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André Poggenburg, AfD-Chef in Sachsen-Anhalt.
© Reuters

Die AfD in Sachsen-Anhalt: Denken in Alternativen

Die AfD wird wohl in drei Landtage einziehen – in Sachsen-Anhalt womöglich mit mehr als 20 Prozent. Wie rechts gibt sich die Partei dort?

Die „Lügenpresse“, sagt Jürgen Elsässer, die habe man nicht reingelassen. Zum Schutz des Publikums hier drin, damit dieses sich frei äußern könne. Etwa 200 Menschen sind in eine hübsch renovierte Backsteinhalle im Magdeburger Stadtteil Sudenburg gekommen. Polizeiwagen weisen den Weg. „ES REICHT!“, steht in Versalbuchstaben auf großen blauen Wahlplakaten.

Noch drei Tage sind es an diesem Abend bis zur Landtagswahl in Sachsen- Anhalt. Drei Tage bis zum mutmaßlichen Wahltriumph der AfD. In aktuellen Umfragen werden ihr bis zu 20 Prozent vorausgesagt. Die Rechtspopulisten könnten die SPD und womöglich sogar die Linkspartei überflügeln. Selbst ein paar Direktmandate scheinen drin. Vor allem in der Mitte des Landes, rund um Halle und Bitterfeld, hatte schon die rechtsradikale DVU bei der Landtagswahl 1998 bis zu 18 Prozent eingefahren.

Elsässer ist Chefredakteur des Rechtsaußen-Magazins „Compact“. Ursprünglich kommt er von ganz links. Er hat eine Vorliebe für Verschwörungstheorien und für Wladimir Putin. Außerdem ist der frühere Berater von Oskar Lafontaine („vieles an ihm finde ich bis heute richtig“) ein glühender Anhänger der AfD und ihrer Parteichefin Frauke Petry.

Nun hat er zum „Compact“-Leserabend unter dem Motto „AfD vor dem Durchbruch“ eingeladen. Von Magdeburg werde ein Signal ausgehen, das das ganze Land verändere, sagt Elsässer. Es ist so etwas wie der vorgezogene Wahlkampfabschluss der Landes-AfD. Neben Elsässer wird auch Spitzenkandidat André Poggenburg (siehe Bild) sprechen. Der hatte den angereisten Teams von ZDF und Schweizer Fernsehen draußen vor der Halle noch in betont freundlichem Ton Interviews gegeben. Rein dürfen sie ja nicht. Und drinnen sieht die Welt anders aus.

Zehn Euro Eintritt muss bezahlen, wer Elsässer und Poggenburg sehen will. In der Schlange vor der Halle wird einer der Wartenden von einem britischen Zeitungsreporter interviewt. 29 Jahre alt ist der Befragte, kurze Haare, Dreimillimeterschnitt. Was er denn beim letzten Mal gewählt habe, will der Journalist wissen. „Na, NPD“, sagt er, als ob das klar sei, „aber die hat mir ja auch nichts gebracht.“ Diesmal habe er sich für die AfD entschieden. Als er die Fragen beim Wahlomat beantwortete, habe es mit der AfD 66 Prozent Übereinstimmung ergeben, dahinter die NPD mit 50 Prozent. Jene NPD, von der Poggenburg sich immer wieder zu distanzieren versucht. Die AfD habe die strengste Aufnahmepolitik aller Parteien in Deutschland, sagt er. Gleichzeitig lobt er Elsässer als einen, der sich mit seinem Magazin „einen Platz im alternativen Widerstand“ erkämpft habe.

Poggenburg, 40, spricht vor einem riesigen Konterfei von Frauke Petry, mit dem „Compact“ auf seiner aktuellen Titelseite um Käufer wirbt. Es ist jene Frau, mit der er AfD-intern gar nicht kann. Selbst aus Sicht der AfD-Chefin scheint Poggenburg zu weit rechts zu stehen. Er gilt als engster Verbündeter des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke.

Ein zu hoher Sieg der AfD in Magdeburg mag deshalb nicht im Sinne der Parteichefin sein. Seit einem Streit mit Petry hält Höcke sich zurück, was bundesweite Medienauftritte angeht. Dessen völkisches Vokabular könnte der Partei im Westen schaden, so das Kalkül. Ende 2015 hatte die Parteispitze Höcke nach seiner Tirade vom „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“ aufgefordert, „zu prüfen, inwieweit seine Positionen sich noch in Übereinstimmung mit denen der AfD befinden“. Einen Ausschluss hatte der Vorstand aber vermieden. Nun hofft Höcke auf ein bundespolitisches Comeback. Auf eine Stärkung seines deutschnationalen Flügels durch ein hohes Ergebnis, das Poggenburg in Magdeburg einfahren soll.

„Ich darf die AfD Sachsen-Anhalt als Spitzenkandidat vertreten“, sagt dieser in gespielt unterwürfigem Ton. 2013 sei er in die AfD eingetreten. Nie habe er gedacht, dass er mal „Parteiarbeit“ machen werde – „das ist ein ganz schlimmes Wort“. Jetzt aber müsse man dem „Parteienkartell“ die Stirn bieten. „Wir werden nicht mit 18 oder 19 Prozent, wir werden mit einem guten 20-stelligen Ergebnis in den Landtag einziehen“, ruft er in die Menge. Der Fehler fällt ihm gar nicht auf, vor lauter Siegestrunkenheit.

Poggenburg sagt, er stamme „aus der Mitte der Gesellschaft“. Er sei seit 22 Jahren selbstständig, „mit allen Höhen und Tiefen“. Damit spielt er auf Berichte über seine privaten Finanzen an. Sein Ein-Mann-Betrieb zur Reparatur von Autokühlern stellte Ende 2015 die Geschäftstätigkeit ein. Nach Angaben der „FAZ“ wurden gegen ihn mehrere Androhungen zur Erzwingungshaft erlassen. Demnach hatte Poggenburg offene Rechnungen nicht beglichen und einen Offenbarungseid verweigert. Erwartungsgemäß tut er dies als Verschwörung der „Lügenpresse“ ab. Die AfD hielt an ihm fest.

Wie zum Beweis seiner Rechtschaffenheit zeigt er seine rechte Hand in Richtung Publikum. Den Daumen hat er vor ein paar Jahren bei einem Sägeunfall verloren. Manche, auch in der AfD selbst, sagen, er wolle sich mit einem Landtagsmandat finanziell sanieren.

Sichtlich ist Poggenburg um einen gutbürgerlichen Auftritt bemüht. Dass das „Asylthema“ mit der AfD in Verbindung gebracht werde, das habe mit der Partei selbst gar nichts zu tun. Stattdessen werde von den Medien eben so viel über Flüchtlinge berichtet und die AfD werde so oft gefragt. Poggenburg lobt sich selbst dafür, seine Partei aus den Händen „eiserner wirtschaftsliberaler Transatlantiker“ gerettet zu haben. Damit meint er vor allem Hans-Olaf Henkel und Bernd Lucke. Nach deren Rauswurf stehe die AfD nun „Mitte-rechts“: „Wir möchten einfach, dass man sich zu unserer deutschen Identität wieder bekennen kann, ohne dafür verbal angegriffen zu werden.“ Es brauche ein „gesundes Nationalbewusstsein“.

Zum ersten Mal gibt es wirklich Applaus für Poggenburg. Ungeduldig nämlich ist man im Publikum. Vermutlich hat man sich für zehn Euro mehr Bestätigung von Vorurteilen erhofft. Schon rutschen die ersten Teilnehmer unruhig auf den Sitzen hin und her. Poggenburg aber versucht tunlichst, das Thema Flüchtlingskrise nicht in den Mittelpunkt zu stellen. So, dass es schon wieder auffällt. Nur einmal redet er von der „Obergrenze null“.

So läuft ihm an diesem Abend der Verschwörungstheoretiker Elsässer rhetorisch den Rang ab, zumindest aus Sicht des Publikums. Der sagt, er werde niemals AfD-Mitglied werden, denn er wolle die Partei noch kritisieren können. Spricht von Angela Merkel als der „islamischen Kanzlerin“, die von den USA gesteuert werde. Davon, dass bald zehn Millionen muslimische Einwanderer nach Deutschland kommen würden und neue Städte namens „Neu-Damaskus“ geplant seien. Die EU sei ein „Volksvernichtungsprogramm“, das gestoppt werden müsse. Die Unterstützung von Flüchtlingen eine „Verschleuderung des Volksvermögens“. Tosender Applaus, der kaum enden will.

„Der Poggenburg, das ist doch kein Spitzenkandidat“, sagt eine ältere Frau nach der Veranstaltung. „Aber der Elsässer hat mir gefallen.“

Redaktioneller Hinweis: Oskar Lafontaine legt Wert darauf, dass Jürgen Elsässer nie zum Kreis seiner Berater zählte.

Fabian Leber

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