Abgeordneter Uwe Witt zum AfD-Austritt: „Ich finde es schwierig, permanent Krieg zu führen“
Nach mehr als acht Jahren hat Uwe Witt die AfD verlassen. Er rechnet ab mit einer Partei, die immer weiter in den Rechtsextremismus abdriftet.
Ein Mann rechnet ab. Weite Teile der AfD seien rechtsradikal, sagt Uwe Witt und betont, "ich persönlich habe mit der Partei abgeschlossen". Ende Dezember hat er die Bundestagfraktion der Rechtspopulisten verlassen und sich auch von der AfD verabschiedet.
Nun sitzt er am Dienstag in einer Video-Pressekonferenz und zeichnet ein düsteres Bild vom Zustand der Partei. Vor allem die ständigen Scharmützel mit dem rechtsextremen, von Björn Höcke geführten "Flügel" haben Witt offenbar zermürbt. "Ich finde es schwierig, in einer Partei permanent Krieg zu führen", sagt er. In den achteinhalb Jahren seit seinem Eintritt sei es nie gelungen, "die Partei zu befrieden".
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Der aus Witten, einer Stadt am Rande des Ruhrgebiets stammende Witt zählte sich zu den "Gemäßigten" in der AfD. 2013 war er eingetreten, weil er es "sehr interessant" fand, doch mal Politik zu machen.
Zuvor war er leitender Angestellter, Mitglied der IG Metall und auch Unternehmer. 2017 wurde über die Landesliste der AfD in Nordrhein-Westfalen in den Bundestag gewählt, 2021 kam er als Spitzenkandidat der AfD in Schleswig-Holstein wieder ins Parlament. Witt versuchte, als Gründer der "Alternativen Vereinigung der Arbeitnehmer (AVA)" die AfD mit einem Hauch Gewerkschaftsnähe sozial wirken zu lassen. Ohne Erfolg. Die AVA habe "keine 80 Mitglieder", klagt Witt, obwohl die AfD mehr als 30 000 Mitglieder zähle. Das zeige, "wie unwichtig der Partei Arbeitnehmerinteressen sind".
Witt provozierte mit Gerede über ein Verbot der SPD
Witt selbst scheute sich allerdings nicht, 2019 im Bundestag über ein Verbot der SPD "als Regierungspartei" zu schwadronieren. Ein Eklat. Die SPD wie auch die Linkspartei fühlten sich an die Verfolgung von Sozialdemokraten in der Nazizeit erinnert. Dennoch hielt Witt stets, jedenfalls stellt er das jetzt so dar, auf Abstand zu den Rechtsextremisten in der AfD. In leicht dramatischem Ton erzählt er am Dienstag, "ich hatte das Gefühl, dass meine Beine wegknicken", als er bei einem Bundestagsabgeordneten der AfD das Abzeichen einer rechtsextremen Organisation an der Jacke sah. Um wen es sich handelte und welche Organisation gemeint ist, sagt Witt allerdings nicht. Deutlicher wird er allerdings in der Affäre Helferich.
"Das freundliche Gesicht" des Nationalsozialismus
Vor der Bundestagswahl im September 2021 kam heraus, dass sich der AfD-Kandidat Matthias Helferich vier Jahre zuvor in Chats als "das freundliche Gesicht des ns" und als "demokratischen Freisler" bezeichnet hatte. Mit "ns" war offenkundig der Nationalsozialismus gemeint. Roland Freisler war einer der furchtbarsten Juristen des NS-Regimes, als Präsident des Volksgerichtshofs verurteilte er in Schauprozessen Nazigegner wie die Widerständler des 20. Juli 1944 zum Tode. Helferich kam allerdings trotz seiner Äußerungen in den Bundestag. Witt berichtet nun, wie er in der Fraktion dafür gekämpft habe, Helferich auszuschließen. Er sei nur von einem Abgeordneten, dem Berliner Gottfried Curio, unterstützt worden. "Die Diskussion hat mich erschüttert", sagt Witt. Helferich verzichtete schließlich darauf, Mitglied der AfD-Fraktion zu bleiben. Witt betont allerdings, Helferich sei weiterhin stellvertretender Landessprecher der AfD Nordrhein-Westfalen.
Kronzeuge des Verfassungsschutzes
In seiner Enttäuschung wird Witt zu einer Art Kronzeuge des Verfassungsschutzes. Er denke, das Verwaltungsgericht Köln werde Anfang März die "Sperre" gegen die Einstufung der AfD als Verdachtsfall aufheben müssen. Das Bundesamt für Verfassungschutz (BfV) hatte im Februar 2021 die komplette AfD wegen rechtsextremistischer Bestrebungen als Verdachtsfall eingestuft. Das Verwaltungsgericht Köln stoppte jedoch im März das BfV wegen einer Klage der AfD. Die Richter wollen nun am 8. und 9. März den Fall öffentlich verhandeln. Für Witt ist kaum vorstellbar, dass die AfD gewinnt. Auch wegen eines weiteren Skandals.
Chatgruppe sprach über Bürgerkrieg
Im Dezember 2021 wurde bekannt, dass in einer Chatgruppe bayerischer AfD-Politiker, darunter Abgeordnete von Landtag und Bundestag, über Umsturz und Bürgerkrieg diskutiert wurde. Die Chat-Protokolle, glaubt Witt, werden der AfD im Verfahren beim Kölner Verwaltungsgericht schaden. Ein Mitglied der Chatgruppe, der Freisinger Bundestagsabgeordnete Johannes Huber, hat inzwischen und nahezu zeitgleich mit Witt die AfD und ihre Fraktion verlassen.
Für sich sieht Witt jetzt eine Zukunft bei einer Splitterpartei, dem "Zentrum". Im Kaiserreich und in der Weimarer Republik vertrat die Zentrumspartei den politischen Katholizismus und hatte viel Einfluss, in der Bundesrepublik wurde sie von der CDU verdrängt. Die Partei habe aktuell etwa 300 Mitglieder, sagt ein Funktionär, der bei Witts Pressekonferenz zugeschaltet ist. Doch Witt lässt sich nicht beirren. Er behält sein Mandat, das Zentrum hat jetzt einen Mann im Bundestag.
Dass Tino Chrupalla, AfD-Vorsitzender und jetzt auch Fraktionschef, die Rückgabe des Mandats gefordert hat, ist für Witt irrelevant. "Fordern kann man viel", sagt er. Ihn ficht offenbar auch nicht an, aus der AfD als "Verräter" beschimpft zu werden. Er glaube, sagt Witt, die meisten der ehemaligen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion habe es "sehr überraschend getroffen, dass ich gegangen bin". Und er habe nach seinem Austritt "ganz viele Angebote von anderen demokratischen Parteien bekommen". Welche, sagt er nicht. So bleibt offen, ob Witt auch zu einer stärkeren Kraft als der winzigen Zentrumspartei hätte wechseln können.