UN-Sicherheitsrat: Russland zweifelt an Giftgasangriff in Syrien
Am Wochenende schockten Bilder von Opfern eines mutmaßlich syrischen Giftgasangriffs die Welt. Der russische UN-Botschafter bezeichnet den Bericht im UN-Sicherheitsrat als "fake news".
In New York ist am Montag der UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen, um über den mutmaßlichen Chemiewaffenangriff in Syrien zu diskutieren. Dabei stellte Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja die Echtheit des Giftgasangriffs in Frage. Rebellen hätten den Angriff lediglich inszeniert.
Die Berichte aus der von Rebellen kontrollierten Stadt Duma in Ost-Ghouta über einen Angriff seien „fake news“. Nicht ein einziger Bewohner habe bestätigt, dass ein Chemiewaffenangriff stattgefunden habe. Experten der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) sollten umgehend in die Region reisen, um sich ein eigenes Bild von der Lage vor Ort zu machen, sagte Nebensja. Die russischen und syrischen Truppen würden ihnen Zugang zu der Region ermöglichen.
Den USA und deren Verbündeten Frankreich und Großbritannien warf Nebensja Versagen im Nahen Osten vor. „Was auch immer Sie anfassen, Sie hinterlassen nur Chaos“, sagte Nebensja. Den Regierungen in Washington, Paris und London warf er „Beleidigungen, Erpressung, Sanktionen und flegelhaftes Verhalten“ vor. Russland werde auf unentschuldbare Weise und noch stärker als zu Zeiten des Kalten Krieges bedroht. Die Berichte über den mutmaßlichen Giftgasangriff seien der Versuch des Westens, vom Fall des vergifteten russischen Doppelagenten Sergej Skripal abzulenken.
Er warnte den Westen vor einer militärischen Reaktion. Bewaffnete Angriffe "unter dem lügnerischen Vorwand, sich gegen Syrien zu richten", würden "schwere Folgen" haben, sagte er. "Wir fordern den Westen auf, seine kriegerische Rhetorik zu unterlassen", fügte Nebensja hinzu. Moskau habe Washington gewarnt, dass es keine Gefährdung russischer Soldaten auf syrischem Boden dulden werde.
Die USA, Frankreich, Großbritannien und sechs weitere Länder hatten das Treffen verlangt, nachdem bei Angriffen der syrischen Regierungstruppen auf die Rebellenhochburg Duma nahe Damaskus angeblich Giftgas eingesetzt wurde.
Nach Angaben von Aktivisten sollen bei dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz auf die von Rebellen kontrollierte Stadt Duma in Ost-Ghuta am Samstag mehr als 150 Menschen getötet und rund 1000 verletzt worden sein.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte schon vor dem Treffen Berichte über einen syrischen Angriff mit Chemiewaffen als Provokation bezeichnet. Russische Militärspezialisten seien vor Ort gewesen und hätten keinerlei Spuren von Chlorgas gefunden. Vorwürfe des Westens, Russland decke den syrischen Einsatz von Chemiewaffen gegen Zivilisten, bezeichnete der Minister als antirussische Kampagne.
USA schließen militärische Schritte gegen Assad nicht aus
Die USA sehen das hingegen anders. „Das große Böse der Chemiewaffen, das die Welt einst in Opposition vereinte, steht kurz davor, zur neuen Normalität zu werden“, sagte die UN-Botschafterin der USA, Nikki Haley in der Sitzung des UN-Sicherheitsrats am Montag. „Die Geschichte wird dies als den Moment aufzeichnen, an dem der Sicherheitsrat seine Pflicht erfüllt oder sein völliges und komplettes Versagen dabei demonstriert, das syrische Volk zu schützen.“
Haley, wiederholte in der Sicherheitsratssitzung auch die Drohung ihrer Regierung mit einer militärischen Reaktion. "Wir haben den Punkt erreicht, an dem die Welt sehen muss, dass in Syrien der Gerechtigkeit genüge getan wird", sagte sie. Das Weiße Haus hatte Moskau und Teheran am Montag erneut beschuldigt, für "diese Taten" mit verantwortlich zu sein. "Sie wären nicht möglich ohne ihre materielle Unterstützung", sagte Pressesprecherin Sarah Sanders.
Die USA haben militärische Schritte gegen die syrische Regierung nicht ausgeschlossen. Der US-Präsident sprach am Montag von einem „barbarischen“ Angriff. „Wir können solche Greueltaten nicht zulassen“, fügte er hinzu.
Er wolle mit seinen militärischen Beratern über mögliche Schritte sprechen. Alle Optionen würden in Betracht gezogen. Ähnlich hatte sich zuvor sein Verteidigungsminister James Mattis geäußert. Seine Regierung werde in den nächsten 24 bis 48 Stunden eine „bedeutende Entscheidung“ treffen. Die USA prüften eine mögliche Beteiligung der iranischen und der russischen Regierung. Trump schloss in diesem Zusammenhang auch mögliche Konsequenzen für den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht aus. Wenn sich herausstelle, dass dieser eine Verantwortung für den Angriff trage, werde er wie jeder andere einen Preis dafür zahlen, sagte er.
Bereits vor einem Jahr hatte das US-Militär die syrische Luftwaffenbasis Schairat beschossen - als Reaktion auf den verheerenden Giftgasangriff mit Dutzenden Toten auf die Stadt Chan Scheichun, für den UN-Experten ebenfalls die Assad-Regierung verantwortlich machten. Das Eingreifen der USA galt aber weitgehend als symbolisch. Denkbar ist, dass die US-Regierung erneut einen ähnlichen Schritt unternimmt, um ein Signal an Assad zu senden, ohne aber eine tiefere Verstrickung in den Bürgerkrieg zu suchen. Denn eigentlich will Trump das US-Engagement in Syrien beenden.
Der mutmaßliche Giftgaseinsatz setzt den Westen unter erheblichen Druck. Die USA machen die Regierung von Syriens Präsident Baschar al-Assad dafür verantwortlich. Auch die Bundesregierung vermutet, dass die syrische Armee hinter dem Angriff steht. Die Umstände deuteten auf „die Verantwortlichkeit des Assad-Regimes“ hin, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag und betonte: Ein so schwerwiegender Verstoß gegen das Völkerrecht „darf nicht ungesühnt bleiben“.
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hatte am Wochenende mit „gezielten Schlägen“ gegen die syrische Regierung gedroht, sollte ein tödlicher Einsatz von Chemiewaffen unwiderlegbar bewiesen sein. Das sei eine rote Linie, sagte Macron.
Auch Israel hat den mutmaßlichen Giftgasangriff im syrischen Duma am Montag scharf verurteilt. „Das syrische Regime begeht weiterhin Verbrechen gegen die Menschlichkeit, indem es dieses verbotenen Mittel einsetzt“, hieß es in einer Mitteilung des Außenministeriums in Jerusalem. Der jüngste Angriff sei Teil einer ganzen Serie von Chemiewaffeneinsätzen durch das Regime. Er sei ein Verstoß gegen eine Zusage des syrischen Machthabers Baschar al-Assad an die internationale Gemeinschaft, solche Waffen nicht mehr einzusetzen. Es zeige „eindeutig, dass Syrien weiter über die Fähigkeit zum Einsatz tödlicher Chemiewaffen verfügt und diese sogar neu entwickelt“.
UN-Hochkommissar für Menschenrechte ruft Welt zum Handeln auf
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein, rief die Welt noch wenige Stunden vor Beginn der Sitzung des Weltsicherheitsrates zum Handeln auf. Er verurteilte die Reaktionen auf ähnliche Vorfälle als völlig unzureichend und kritisierte „leere Worte, schwache Verurteilungen und einen Sicherheitsrat, der durch den Einsatz des Vetos gelähmt ist“.
Nach dem Vorfall in Duma kam es am Montag zu einem schweren Raketenangriff auf einen syrischen Militärflugplatz, für den Syrien, Russland und der Iran Israel verantwortlich machen. Bei der Bombardierung wurden mindestens 14 Angehörige der syrischen Armee und verbündeter Milizen getötet, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Montag meldete. Unklar blieb, ob der Militärschlag mit dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Zusammenhang stand.
Das russische Verteidigungsministerium erklärte, zwei israelische Kampfjets vom Typ F-15 hätten vom Libanon aus acht Raketen auf den Flugplatz T4 nahe der Stadt Homs abgefeuert. Augenzeugen berichteten im syrischen Fernsehen von Explosionen in der Gegend. Bewohner im Libanon hörten nahe der Grenze zu Syrien das Dröhnen von Jets. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana meldete, die Luftabwehr des Landes haben den israelischen Raketenangriff abgewehrt. Nach Angaben der iranischen Nachrichtenagentur Fars starben auch drei Soldaten der iranischen Revolutionsgarden.
Der Iran verurteilte den Angriff als „klaren Verstoß gegen alle internationalen Vorschriften“. Die UN dürften diesen Verstoß gegen die territoriale Integrität Syriens nicht ignorieren, fügte Außenamtssprecher Bahram Ghassemi am Montag in Teheran hinzu.
Die israelische Armee wollte sich wie bereits in früheren Fällen nicht zu den Vorwürfen äußern. Die USA und Frankreich dementierten jede Beteiligung an der Bombardierung. (dpa, AFP)