Kritik an Union: Ruf nach einheitlichem Rentenrecht wird lauter
Gleiches Rentenrecht in Ost und West? Schwarz-Gelb schaffte es nicht, die SPD will es besser machen: Doch für viele Ostdeutsche könnte eine schnelle Angleichung teuer werden.
Die enormen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bei der bevorstehenden Rentenanpassung haben in der Politik den Ruf nach einem einheitlichen Rentenrecht laut werden lassen. Zwei Jahrzehnte nach der Einheit sei es „fällig, dass in West und Ost endlich gleiche Renten gezahlt werden“, drängte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück – und kündigte an, dass eine Bundesregierung mit ihm an der Spitze „die Angleichung der Renten herbeiführen“ werde. Die Linkspartei forderte „volle Gerechtigkeit“ für ihre Hauptklientel. Und die FDP warf der Union vor, die erstrebte Vereinheitlichung im Rentenrecht zuletzt verhindert zu haben. „An uns“, sagte der FDP-Rentenexperte Heinrich Kolb dem Tagesspiegel, „ist das jedenfalls definitiv nicht gescheitert.“
Tatsächlich findet sich der Vorsatz, ein einheitliches Rentenrecht für Ost und West hinzubekommen, bereits schwarz auf weiß im Koalitionsvertrag. Und zwar nicht für irgendwann, sondern für die zurückliegende Wahlperiode. Wörtlich heißt es dort auf Seite 76: „Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West ein.“ Es sei „wirklich ärgerlich“, dass das nicht umgesetzt worden sei, sagt Kolb. Denn damit würde die Rentenanpassung in Ost- und Westdeutschland im Juli 2013 gleich hoch ausfallen. Und der zu erwartende Unmut darüber, dass die vier Millionen Ostrentner 13 Mal mehr draufgepackt bekommen als ihre 16,6 Millionen Altersgenossen im Westen, wäre den schwarz-gelben Wahlkämpfern erspart geblieben.
Dass die Renten in West und Ost einheitlich berechnet werden, ist ein Versprechen des Einigungsvertrages. Doch 23 Jahre später ist der sogenannte Rentenwert, der die Grundlage zur Berechnung bildet und der Monatsrente aus den Beiträgen eines Durchschnittsverdieners für ein Jahr entspricht, im Westen noch immer deutlich höher als im Osten. Aktuell beträgt der Abstand 11,2 Prozent, mit der Rentenanpassung im Juli verringert er sich auf 8,5 Prozent. Die Ostrentner kommen also aus ihren Beiträgen formal auf 91,5 Prozent dessen, was die Ruheständler im Westen erhalten.
Allerdings bedeutet das nicht zwangsläufig, dass ihre Renten kleiner sind. Kompensiert wird der geringere Rentenwert Ost nämlich durch einen Umrechnungsfaktor, der die niedrigeren Löhne in Ostdeutschland ausgleichen soll. Er wertet die Rentenanwartschaften, bezogen auf die gezahlten Beiträge, derzeit um 18 Prozent auf. Die Ostrentner erhalten am Ende also mehr Rente für weniger Beitrag. Entsprechend niedriger verläuft auch die Beitragsbemessungsgrenze, bis zu der Rentenbeiträge entrichtet werden müssen – sie liegt im Osten bei 58 800 Euro, während sie für westdeutsche Arbeitnehmer 69 600 Euro beträgt.
Von der Aufwertung profitieren vor allem Ost-Arbeitnehmer, deren Gehälter sich bereits auf Westniveau befinden – also etwa Angehörige des öffentlichen Dienstes. Sie würden, wenn der Rentenwert Ost angeglichen würde und die Höherbewertung wegfiele, finanziell nicht besser, sondern deutlich schlechter gestellt. Bei einer Angleichung gäbe es im Osten „Gewinner und Verlierer“, sagt der CDU-Experte und Chef des Arbeitnehmerflügels in der Unionsfraktion, Peter Weiß. Im Gesamtsaldo aber profitierten die Ostrentner eher von dem niedrigeren Rentenwert und der damit kombinierten Lohnaufwertung.
Kein Wunder also, dass die Ost-Ministerpräsidenten beim Thema Rentenangleichung bislang nicht aufs Gas, sondern auf die Bremse traten. Die Vereinheitlichung sei vor allem an ihrem Widerstand gescheitert, sagt Kolb. Anders als die Union will der FDP-Experte die Sache nicht länger vor sich her schieben, sondern „schnellstmöglich angehen“. Zwar bräuchten die Rentenversicherer dafür einen organisatorischen Vorlauf, gibt er zu. In dieser Legislatur sei also nichts mehr zu machen. Bis zur nächsten Rentenanpassung im Juli 2014 aber sei ein einheitliches Rentenrecht „ohne Weiteres möglich“.
Die Union möchte sich länger Zeit lassen. Der Vorschlag des Sachverständigenrats, den Rentenwert West erst mit dem Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 komplett auf Ostdeutschland zu übertragen, sei „richtig und vernünftig“, sagt Weiß. Bis dahin hätten sich die Renten weiter angeglichen, so dass für die Ostrentner keine großen Verwerfungen mehr zu befürchten seien. Beschlossen werden müsse die Angleichung dann aber bereits in der nächsten Wahlperiode.
Im Grunde fordert die SPD nichts anderes. „Wir werden (...) den Weg zu einem einheitlichen Rentensystem für Ost und West bis 2020 einleiten“, heißt es in ihrem Wahlprogramm. Und dass man die Angleichung stufenweise erreichen wolle. Voraussetzung dafür seien „Fortschritte bei der Angleichung der Löhne“. Sobald es bei der Rentenberechnung in Ost und West keine Unterschiede mehr gebe, werde dann auch der Aufwertungsfaktor für Löhne im Osten abgeschafft.
Beides – einen einheitlichen Rentenwert und die Beibehaltung der Lohnaufwertung für Ost-Arbeitnehmer – verlangt nur die Linkspartei. Der Aufschlag für Ostrentner müsse so lange bleiben, bis sich die Löhne und Gehälter komplett angeglichen hätten, sagt ihr Rentenpolitiker Matthias Birkwald. 2012 hätten sie nach Expertenberichten noch um ein Viertel unter denen des Westens gelegen. Und an dieser Ungleichheit änderten auch sich annähernde Tarifabschlüsse nichts., Schließlich arbeite mehr als die Hälfte der Ostbeschäftigten ohne Tarifvertrag.
Rainer Woratschka