Rentenpolitik im Wahljahr: Gefährliche Zumutung
Im Verhältnis zu den Löhnen sinken die Renten faktisch. Das ist von der Politik so gewollt. Doch dazu bekennen will sich niemand. Denn Rentner sind die größte Wählergruppe.
Bekanntlich gibt es kaum eine politische Botschaft, die sich nicht auch positiv verkaufen ließe. Beim Thema Renten könnte sie diesmal lauten: Freut euch, Leute, im Juli gibt’s wieder eine Erhöhung! Und: Das Rentenniveau zwischen Ost und West gleicht sich noch mal stärker an. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat es auch probiert. „Der Osten holt auf“, sagte sie.
Für die Westrentner benötigte die CDU-Politikerin schon die Zukunftsform. 2014 hätten auch sie wieder ein „spürbares Plus“ zu erwarten. Bleibt hinzuzufügen: 2013 leider gar nicht. Da haben sie ein sattes Minus zu verkraften. Real besehen, also gemessen an der Inflationsrate, kommt ihr Mini-Aufschlag einer Rentenkürzung gleich. Sie beträgt mehr als ein Prozent. Und das in Zeiten gestiegener Löhne und brummender Konjunktur.
Tatsächlich hat die gestrige Ankündigung – im Osten steigen die Altersbezüge um 3,29 Prozent, im Westen nur um 0,25 Prozent – das Potenzial, der Regierung die Wahl zu verhageln. Und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Sie ist Gift für das immer noch zögerliche Zusammenwachsen des Landes, weil auch viele Senioren in den alten Bundesländern finanziellen Nachholbedarf haben und sich nun über die „Bevorzugung“ der Ost-Rentner empören. Sie befeuert die für die Regierenden ohnehin bedrohlich köchelnde Gerechtigkeitsdebatte – weil die Mehrzahl der Rentner ein weiteres Mal Kaufkraft verliert und immer weiter von der Lohnentwicklung abgehängt wird. Und sie wirft ein grelles Licht auf das, was die schwarz- gelbe Koalition im Kampf gegen drohende Altersarmut bisher zustande gebracht hat. Gar nichts nämlich.
Zahlenmäßig, das weiß jeder Politiker, sind die Rentner die mit Abstand größte Wählergruppe. Allein die vergrätzten Ruheständler im Westen bringen es potenziell auf 16,6 Millionen Stimmen. Zwischen Rentenanpassung und Bundestagswahl liegen nicht einmal drei Monate. Da dürfte es den Regierenden wenig helfen, wenn sie zum wiederholten Mal auf demografische Nöte verweisen. Oder auf den Mechanismus einer Rentenformel, deren Auswirkungen selbst Versicherungsexperten kaum noch überschauen können.
Gleichwohl fokussieren sich Regierungspolitiker nun genau darauf. Die Formel sei zu kompliziert, die Bürger verstünden nicht mehr, wie ihre Renten zustande kämen. Und im Übrigen brauche man endlich ein einheitliches Rentenrecht. Alles richtig. Aber es verdeckt das eigentliche Problem: die immer stärkere Absenkung des Rentenniveaus im Verhältnis zu den Löhnen. Die war und wird von den Regierenden politisch gewollt. Nur wenn Rentenerhöhungen ausbleiben, will’s keiner gewesen sein.
Im Bundestags-Wahljahr 2009 kam die Regierung auf die Idee, die rechnerisch anstehende Kürzung der Altersbezüge mit einer sogenannten Rentengarantie zu verhindern. Die Folgekosten sind nach vier Jahren noch nicht abgestottert. Man darf gespannt sein, was sich Schwarz-Gelb diesmal einfallen lässt, um den Zorn der (West-)Rentner zu besänftigen.
Rainer Woratschka