie Spitzengenossen zugaben.
Zu schaffen machte der Landes-SPD im Wahlkampf der Austritt des Magdeburger Oberbürgermeisters Lutz Trümper aus der SPD – er und Budde hatten sich in der Flüchtlingsfrage überworfen. Für den Fall, dass Budde nicht selbst die Konsequenzen aus der Wahlniederlage zieht und noch am Wahlabend ihren Rücktritt als SPD-Landes- und Fraktionschefin ankündigt, wollten mindestens sieben SPD-Kreisverbände ihren Rückzug fordern. "Wenn sie nicht sofort zurücktritt, gibt es einen Aufstand", sagte ein hochrangiger SPD-Politiker.
"Wir haben es nicht geschafft", sagt Budde auf der SPD-Wahlparty. Ein "sehr schlechtes Ergebnis" gibt sie zu, Rücktrittsforderungen weist sie zurück.
Und Haseloff, "ehrliche Haut und fleißiger Arbeiter mit Kümmerer-Image" ("Das Parlament")? Sein Ziel war, die "stabile Regierung der Mitte" unter CDU-Führung fortzusetzen. Dem Land sollten "keine Experimente zugemutet werden". Verrückt: Das bisherige Regierungsbündnis, das den Namen "große Koalition" in Sachsen-Anhalt schon länger nicht mehr verdient, hat keine Mehrheit mehr. So etwas gab es in der deutschen Geschichte noch nie: Zwar blieben 1950 in Schleswig-Holstein, 1951 in Bremen und 2014 in Thüringen zusammen unter 50 Prozent, hatten aber dennoch jeweils die Mehrheit der Mandate im Landesparlament. In dieser Form habe sich seine Partei den Wahlausgang "nicht ganz vorgestellt", erklärt ein etwas konsternierter CDU-Landeschef Thomas Webel, sieht aber dennoch einen eindeutigen Auftrag für eine Fortsetzung der Haseloff-Regierung.
FDP scheitert an Fünfprozenthürde
Für eine Koalition aus CDU und Linken ist das Bindestrich-Land noch nicht reif, auch wenn die CDU vergleichsweise liberal und die Linke sehr pragmatisch ist. Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle, hatte vor der Wahl der Wochenzeitung "Die Zeit" zu einer solchen Konstellation erklärt: "Ich halte ein Bündnis aus CDU und Linken prinzipiell für vorstellbar. Es wäre sogar eine Form der Normalisierung." Eine, so Holtmann weiter, "völlig neue Konstellation" müsse aber "langfristig angebahnt werden. Das geht nicht von heute auf morgen."
Um Regierungschef zu bleiben, wird Haseloff nun wohl neben der SPD auf die Grünen als weiteren Partner zukommen - in Anlehnung an die Landesfarben bekommt das Bündnis den Namen Kenia-Koalition. Die FDP hat es nach einer Zitterpartie am Wahlabend nicht geschafft, die Fünfprozenthürde zu überspringen.